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Wirtschaft: „Die USA stehen vor einem Wirtschaftsboom“

Der amerikanische Ökonom Fred Bergsten über die Folgen der US-Invasion im Irak für die Weltkonjunktur und die internationalen Beziehungen

Herr Bergsten, ist der Krieg eine Gefahr für die Weltwirtschaft?

Nein. Der Krieg wird der Weltwirtschaft und der Entwicklung in den USA sehr gut tun.

Das ist sehr zynisch.

Der Krieg schafft aber zum einen die große Unsicherheit aus der Welt, die die wirtschaftliche Aktivität in den vergangenen sechs Monaten gedämpft hat. Wir haben sehr deutlich gesehen, dass Investitionen zurückgehalten worden sind und Unternehmen die Lösung des Konflikts abwarten wollten. Auch die Verbrauchernachfrage ist hinausgezögert worden, das Konsumentenvertrauen ist gesunken. Vieles davon ist auf den Krieg zurückzuführen.

Welche Rolle spielt dabei der Ölpreis?

Er ist bereits dramatisch gefallen, als klar war, dass es Krieg gibt. Er wird noch weiter fallen – vermutlich um 10 bis 15 Dollar pro Barrel. Das wird ein sehr großer Beitrag für die Erholung der Weltwirtschaft in den kommenden Monaten sein.

Wie stark wirkt sich das aus?

Jede Reduzierung des Ölpreises um einen Dollar pro Barrel erhöht die globale Wirtschaftsaktivität um 30 Milliarden Dollar – zehn Milliarden davon entfallen alleine auf die USA. Nach dem Golfkrieg 1991 ist der Ölpreis um etwa ein Drittel gesunken – das war der Beginn eines zehnjährigen Booms in den USA. Ich glaube, wir werden dieses Mal ein ähnliches Ergebnis sehen.

Aber diesmal sind doch die Voraussetzungen ganz andere. Die Weltwirtschaft steht am Rande einer Rezession.

Ein Grund dafür ist wie gesagt die große Unsicherheit, die die weltweite Wirtschaftsaktivität gelähmt hat. Sie wird durch den Krieg eliminiert, was dazu führen wird, dass die USWirtschaft schon im zweiten Halbjahr dieses Jahres wieder stark wächst.

Noch ist ein erfolgreicher kurzer Krieg nicht sicher. So besteht die Gefahr, dass der Irak seine eigenen und fremde Ölquellen anzündet.

Es ist zwar denkbar, dass irakische Quellen angezündet werden und Öl verloren geht. Aber das ist nicht viel, vielleicht eine Million Barrel pro Tag. Das kann leicht durch erhöhte Fördermengen in Saudi Arabien oder die Freigabe von strategischen Ölreserven in den USA und anderen OECD-Ländern aufgefangen werden.

Was wird der Krieg den amerikanischen Staatshaushalt kosten?

100 Milliarden Dollar für die eigentlichen Kriegshandlungen sind vermutlich eine realistische Größenordnung.

Das ist mehr als der Haushalt vieler Staaten.

Aber man muss bedenken, dass das gut für die Wirtschaft ist. Das sind zusätzliche Staatsausgaben, eine Art keynesianischer Stimulus. Wir haben keine Vollbeschäftigung, und wir haben auch kein Inflationsrisiko. Die Ausgaben sind also ein Impuls für die US-Wirtschaft und werden die Wirtschaftsleistung sowohl in den USA als auch in der Welt erhöhen.

Können sich die USA angesichts steigender Haushaltsdefizite überhaupt zusätzliche Staatsausgaben leisten?

100 Milliarden Dollar sind zwar viel Geld, aber das ist weniger als ein Prozent des US- Bruttoinlandprodukts. Allerdings könnten die massiven Steuererleichterungen, die die US-Regierung gerade plant, langfristig ein Haushaltsproblem schaffen.

Das Weiße Haus sagt aber, die stotternde US-Konjunktur braucht die Abschaffung der Dividendensteuer und die vorgezogene Einkommensteuerreform.

Ich bin zuversichtlicher als die US-Regierung und glaube, wir brauchen kein zusätzliches Konjunkturprogramm. Zudem wird die Abschaffung der Dividendenbesteuerung kurzfristig noch nicht einmal große stimulierende Wirkungen entfalten.

Welche Auswirkungen haben die Kosten für den Wiederaufbau des Iraks auf die langfristigen Haushaltsprognosen?

