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Wirtschaft: Die Stadt im Blick

Die Zahl der Berlin-Besucher steigt seit Jahren – ebenso wie der Bedarf an guten Gästeführern. Den entsprechenden Zertifikatslehrgang der Industrie- und Handelskammer belegen sowohl Akademiker als auch Taxifahrer.

Vom Pergamonmuseum geht es zum Vintage-Klamotten-Laden, und nach dem Besuch des Dorotheenstädtischen Friedhofs noch auf einen Kaffee in den Biosupermarkt – es gibt wohl wenige Orte in Berlin, die Bettina Asmus noch nicht mit Besuchern erkundet hat. Die Stadtführerin kennt die Stadt wie ihre Westentasche. Trotzdem sagt sie, dass sich bei den meisten Führungen noch etwas Neues auftut: „Jeden Gast interessiert etwas anderes. Überraschend oft sind es auch Dinge jenseits der typischen Besuchermagneten. Und auf diese Bandbreite von Wünschen gehe ich gerne ein“. Vor allem für die Berliner Museumslandschaft ist Bettina Asmus eine Expertin, sie führt zudem durch die einzelnen Häuser, wie das etwa in den USA üblich ist. Aber auch in den unterschiedlichsten anderen Themen wie Geschichte, Religion oder Ökonomie kennst sie sich aus und arbeitet sich bei Bedarf noch tiefer ein: „Sich gut vorzubereiten ist das A und O – nur beim Sport und im Nachtleben bin ich überfragt, das überlasse ich gerne den anderen“, sagt die 57-Jährige.

Seit 12 Jahren arbeitet sie als Gästeführerin, nicht aus Notwendigkeit, sondern aus Leidenschaft – vorher war sie Managerin in der Großindustrie. Obwohl sie von Anfang an ein Konzept für ihr eigenes Unternehmen hatte, absolvierte sie noch einen Weiterbildungslehrgang an der IHK. „Der Kurs war unglaublich gut aufgebaut“, sagt Bettina Asmus, die die Entscheidung dazu eine der besten ihrer letzten zwölf Berufsjahre nennt. „Ich konnte mich da sofort vernetzen, und verstand viel besser, wie die Branche funktioniert. Außerdem lernte ich den täglichen Spagat eines Gästeführers kennen, der von den Preußischen Königen bis zur eigenen Buchführung reicht und hatte so schließlich auch psychologisch die Rückendeckung, in diesem Arbeitsfeld bestehen zu können.“

Nicht nur obwohl, sondern vielleicht gerade weil der Beruf des Gästeführers nicht geschützt ist, lohnt sich also eine Weiterbildung. Seit 1995 bietet die IHK jährlich einen Zertifikatslehrgang zum Gästeführer an. Damals war sie Berlins erste Einrichtung, die dieses Berufsfeld professioneller gestalten wollte. In dem dreimonatigen Kurs geht es besonders um Didaktik und Methodik. „Rund die Hälfte des Kurses wird praktisch geübt, von Anfang an bereiten die Teilnehmer selbst einzelne Teile von Führungen vor“, sagt Dorothea Hoffmann von der IHK. Auch die eigene Aussprache und die Kommunikationsfähigkeit werden trainiert, hinzu kommen Rechtliches und die Frage, wie man sich als Freiberufler vermarktet. Die historischen, religiösen oder kulturellen Inhalte werden im Kurs allerdings bestenfalls angerissen, hier sind die Teilnehmer aufgefordert, selbst aktiv zu werden. Letztere kommen aus den unterschiedlichsten Bereichen, meist aber sind es Geisteswissenschaftler, die ihre Leidenschaft für Berlin vertiefen und mit anderen teilen wollen. „Wir hatten aber auch schon Taxifahrer und Chauffeure, die einfach Bescheid wissen wollten, wie und worüber sie ihren Fahrgästen besser Auskunft geben können“, sagt Dorothea Hoffmann. Der Kurs, der auf jährlich 20 Teilnehmer beschränkt ist, steht grundsätzlich jedem offen. Auch viele internationale Berlin-Fans nehmen teil, um später in ihrer Landessprache zu führen, was sich bei den steigenden Besucherzahlen aus dem Ausland sicher lohnt.

Berlin als Tourismusziel liegt im Trend – die Besucherzahlen steigen seit Jahren um durchschnittlich sieben Prozent, und längst ist Berlin auf den dritten Platz der europäischen Lieblingsziele nach London und Paris gerückt. Interesse und Bedarf an Gästeführern ist gestiegen, und so haben sich mittlerweile mehrere andere Lehrgänge am Markt etabliert. Beispielsweise bietet die Sightseeing Point GmbH einen ähnlich praxisnahen Lehrgang wie die IHK an. Auch im Institut für Aus- und Weiterbildung (itw) und beim Verband der Berliner Stadtführer können Interessierte sich ausbilden lassen.

Hingabe, Faszination und Neugier für die Stadt, für ihre wechselhafte Geschichte und ihre pulsierende Gegenwartskultur treibt die meisten Teilnehmer in die Weiterbildungslehrgänge zum Stadtführer, weniger aber die Aussicht, anschließend ein saturiertes Leben führen zu können. Denn so abwechslungsreich der Beruf als Stadtführer auch sein mag – reich wird man damit sicher nicht. „Wir empfehlen unseren Absolventen ausdrücklich, es nicht als Hauptverdienst zu sehen, sondern erstmal als zweites Standbein“, sagt Dorothea Hoffmann von der IHK, zumal es eine Weile dauere, bis man sich eingearbeitet und spezialisiert habe. Denn auch das müssen die Absolventen selbstständig und aus eigenem Antrieb leisten: sich aus der schier unüberschaubaren Vielfalt Berlins Themen herauspicken, in denen sie sich als Spezialisten gegenüber den zahlreichen Konkurrenten behaupten können.

Auch Bettina Asmus hat diese Erfahrung gemacht: „Man sollte die Stadt wirklich als Spielwiese kennenlernen, um dann bei Bedarf zu wissen, welche Karte man ziehen muss. Gleichzeitig muss man ein großes Gespür für seine Gäste entwickeln, schließlich sollen sie sich wohlfühlen - manchmal verbringt man ja richtig viel Zeit zusammen“, sagt sie. Zudem nimmt die Organisation anfangs mindestens so viel Zeit in Anspruch wie die Führung selber – alles in allem ein anstrengender Job also, der volles Engagement fordert: „Wer nur auf den schnellen Euro aus ist, liegt definitiv daneben“.

Als Bettina Asmus als Gästeführerin begann, hatte sie bereits eine gesicherte Lebensbasis. Heute kann sie sich dank ihres gut laufenden Unternehmens auf individuelle Führungen für Einzelpersonen oder Paare konzentrieren, und nimmt dafür einen angemessenen Lohn – ein Privileg, wie sie es nennt: „Es gibt viele Kollegen, die sich um schlecht bezahlte Aufträge reißen müssen, um dann für einen geringen Lohn riesige Bustouren zu führen. In dem Fall müsste man eigentlich drei Führungen pro Tag absolvieren, um zu überleben und das ist einfach anstrengend.“

Und obwohl Berlin zu allen Jahreszeiten besucht wird, ist der Job stark saisonal abhängig, nach einer Flaute kann es plötzlich hoch hergehen, vorzugsweise dann bei heißem Wetter und am Wochenende. Flexibel muss man also auch sein.

Judith Hyams

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