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Wirtschaft: „Die Schrauben werden angezogen“

Kartellamtspräsident Ulf Böge über hohe Energiepreise und den richtigen Weg zu mehr Wettbewerb

Herr Böge, haben Sie eigentlich Ihren Gas- oder Stromanbieter gewechselt?

Meine persönliche Situation behalte ich lieber für mich. Aber hier in Bonn kann man nicht nur den Strom- , sondern auch den Gasversorger wechseln, denn seit dem vergangenen Oktober gibt es mit der Mariano einen zweiten Anbieter neben den Stadtwerken.

Was hat das gebracht?

Die Preise sind gesunken – bei beiden Konkurrenten.

Viele Verbraucher können ihren Gaslieferanten nicht wechseln. Als Sie kürzlich Ihren bundesweiten Preisvergleich veröffentlicht haben, war der Ansturm so groß, dass Ihre Internetseite zusammengebrochen ist. Warten die Verbraucher nur darauf, endlich wechseln zu können?

Diese Schlussfolgerung ist etwas verfrüht. Beim Strom haben die Verbraucher schon seit langem die Möglichkeit, den Anbieter zu wechseln. Aber kaum jemand tut das – aus verschiedenen Gründen. Im Gasbereich mag das anders sein, weil die Preisunterschiede hier schon erheblich sind. Allerdings können Kunden in Bayern, die sich den günstigeren Anbieter aus dem Norden wünschen, kaum denselben Preis bekommen. Denn der Lieferant müsste sein Gas von Nord nach Süd durch Leitungen transportieren, die ihm nicht gehören. Was das Gas letztlich kostet, hängt daher auch von den Entgelten für die Netznutzung ab. Diese Entgelte sind oft diskriminierend hoch und werden jetzt von der Bundesnetzagentur und den Landesagenturen überprüft, so wie jüngst schon beim Strom.

Man braucht auch einen Anbieter, der sich traut, gegen den Platzhirschen anzutreten.

Ja, ein zweiter Anbieter muss bereit sein, in ein anderes Versorgungsgebiet zu liefern. Das ist in Berlin, Hamburg, Bonn und einigen wenigen anderen Städten schon der Fall, aber noch nicht flächendeckend. Aber ich bin zuversichtlich, dass das kommt. Das Bundeskartellamt hat im vergangenen Jahr den Ferngaslieferanten untersagt, die Stadtwerke mit umfassenden Verträgen langfristig an sich zu binden. Die Stadtwerke vor Ort haben jetzt größere Freiheiten. Der zweite wichtige Schritt ist die Senkung der Netznutzungsgebühren. Dadurch wird es für Anbieter lukrativer, ihr Gas woanders hin zu liefern. Allerdings gehören viele Stadtwerke noch den Kommunen. Die Gemeindeordnungen verbieten es den Unternehmen oft, außerhalb ihres Gebietes wirtschaftlich tätig zu werden. Auch dies ist ein Wettbewerbshindernis. Das müssen die Bundesländer ändern, um den Wettbewerb in Schwung zu bringen.

Reicht das?

Die Stadtwerke müssen natürlich auch ihre neuen Möglichkeiten wahrnehmen und um bessere Einkaufskonditionen kämpfen.

Und wenn nicht?

Bei Missbrauchsverfahren werden wir künftig nicht mehr den Hinweis akzeptieren, man habe nur zu hohen Konditionen einkaufen können.

Sonst schreitet das Bundeskartellamt als Preiswächter ein?

Unsere Aufgabe besteht nicht in erster Linie darin, die Preise zu senken. Wir wollen Wettbewerb.

Aber der führt doch zu sinkenden Preisen.

Er wirkt auf jeden Fall preisdämpfend. Aber es ist ein Unterschied, ob wir unmittelbar die Preise kontrollieren – darin sehe ich nicht die Aufgabe des Bundeskartellamts – oder Wettbewerbsstrukturen erhalten beziehungsweise ermöglichen wollen. In einem Wettbewerbsmarkt können die Preise auch durchaus steigen, etwa wenn auf den internationalen Märkten die Nachfrage bei gleichem Angebot steigt.

Sie haben in Ihrem Preisvergleich Unterschiede von über 50 Prozent zwischen dem billigsten und dem teuersten Gaspreisen festgestellt. Wie billig könnte das Gas werden, wenn es überall Wettbewerb gäbe?

Das kann man nicht allgemein sagen. Die Strukturen der Unternehmen sind oft sehr unterschiedlich und auch die Einkaufskonditionen hängen beispielsweise davon ab, ob ein Stadtwerk ein Gaskraftwerk betreibt oder nicht.

Die Europäische Union will im Strommarkt für mehr Wettbewerb sorgen, indem sie die Versorger zwingen will, ihre Netze abzugeben. Was halten Sie von einer Enteignung im Dienste des Wettbewerbs?

