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Wirtschaft: Die Spekulanten haben Blut geleckt

Nach den südostasiatischen Tigerstaaten ist nun Hongkong das OpferVON DANIEL KESTENHOLZ BANGKOK.Vor zehn Jahren, nach dem 19.

Nach den südostasiatischen Tigerstaaten ist nun Hongkong das OpferVON DANIEL KESTENHOLZ

BANGKOK.Vor zehn Jahren, nach dem 19.Oktober 1987, richtete der 22,6prozentige Kursturz an New Yorks Börse ein Blutbad rund um die Welt an.Diese Woche, eine Dekade später, ist Hongkongs Börsenindex Hang Seng um eine ähnliche Größe eingebrochen.Insgesamt hat der Hang Seng seit seinem Jahreshoch von Anfang August über 30 Prozent eingebüßt.Am Freitag fing er sich, doch Investoren weltweit zittern und Spekulanten haben Blut gerochen, wie zuvor in Thailand, Malaysia, Taiwan.Nur, wird China es zulassen, daß sein "Sprössling", den es Mitte des Jahres feierlich in die Arme geschlossen hat, verletzt wird? Mit Stolz klopften sich Hongkongs Börsianer noch vor wenigen Wochen auf die Schultern, während die Finanzmärkte der Region purzelten.Zündfunke für den Flächenbrand war die Abwertung des thailändischen Baht am 2.Juli gewesen.Die erfolgsverwöhnten Politiker der Region, die sich während Jahren in knapp zweistelligen Wachstumsraten sonnten und vor lauter Harmoniesucht nie auf Kritiker hörten, sahen dem Zerfall ihrer Finanzindices machtlos und mit wachsender Wut zu.Kritiker hatten längst vor einem unbalancierten Wirtschaftswunder Asiens gewarnt.Nicht ausländische Spekulanten seien Urheber der Misere, sondern exzessive Kreditvergaben, leichtsinniger Konsum, ein übersättigter Immobilienmarkt, monumentale Prestigebauten und ein massives Stadt-Land-Gefälle. Gewarnt, geschehen, und nun ist auch Hongkong in den Sog von Finanzstrudeln geraten, die im Falle des Territoriums jedoch ganz eigene Ursachen haben.Auch Hongkongs Papiere scheinen überbewertet, doch Hongkong hat von den Briten eine gesunde Struktur geerbt.Hongkongs Kernproblem ist seine "Flaschenhals-Funktion".Hongkong ist zur Handelsmetropole aufgestiegen, weil China isoliert war und Exportgüter Chinas via der ehemaligen Kolonie ausgeführt werden mußten.Mit dem Aufstreben Schanghais und weiterer chinesischer Küstenstädte fällt das Monopol Hongkongs stetig.Zum Vergleich: Die Börsenkapitalisierung Schanghais beträgt heute 170 Mrd.US-Dollar.Das entspricht der Börse Hongkongs im Jahre 1992.Doch Schanghai wuchs in sechs Jahren von null auf 170 Mrd.Überdies hat Taiwan Direkthandel mit China aufgenommen.Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Taiwanesen direkt nach China fliegen.Dann verliert Hongkong automatisch 20 Prozent der Flüge. "Direkthandel zwischen Taiwan und China wird Hongkong viel mehr schaden, als heute angenommen wird", sagte Marc Faber, Direktor des gleichnamigen Hongkonger Finanzunternehmens, gegenüber dem Tagesspiegel.Die Koppelung von Hongkongs Währung wiederum an den US-Dollar hat historische Gründe.Im November 1983 verlor der Hongkong-Dollar knapp 50 Prozent an Wert, Kleinsparer sahen ihre Lebensersparnisse ruiniert.Vor Banken formten sich endlose Warteschlangen.Heute, inmitten neuer Marktrealitäten, bleibt der Hongkong-Dollar die einzige Hauptwährung Asiens, die nicht auf eigenen Beinen steht.Laut Finanzsekretär Donald Tsang verteidige man die heimische Währung mit "absoluter