Das sind ebenfalls zusätzliche Staatsausgaben und damit gut für die Wirtschaft. Zudem werden sie zum Großteil vom Irak selbst finanziert. Wer immer für den Wiederaufbau verantwortlich sein wird, wird sich vor allem darum bemühen, dass sich die irakische Wirtschaft schnell erholt. Dazu gehört, die irakische Ölproduktion zu steigern und die Erträge daraus für die Sanierung des Landes zu verwenden.

Trotzdem verliert der Dollar gegenüber dem Euro an Wert. Ist das ein Zeichen, dass die ausländischen Investoren ihr Geld lieber woanders anlegen?

Nein. Die USA haben schon immer große Summen unproduktiv in das Militär investiert, ohne dass das die von Ihnen beschriebenen Folgen hatte. Unser Militärbudget liegt heute bei über 300 Milliarden Dollar pro Jahr. Während des Kalten Krieges beispielsweise, als wir einen noch größeren Anteil unserer Wirtschaftsleistung für das Militär ausgegeben haben, haben wir immer noch große Kapitalzuflüsse verzeichnet.

Der Dollar wird also nicht weiter verlieren?

Doch, aber aus anderen Gründen. Wir befinden uns einfach in einer Korrekturphase für einen substanziell überbewerteten Dollar, was sich in unserem massiven Leistungsbilanzdefizit zeigt.

Was heißt, dass die USA mehr Geld aus dem Ausland brauchen, als sie selbst an Waren und Dienstleistungen verkaufen. Wie gefährlich ist dieses Defizit?

Verglichen mit allen anderen Ländern haben die USA wahrscheinlich das stärkste wirtschaftliche Fundament. Das Wachstumspotenzial der US-Wirtschaft liegt jetzt bei 3,5 bis vier Prozent wegen des großen Produktivitätswachstums, das wir in den 90er Jahren hatten. Wenn ich Recht habe und der Krieg tatsächlich die Konjunktur ankurbelt, dann ist es gut möglich, dass die US-Wirtschaft in der zweiten Hälfte dieses Jahres um vier bis fünf Prozent wächst. Dann werden die Kapitalzuflüsse in die USA wieder steigen.

Wie wichtig ist es, dass bis dahin die internationalen Beziehungen der USA mit ihren Partnerländern in Europa wieder stimmen?

Das spielt eine außerordentlich wichtige Rolle. Aber ich glaube, dass alle Parteien sich nach dem Krieg sehr stark bemühen werden, den Scherbenhaufen so schnell wie möglich zusammenzufegen.

Wieso sollten sie?

Unter anderem aus ökonomischen Gründen: Weltweite Investoren und Unternehmer fühlen sich nicht wohl, wenn unter den größten Wirtschaftsnationen große Streitigkeiten und Konflikte herrschen. Wenn man es sich erlauben würde, die Spannungen fortzuführen, würde das einen negativen Effekt auf die Weltwirtschaft und die Aussichten auf eine Erholung haben. Die Parole der Nachkriegsperiode muss Versöhnung sein.

Bislang macht die Bush-Regierung keine großen Anstalten in diese Richtung. Im Gegenteil, die Parole lautet: mit oder gegen uns.

Ich glaube, sie wird erkennen, dass sie das mildern muss. Sie wird so viel internationale Hilfe wie möglich für den Wiederaufbau des Irak wollen, ebenso für den gesamten Nahen Osten, und sie will mit Europa und Japan daran arbeiten, die wirtschaftlichen Aussichten zu verbessern. Im Moment mag die US-Regierung eher verletzt und rachsüchtig sein. Aber wenn der Krieg vorbei ist und sie mit der Realität der Nachkriegsphase konfrontiert wird, wird sie sich ebenfalls um eine Aussöhnung bemühen.

Was bedeuten die aktuellen Streitigkeiten für den internationalen Handel, wo es auch vorher bereits erhebliche Spannungen gab?

Einige Abgeordnete haben zwar über Vergeltung geredet, aber ich glaube, das ist total unmöglich. Die USA können sich nicht an Frankreich rächen – sie würden dann auch der Europäischen Union und damit ihrem engen Verbündeten Großbritannien schaden. Die Handelsbeauftragten in den USA und Europa haben sehr hart und mit Erfolg daran gearbeitet, diese Handelsstreitigkeiten unter Kontrolle zu halten und Vergeltungsmaßnahmen und Handelskriege zu vermeiden. Es ist unwahrscheinlich, dass dieser Erfolg jetzt revidiert wird.

Das Gespräch führte Sandra Louven.

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