In den EU-Mitgliedsstaaten gibt es sehr unterschiedliche Versorgungsstrukturen. In Ländern mit Staatsunternehmen hat man überhaupt kein Problem, das Unternehmen in eine Netz- und eine Liefergesellschaft aufzuspalten. In Deutschland ginge das nicht ohne weiteres. Wir haben hier keine Staatsunternehmen sondern eine Vielzahl von privaten und kommunalen Unternehmen, nämlich allein bei Gas über 700, die die Netze besitzen.

Der EU ist das egal.

In der reinen Theorie wäre die Abtrennung der Netze ohne Zweifel die beste wettbewerbliche Lösung. Wahrscheinlich würden wir in Deutschland auch verfassungskonforme Lösungen dafür finden können. Allerdings müssten wir wohl mit langjährigen Prozessen rechnen. Aber jahrelange Rechtsstreitigkeiten bringen dem Wettbewerb nichts. Ich finde, man sollte sich nicht an der falschen Stelle verkämpfen. Das Entscheidende ist, dass der Netzbetreiber wirtschaftlich eigenverantwortlich arbeitet. Das erfordert nicht unbedingt eine eigentumsrechtliche Trennung der Netze.

Was würde das bringen?

Das große Problem ist die Quersubventionierung. Heute kann ein integriertes Unternehmen die Netznutzung so verteuern, dass sich für Dritte die Nutzung nicht lohnt. Diese Diskriminierung über die Quersubventionierung konnte weder durch die buchhalterische Trennung der Netze, noch durch die gesellschaftsrechtliche Trennung beseitigt werden. Das zeigt sich darin, dass die Bundesnetzagentur in einer ganzen Reihe von Fällen im Strombereich eine Absenkung der Nutzungsgebühren erzwungen hat. Das ist doch ein deutliches Zeichen dafür, dass hier jahrelang eine Diskriminierung der Wettbewerber statt gefunden hat. Im Gasbereich hinkt man noch etwas hinterher, aber die Bundesnetzagentur hat erste Überprüfungen abgeschlossen und angekündigt, dass zum Ende des Jahres alle Verbraucher die Möglichkeit haben sollen, ihren Gasversorger auszuwählen.

Das genügt schon – oder müssen Sie stärkeren Druck ausüben?

Das muss man sehen. Wenn es nicht ausreicht, weil sich die Unternehmen Gegenmaßnahmen einfallen lassen, wird die Frage des eigentumsrechtlichen Unbildung, also der Herauslösung der Netze aus der eigentumsrechtlichen Verfügung des Versorgungsunternehmens, wieder auf der politischen Agenda stehen. Die Schrauben werden dann immer stärker angezogen. Aber selbst bei einer eigentumsrechtlichen Abtrennung bleibt der Netzinhaber ein Monopolist – und wir müssen aufpassen, dass er nicht unberechtigte Preise fordert. Diese Missbrauchsaufsicht wird bleiben, so oder so.

Der deutsche Wirtschaftsminister Glos will das Wettbewerbsrecht ändern und so die Macht der Energiekonzerne beschränken. Zum Beispiel sollen die Preise stärker kontrolliert werden. Ist das praktikabel?

Auch wenn die Industrie das Gegenteil behauptet, es geht es bei dem Vorstoß des Wirtschaftsministers nicht um eine Preiskontrolle.

Sondern?

Es geht darum, in Verfahren missbräuchliches Verhalten der Energiekonzerne schneller abstellen zu können – im Interesse des Verbrauchers. Wenn wir sechs, sieben Jahre prozessieren, freuen sich nur die Konzerne. Natürlich will derjenige, der missbräuchlich hohe Preise nimmt, den Zustand möglichst lange erhalten. Wir wollen das nicht und brauchen deshalb die sofortige Vollziehbarkeit unserer Entscheidungen als gesetzlichen Regelfall im Energiebereich, so wie es das Telekommunikationsgesetz und das europäische Kartellrecht bereits vorsehen.

Vor Weihnachten haben Sie RWE wegen überhöhter Preise beim Strom für die Industrie abgemahnt. Eon soll auch bald einen Brief bekommen. Wann sind Vattenfall und EnBW dran?

Wir haben uns wegen der Einkreisung der unentgeltlich erhaltenen CO2-Zertifikate erst einmal auf den Fall RWE konzentriert. RWE und Eon bilden nach unserer Auffassung ein wettbewerbsloses Oligopol. Was Vattenfall und EnBW betrifft, so müssen wir noch das Ende eines Gerichtsverfahrens abwarten, in dem geklärt wird, wer zum Oligopol – also zu den marktbeherrschenden Unternehmen – gehört. Wir glauben, dass EnBW und Vattenfall auch dazu gehören. Gibt uns das Urteil Recht, werden wir uns Vattenfall und EnBW genauer ansehen.

Sie haben in der Vergangenheit im Gas- und Strombereich einige spektakuläre Verfahren eingeleitet. Kommt noch mehr?

Wir sind sicher nicht schon morgen fertig mit unserer Arbeit. Die wettbewerbsrechtliche Regelung des Energiemarkts ist noch kein abgeschlossenes Bauwerk.

— Das Gespräch führten Bernd Hops und Heike Jahberg.

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