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Wirtschaft: Die Verantwortung der Tarifparteien wird verwischt - Standpunkt von Prof. Norbert Berthold

Eine Politik, die verändern will, um an der Macht zu bleiben, braucht Visionen. Die wirtschaftspolitische Vision der rot-grünen Bundesregierung spiegelt sich wie in einem Brennglas im Bündnis für Arbeit.

Eine Politik, die verändern will, um an der Macht zu bleiben, braucht Visionen. Die wirtschaftspolitische Vision der rot-grünen Bundesregierung spiegelt sich wie in einem Brennglas im Bündnis für Arbeit. Mit einer Politik wirtschaftspolitischerAbsprachen zwischen den wichtigsten Interessengruppen in diesem Lande soll die internationale Wettbewerbsfähigkeit gestärkt und die hohe Arbeitslosigkeit abgebaut werden. Die bisherigen Erfahrungen mit dem Bündnis zeigen, dass dies so einfach nicht ist. Wer allerdings schon jetzt die Totenglocke für das Bündnis für Arbeit läutet, ist zu früh dran, die Bundesregierung hat sich wirtschaftspolitisch noch nicht aufgegeben. Die Schwierigkeiten, mit denen ein solches Bündnis zu kämpfen hat, werden immer offensichtlicher. Vordergründig hat es den Anschein, als wäre das Bündnis für Arbeit kaum mehr als eine institutionalisierte Form permanenter Tarifverhandlungen. Die Arbeitgeber fordern vor der nächsten Bündnisrunde die 40-Stunden-Woche, die Gewerkschaften beharren auf einer vorgezogenen Rente mit 60. Das Bündnis für Arbeit - Am Ende oder vor einem europäischen Anfang? Nach den Erfahrungen der Vergangenheit ist die morgige Lösung klar: Die Rente mit 60 kommt, allerdings teilweise steuerfinanziert. Damit sind wir beim eigentlichen Problem aller korporatistischen Lösungen: Die Tarifpartner brauchen den Staat als dritten Partner. Er wird nicht nur gebraucht, den angerichteten lohn- und tarifpolitischen Flurschaden zu begrenzen, die Gewerkschaften lassen sich von ihm auch für ihre Bereitschaft zu moderaten Lohnabschlüssen entschädigen. Die staatliche "Entschädigung" wird in unterschiedlichen "Währungen" bezahlt: Frühverrentungen ohne äquivalente Abschläge, eine sehr aktive Arbeitsmarktpolitik, ein öffentlich finanzierter Beschäftigungssektor und finanzielle staatliche Hilfen für notleidend gewordene Unternehmungen, Holzmann ist überall. Das alles trägt dazu bei, die beschäftigungspolitische Verantwortung der Tarifpartner zu verwischen.

Ein solches Bündnis kann keinen Erfolg haben. Die "Entschädigungszahlungen" des Staates an die Tarifpartner müssen von den gegenwärtigen und zukünftigen Steuer- und Beitragszahlern aufgebracht werden. Der Widerstand gegen die hohe Beitrags- und Steuerbelastung nimmt zu, der Anreiz, steuerehrlich zu bleiben geht zurück, der Run in die Schwarzarbeit bleibt ungebrochen. Mit noch strengeren bürokratischen Kontrollen, mehr Betriebsprüfern und einem schärferen Strafrecht läßt sich diese Entwicklung nicht stoppen. Vor allem die junge Generation merkt, dass die umlagefinanzierte Alterssicherung für sie ein Verlustgeschäft ist. Sie würde lieber heute als morgen aus dem maroden System aussteigen und votiert für eine Alterssicherung, die positive Erträge abwirft, also eine privat organisierte, kapitalfundierte. Es ist deshalb kurzsichtig, wenn die Gewerkschaften die Rente mit 60 fordern. Damit beschleunigen sie die Absetzbewegungen aus dem umlagefinanzierten System und schlachten die Kuh, die ihnen die Milch liefert, mit der sie ihre Klientel, die Arbeitsplatzbesitzer über den für sie günstigen Vorruhestand füttern.

Was bleibt einer Regierung, die nicht bereit ist, die wirtschaftspolitische Vision eines dritten Weges zwischen Markt und Staat aufzugeben, die aber von den ökonomischen Gesetzmäßigkeiten immer öfter und schneller auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt wird? Da es in einer offenen Volkswirtschaft kaum mehr gelingt, dem wirtschaftlichen und institutionellen Wettbewerb auszuweichen, liegt die Versuchung nahe, ihn einzuschränken. Das ist wegen der Kräfte der Globalisierung nur schwer möglich. Es bleibt aber die Möglichkeit, das nationale Bündnis für Arbeit auf europäischer Ebene zu installieren. Die Grundlagen dafür sind seit dem Gipfel von Köln mit dem "Makroökonomischen Dialog", an dem auch die Tarifpartner beteiligt werden, schon gelegt. Das Ziel dieses korporatistischen Politikansatzes besteht darin, die nationalen Wirtschaftspolitiken zu koordinieren und dafür Sorge zu tragen, dass Lohn-, Geld- und Finanzpolitik sich gegenseitig unterstützen. Die Gefahren einer solchen Politik liegen auf der Hand: Die beschäftigungspolitische Verantwortung der Tarifpartner wird weiter verwischt; sie wird von der nationalen auf die europäische Ebene verlagert. Die "Entschädigungszahlungen" an die Tarifpartner, die auf nationaler Ebene nicht mehr geleistet werden können, kommen dann aus europäischen Kassen.

Korporatistische Lösungen wie das Bündnis für Arbeit sind gänzlich ungeeignet, die strukturellen Probleme auf dem Arbeitsmarkt zu lösen. Sie verwischen nur die beschäftigungspolitische Verantwortung weiter und verschärfen die Schwierigkeiten noch, wenn sie auf europäische Ebene übertragen werden. Die Probleme auf dem Arbeitsmarkt lassen sich nur lösen, wenn die wirtschaftspolitischen Verantwortungen wieder klar zugewiesen werden. Wenn der Arbeitsmarkt weiter ein wettbewerblicher Ausnahmebereich bleibt, sind allein die Tarifpartner für die Beschäftigung zuständig. Damit sie keine Möglichkeiten mehr haben, sich dieser Verantwortung zu entziehen, müssen die Kanäle verstopft werden, über die sie bisher ihre beschäftigungspolitische Verantwortung auf Dritte abwälzen.

Die Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung müssen privatisiert, die staatliche Umverteilung muss auf die wirklich Bedürftigen konzentriert werden, die unsinnige und ineffiziente Umverteilung in der Mittelklasse von den nicht ganz Reichen zu den nicht ganz Armen muss ein Ende haben. Die staatliche Verschuldung ist strikt zu begrenzen, ein ausgeglichener Haushalt muss das Ziel sein.Der Autor ist Professor für Volkswirtschaftslehre in Würzburg und Mitglied des wissenschaftlichen Beirats beim Bundeswirtschaftsministerium.

Norbert Berthold

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