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Wirtschaft: Die Stiefelspitze Italiens sucht dringend Investoren

Der arme Süden Italiens könnte Opfer der Währungsunion werden / Regierungschef Prodi macht Druck für ModernisierungVON MAUREEN KLINEDer Süden Italiens wurde jahrelang vernachlässigt.Die Wirtschaftspolitik richtete sich oft mehr nach potentiellen Wählerstimmen, Gefälligkeiten und Bestechungen als nach stichhaltigen Wirtschaftsplänen und Managementgrundsätzen.

Der arme Süden Italiens könnte Opfer der Währungsunion werden / Regierungschef Prodi macht Druck für ModernisierungVON MAUREEN KLINEDer Süden Italiens wurde jahrelang vernachlässigt.Die Wirtschaftspolitik richtete sich oft mehr nach potentiellen Wählerstimmen, Gefälligkeiten und Bestechungen als nach stichhaltigen Wirtschaftsplänen und Managementgrundsätzen.In der Region um Lamezia Terme - an der Spitze des italienischen Stiefels - gibt es genug Beispiele für politische Fehlentscheidungen.Ein dort ansässiger Chemie-Komplex, der Mitte der siebziger Jahre gebaut wurde, mußte nach einem Jahr schließen.Die Gründe dafür waren Probleme in der chemischen Industrie, Ermittlungen wegen Korruption und schlechte Standortfaktoren der Anlage.Die Regierung von Premierminister Romano Prodi will all dies ändern.Gerade erreichte er das erste seiner zwei ökonomischen Hauptziele: Italien qualifizierte sich für die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion (EWWU).Jetzt bemüht Prodi sich, sein zweites Ziel schnell zu verwirklichen.Er hilft dem armen Mezzogiorno, wie der Süden genannt wird, bei dem Versuch, mit dem reichen, industrialisierten Norden aufzuschließen.Zu diesem Zweck hat er Entwicklungsfonds bereitgestellt, Steuererleichterungen für Investoren eingeführt und neue Projekte in Gang gebracht.Es gilt jedoch, einige Hürden zu überwinden.Prodi will den Mißbrauch abschaffen und die Einstellung der Bevölkerung ändern, die sich über Jahrzehnte hinweg entwickelt hat.Darüber hinaus wird er mit dem Widerstand des Nordens, hohen Forderungen der Arbeiter und der immer näher kommenden Währungsunion konfrontiert. Italien hat sich selbst in diese Lage gebracht.Schuld an der heutigen Situation ist ein politischer Kurs, der auf Subventionen und staatlichen Eingriffen in die Wirtschaft basierte.Mussolini errichtete große staatliche Unternehmen, die die Schwerindustrie verstaatlichten und Arbeitsplätze in politisch wichtigen Feldern schafften.Noch bis vor einigen Jahren bestand die Politik darin, im Süden Arbeitsplätze in der Verwaltung zu schaffen und industrielle Projekte in wichtigen Wahlkreisen mit Geld zu überschütten.Versuche, private Investoren anzuziehen oder lokale Unternehmer zu unterstützen, kamen dabei zu kurz. Anfang der 90er Jahre wurde eine ganze Generation von Politikern durch Korruptionsskandale gestürzt.Der Weg für eine neue Politik war frei: Einige Bestechungszahlungen wurden gestoppt, andere existierten weiter, kamen aber nie an.Nach vier Jahrzehnten unter den vorherigen Voraussetzungen hat der Süden eine Arbeitslosenquote von 22,6 Prozent.Die Mafia liefert sich Kämpfe, und das Pro-Kopf-Einkommen ist nicht halb so hoch wie im Norden.Dazu kommt, daß die Bevölkerung im Norden die Abspaltung fordert, weil sie die ganzen Jahre über für die Mißwirtschaft im Süden bezahlen mußte. Der Druck der Gewerkschaften könnte die Entwicklung des Südens noch erschweren.Letzte Woche verließ Giorgio Fossa, Chef der italienischen Industrieverbanes Confindustria, verärgert die Verhandlungen mit Vertretern der Gewerkschaften und der Regierung über die Einführung der 35-Stunden Woche.Durch die verkürzten Arbeitszeiten werde die Region Mezzogiorno zu teuer für Investoren, sagt Fossa."Wenn wir es für die Unternehmer nicht einfach machen, wird niemand dort investieren." Alle EU-Mitgliedsstaaten bemühen sich, den Unterschied zwischen reicheren und ärmeren Ländern auszugleichen, bevor die EWWU beginnt.Die gemeinsame Währung wird die Regierungen in ihrem Kampf gegen Probleme wie die Arbeitslosigkeit einschränken.Ist der Euro erst einmal da, können Zinssätze und Steuern schlechter manipuliert werden.Ein weiteres Problem zeichnet sich ab: Die