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Wirtschaft: Die Stunde des Magnetiseurs

Ein wundersamer Heiler hat in Frankreich ein ganzes Dorf in Aufruhr versetzt – war er nur ein Betrüger?

Von John Carreyrou, SaintConnec An einem Sommertag stürmte ein bulliger Bauer ins Haus seiner Nachbarin und beschuldigte sie der Hexerei. Sie, Valérie Morice, habe einen bösen Zauber über seinen Bauernhof verhängt, wütete Fernand Gallerne. Der Vorwurf machte im kleinen Ort schnell die Runde. Die Dorfbewohner warfen Morice seltsame Blicke zu. Und ihre Kinder kamen weinend nach Hause, weil deren Freunde sie als Hexe bezeichnet hatten.

Die Szene scheint aus dem 17.Jahrhundert zu stammen, spielte sich aber im Juli im malerischen Dorf Saint-Connec in der Bretagne ab. Der Mann, der die moderne Hexenjagd anfachte: Michel Le Mer. Der breite, fast kahlköpfige Mann mit den buschigen Augenbrauen über dicken Brillengläsern verdient sein Geld als „Magnetiseur“ und behauptet von sich, mit den magnetischen Kräften seiner Hände Krankheiten heilen zu können.

Die bretonische Hexenverfolgung begann, als sich Gallerne wegen seiner schwer depressiven Frau an Le Mer wandte. Der Magnetiseur besuchte den Gallernschen Bauernhof und stellte eine finstere Diagnose: Die Nachbarin Morice habe das Grundstück verflucht und damit Schuld an Madame Gallernes Krankheit. Le Mer hob für 152 Euro den Fluch auf. Dann war der Teufel los.

Valérie Morice erstattete Anzeige wegen Rufmordes. Im vergangenen Monat kam der Fall vor Gericht. Inzwischen hatte die Hexen-Affäre das ganze Dorf erfasst. Dabei ist Frankreich kein Land des Aberglaubens – im Gegenteil. Dennoch sind die Magnetiseure, eine Art Heiler, in ländlichen Gegenden Frankreichs immer noch populär.

Entwickelt wurde die Theorie des „tierischen Magnetismus“ Ende des 18.Jahrhunderts vom deutschen Arzt Anton Mesmer. Der behauptete, dass der menschliche Körper wie ein Magnet Energie ausstrahle. Eine Störung des Energieflusses löse Krankheiten aus, sagte Mesmer. Mit der magnetischen Kraft seiner Hände bringe er die Energie wieder zum fließen. In Frankreich stieß seine Lehre auf große Begeisterung – und lebt bis heute fort. Schätzungen zufolge gibt es rund 30000 Magnetiseure im Nachbarland.

Zurück zum Prozess, der am 19. November in der bretonischen Küstenstadt Saint-Brieuc begann: Le Mer blieb dem Gerichtssaal zwar fern, schickte aber seine Rechtsanwältin Géraldine Blanchevoy. Während der Gerichtsverhandlung wurde deutlich, dass Le Mer von sich behauptet, kein gewöhnlicher Mensch zu sein. Er sage seinen Patienten, er könne den Satan vertreiben sowie Krebs, Unfruchtbarkeit und Rinderwahnsinn heilen, wie es im Polizeibericht heißt.

Magnetismus ist ein lukratives Geschäft: Le Mer nimmt für die Aufhebung böser Zaubersprüche auf Bauernhöfe 150 Euro, auf Geschäfte 122 Euro und auf Häuser 92 Euro. Manchmal läuft er mit einem nassen Lappen um den Kopf gewickelt um das Grundstück eines Kunden, um die bösen Geister zu vertreiben. Mit derlei Dienstleistungen verdient Le Mer rund 55000 Euro im Jahr.

Nachdem der Richter den Prozess eröffnete, hatte Morices Rechtsanwalt Patrick Elghosi das Wort. „Die Vorstellung, dass es im 21. Jahrhundert in der Bretagne einen Hexenprozess gibt, ist lachhaft und lächerlich“, sagte er. „Muss man erst daran erinnern, dass wir im Land von Descartes leben und das dies nichts als Schwindel ist?“ Le Mers Rechtsanwältin berief sich bei der Verteidigung auf Shakespeare. „Es gibt mehr Dinge im Himmel und auf Erden, Horatio, als Eure Schulweisheit sich erträumt“, zitierte sie Hamlets Worte, die er nach der Begegnung mit dem Geist seines toten Vaters sagt. Le Mer, sagte Blanchevoy weiter, „glaubt zutiefst an seine Aufgabe und an das, was er tut. ... Er bemüht sich darum, dass sich die Menschen besser fühlen.“

Letzten Endes haben Le Mers magische Kräfte beim Richter versagt. Der Magnetiseur habe seine Kunden beschwindelt, beschied der Richter und verurteilte Le Mer zu einer sechsmonatigen Haftstrafe auf Bewährung und einer Geldstrafe von 4000 Euro.

Gallerne beeindruckt das Urteil nicht. Er ist weiter der festen Überzeugung, dass Le Mer seine Frau von ihren Depressionen befreit habe. „Eines Tages wird er verstehen, dass alles ein Schwindel war“, sagt seine Nachbarin Valérie Morice. Sie fühlt sich durch das Urteil rehabilitiert. Und Le Mer? Dem geht es nicht gut, sagt seine Rechtsanwältin. „Er ist bei einem anderen Magnetiseur in Behandlung.“

Texte übersetzt und gekürzt von Tina Specht (China), Karen Wientgen (Magnetiseur), Matthias Petermann (Pisa), Svenja Weidenfeld (Steuern USA) und Christian Frobenius (Embargo).

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