Entschlossenheit". Dem Territorium stehen 88 Mrd.US-Dollar an Devisenreserven zur Verfügung.Die Reserven der Volksrepublik China betragen weitere 120 Mrd.Dollar.Vorerst bremsen himmelhohe Zinsraten Spekulationen mit dem Hongkong-Dollar.In der momentanen Zinspanik kostet Tagesgeld astronomische 250 bis 300 Prozent.Jüngst lag der Satz unter zehn Prozent.Malaysia und Thailand haben Wochen zuvor - ohne Erfolg - Milliardenbeträge in ihre künstlich hochgehaltenen Währungen gepumpt.Fixe Wechselraten sollten Investoren ein Garant für stabile Währungen sein.Doch Spekulanten siegten, und hausgemachte Strukturkrisen beschleunigten den Niedergang noch.Thailands Baht ist seit Anfang Juli um 47 Prozent gegenüber dem US-Dollar eingebrochen und die Börsenkurse der Region haben ein Ausverkaufs-Niveau erreicht.Das Wachstum verlangsamt, Kapital kostet mehr, Werteinschätzungen werden nach unten berichtigt, die Importindustrie krankt, Konsumentenpreise steigen und Entlassungen häufen sich. Gut, das Platzen des Seifenblasenwunders war fällig, und ist nicht nur ein Weckruf, sondern - besonders an die Adresse Europas - ein Warnruf.In Asien hemmt wenig Protektionismus und herrschen keine behäbigen, überfürsorglichen Regierungen, sondern Anpassungsvermögen, Höchstleistung, Dynamik.Asien stößt heute 40 Prozent des Weltsozialproduktes aus.Zudem sträubt sich kein Volkszorn - wie in Europa - gegen schmerzhafte Anpassungen.Streiks sind rar, Gewerkschaften weitgehend unbekannt.Nicht einmal wegen Indonesiens Schwelbrandkatastrophe und der verpesteten Luft versammelten sich zornige Volksmassen in den Strassen.Die Tigerstaaten bleiben im Besitze reicher Rohstoffvorkommen und billiger Arbeitsmassen.Werden Reformen nicht durch politische Machtspiele gelähmt - wie im Falle Thailands -, verfügen die aufgeschreckten Tigerstaaten im Eilverfahren über solidere Fundamente.Doch gerade in umweltpolitischen, völkerrechtlichen und rechtsstaatlichen Fragen glänzt Asien durch eklatante Defizite.Auf Dauer, mit erwachenden Volksmassen und verschmutzten Böden und Gewässern, könnte sich das rächen. Belehrungen aus dem Westen aber läßt sich das zunehmend chauvinistische, durch die Finanzkrise gekränkte Asien nicht gefallen.Asiens Clandenken mit seinem kritiklosen Respekt gegenüber Älteren und Würdenträgern ist keine Kultur der Debatte, sondern des Patriarchentums.Wehe dem Ausländer, der Konfrontation verlangt, Transparenz und ein Ende von eingespielten Seilschaften, um Asiens vielerorts verwachsene Strukturen durchzulüften.Gestärkt geht aus Asiens Finanzkrise hervor, wer sich eine gesunde Dosis westlicher Werte - wie Transparenz - injiziert.Hongkong steht - nach einem überraschend reibungslosen Abzug der Briten - auf relativ soliden Beinen.Noch ist kein Ansturm privater Anleger auf ihre Konten ausgebrochen, um die heimischen Dollars in solide Fremdwährungen umzutauschen. Ob es die Volksrepublik zulässt, die Währung ihres Schößlings aus der US-Dollar-Koppelung zu befreien, bleibt Spekulation.Längerfristig muß sich der Hongkong-Dollar lösen.Kurzfristig könnte Peking einen Imageverlust befürchten.Man will Hongkong unter China als Symbol der Kontinuität zeigen.Allein, der Preis dafür steigt in dem Maße, wie der Druck von Spekulanten wächst.

DANIEL KESTENHOLZ

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