Pläne zur Erweiterung der EU könnten auf Kosten des Strukturfonds gehen.Dieses EU-Förderprogramm ermöglicht es den Ländern, regionale Unterschiede auszugleichen.Wenn die Union wächst, stehen Italien und Spanien auf der Verliererseite - beide bekommen derzeit viel Geld für ihre Regionen aus der EU-Kasse. Diese Umstände erhöhen die Dringlichkeit, mit der Prodis Regierung die Probleme in Mezzogiorno angeht.In den letzten Jahren hat die Regierung die Politik den lokalen Bedürfnissen angepaßt.Auch die EU-Gelder für Italien werden jetzt auf korrekte Weise ausgegeben.Der Hafen von Gioia Tauro ist für Prodi ein Vorzeige-Erfolg.Bis vor zwei Jahren war Gioia Tauro eine der industriellen Geisterstädte.Ein stillgelegtes Stahlwerk aus den 70er Jahren und ein nicht fertiggestelltes Kohlekraftwerk waren die Ergebnisse der damaligen Politik.Als der dort geplante Hafen 1986 in Betrieb genommen werden konnte, gab es keine Straßen- oder Eisenbahnanbindung.Vor fünf Jahren tat sich die Regierung mit einem privaten Unternehmen zusammen: Der Hafen wurde weiter entwickelt und eröffnet.Die Allianz war erfolgreich - mittlerweile ist der Hafen eine der Verbindungen zwischen Nord- und Süd-Europa."In nur 24 Monaten hat sich Gioia Tauro zum größten Hafen des Mittelmeeres entwickelt", triumphiert Prodi. Ein anderes Projekt ist das Gebiet um Manfredonia.Benetton ist eines der 30 Unternehmen aus dem nördlichen Treviso, die dort Fabriken eröffnen.Zusammen kopieren die Investoren ein typisches nördliches Industriegebiet für den Süden.Die Unternehmen investieren 400 Mrd.Lire (221,7 Mill.US-Dollar), geben dafür aber 30 Prozent weniger für Arbeitskräfte aus und erhalten weitere Vergünstigungen.Geschäftsleute aus dem Süden sagen, die beiden Projekte seien zwar ein guter Start, aber die Regierung müsse mehr tun, um Investoren anzulocken.Am Beispiel von Manfredonia nennen sie vier wichtige Voraussetzungen für die Entwicklung des Südens: Verbesserung der Infrastruktur, Bekämpfung des organisierten Verbrechens, Steueranreize und geringere Lohnkosten. Skeptiker sehen Probleme für jede dieser Bedingungen.In den nächsten zwei Jahren muß Italien die Ausgaben der Regierung verringern, um seine Schulden zu verringern.Aus diesem Grund stehen keine zusätzlichen Gelder für Infrastruktur und Kriminalitätsbekämpfung zur Verfügung.Experten sind der Meinung, daß es schwieriger sein wird, Steueranreize in ärmeren Regionen anzubieten, wenn die Steuern in Europa angeglichen werden.Die Regierung wirbt für regionale Verträge, in denen die Regionen den Investoren einen Steuernachlaß und geringere Lohnkosten anbieten.Gleichzeitig stimmte die Regierung ihrem kommunistischen Verbündeten zu, die 35-Stunden Woche einzuführen.Dies wiederum würde die Kosten der Arbeit in ganz Italien anheben. Ein Lichtblick im Süden ist Antonio Bassolino, der Bürgermeister von Neapel.Durch harte Arbeit hat er es geschafft, die vier essentiellen Voraussetzungen zu schaffen und Investoren zu interessieren.Mit dem Verkauf des Flughafens machte er beispielsweise Geld für eine verbesserte Infrastruktur frei.Bassolino bekämpfte das organisierte Verbrechen und plant jetzt, die veraltete Schwerindustrie durch dynamische mittelständische Unternehmen zu ersetzen.Der erfolgreiche Neapolitaner ist sich sicher, den Schüssel zur Entwicklung des Mezzogiorno zu kennen.Den Italienern müßte Verantwortungsgefühl beigebracht werden, so Bassolino.Dadurch solle die Neigung zum Lamentieren und zur Bestechung umgekehrt werden. Der italienische Süden bewegt sich zusammen mit dem restlichen Italien in Richtung EWWU.Führungskräfte aus dem Süden sind der Meinung, die Zukunft von Regionen wie Mezzogiorno werde davon abhängen, ob sie den Investoren weiterhin einige Anreize bieten könnten."Die Zukunft liegt darin, sich in Europa der freien Marktwirtschaft zu öffnen.Gleichzeitig muß unterentwickelten Regionen erlaubt werden, Investoren durch Steuernachlaß, billigere Arbeit und niedrigere Zinssätze anzuziehen," sagt Bassolino. Übersetzt, gekürzt und redigiert von Henrietta Rumberger (EU), Joachim Hofer (Chrysler) und Nina Fischer (Italien).

MAUREEN KLINE

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