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Wirtschaft: Die Wiedergeburt der Deutschland AG

Jahrelang hat die deutsche Industrie Fett abtrainiert - nun baut sie Muskeln aufVON VENDELINE VON BREDOWSteigende Arbeitslosenzahlen und eine gescheiterte Reform des Sozialstaats mögen Beweis genug sein, daß Deutschland kränkelt.Doch von den Vorstandsetagen bis hinunter in die Werkhallen bewegt sich etwas.

Jahrelang hat die deutsche Industrie Fett abtrainiert - nun baut sie Muskeln aufVON VENDELINE VON BREDOW

Steigende Arbeitslosenzahlen und eine gescheiterte Reform des Sozialstaats mögen Beweis genug sein, daß Deutschland kränkelt.Doch von den Vorstandsetagen bis hinunter in die Werkhallen bewegt sich etwas.In den Unternehmen kommt es zum größten Umbruch seit der Entstehung des "Standorts Deutschland" aus den Ruinen des Zweiten Weltkriegs.Bank-Analysten und Ökonomen mögen die Veränderungen als "Firmen-Umstrukturierungen" abtun.Doch das ist nur das Endergebnis.Viel spannender ist die spürbare Hinwendung in Richtung Wettbewerb und zu den Aktionären.Und das nicht nur in den großen Konzernen, sondern auch bei den Mittelständlern. Das Ergebnis dieser veränderten Einstellung fällt selbst jenen auf, die nur ab und zu einen Blick auf die deutsche Industrie werfen.Fast scheint es so, also ob täglich neue Geschichten von Unternehmen bekannt würden, die unprofitable Randbereiche abstoßen, innovativ mit den hohen Arbeitskosten umgehen, ihre Aktionäre besser informieren, Hierarchien abbauen und aggressiv versuchen, Marktanteile zu gewinnen. Ein Blick auf die Reformen in den Unternehmen allein in diesem Jahr ist beeindruêkend.Schon im Januar hat Hoechst angekündigt, seine Pharma-Sparte an die Börse zu bringen.Seit dem 24.September ist Hoechst an der New York Stock Exchange notiert.Dazu mußte der Konzern seine Bilanzen nach den strengen amerikanischen Richtlinien umstellen.Noch im selben Monat gab Bayer einen auf drei Jahre befristeten Beschäftigungssicherungspakt bekannt.Durch die Übereinkunft spart Bayer 300 Mill.DM jedes Jahr.Kern des Vertrages sind flexiblere Arbeitszeiten.Im Gegenzug wurden den Mitarbeitern sichere Arbeitsplätze zugesagt. Im Februar ging dann die Lufthansa an die Öffentlichkeit: Die Fluglinie versprach, in der Führungsebene und in der Verwaltung zehn Prozent einzusparen sowie den Service umzustrukturieren.Im März kündigten dann die Bauriesen Hochtief und Phillipp Holzmann eine weitreichende Zusammenarbeit an.Das Joint-venture würde die Unternehmen unter die Top-Ten der weltweit tätigen Baukonzerne katapultieren.Auf die Bausparkasse BHW fiel das Rampenlicht als nächstes.Durch den Gang an die Börse kamen bei BHW rund anderthalb Mrd.DM in die Kassen."Deutschland ist jetzt an einem Punkt angelangt, an dem die USA vor drei Jahren waren", sagt Hermann Simon, Autor von "Die versteckten Champions", einer Studie der 500 besten, aber weitgehend unbekannten Unternehmen - die meisten davon deutsche Mittelständler. In den vergangenen zehn Jahren drohte die deutsche Industrie zu ersticken: einerseits an der Bedrohung steigender Kosten, andererseits durch den zunehmenden Wettbewerb.Das hat zu ganz massiven Kostensenkungen geführt.Dennoch: Es sind nicht nur die Kostensenkungen, die den deutschen Wandel kennzeichnen.Jahrelang hat die deutsche Industrie ihr Fett abtrainiert, jetzt baut sie Muskeln auf. Ein gutes Beispiel ist die Automobilindustrie: 14 000 Arbeitsplätze sind allein in diesem Jahr entstanden.Die deutsche Wirtschaft wird in diesem Jahr um über 2 Prozent wachsen.Vergangenes Jahr waren es nur 1,4 Prozent.Doch das ist noch lange nicht alles: Die Deutschland AG fängt an, sich auszubreiten.Von den hohen Kosten daheim abgeschreckt, nutzen viele Konzerne die Einsparsummen, um im Ausland noch stärker Fuß zu fassen. Daimler-Benz beispielsweise bekam im Juni von den Kartellbehörden in Kanada und den USA grünes Licht, die Lkw-Sparte von Ford zu übernehmen - immerhin ein Geschäft von geschätzten 250 - 350 Mill.Dollar (rund 400 - 600 Mill.DM).Daimler erntet jetzt die Früchte seines frühen Wandels hin zu angelsächsischen Management-Methoden.Seit 1993 ist Daimler an der Wall Steet - und mußte seine Bilanz radikal umstellen.Für viele deutsche Manager war das damals ungeheuerlich.Vier Jahre sind vergangen und Daimler gilt heute eher als Trendsetter denn als Rebell. In seinem Bemühen, Verlustbringer profitabel zu machen, hat Daimler-Chef Jürgen Schrempp allen 35 Geschäftseinheiten strikte Ziele gesetzt.Wer die nicht erreicht, könnte verkauft oder geschlossen werden.Der Daimler-Boß hat bereits eine ganze Hierarchiestufe im Management abgeschafft, hat den holländischen Flugzeugbauer Fokker abgestoßen, die Elektrosparte des Konzerns verkauft und den Anteil am französischen Softwarehaus Cap Gemini veräußert.Der Erfolg bei den Anlegern ist nicht zu übersehen: In New York kletterten die Daimler-Kurse binnen Jahresfrist um 45 Prozent. Und noch ein untrügliches Zeichen des Wandels: Die alten Verbindungen zwischen Firmen und Hausbanken lösen sich auf.Immer mehr Unternehmen suchen Beratung von außerhalb.J.P.Morgan zum Beispiel beriet die Münchener Bayerische Vereinsbank und Bayerische Hypo bei ihrer jüngst erfolgten Fusion.Goldman Sachs unterstützte die Privatisierung der Deutschen Telekom vergangenes Jahr."Die Firmen bevorzugen neutrale Berater, um Interessenkonflikte zu vermeiden", sagt Henrik Schliemann von ING Baring in Frankfurt."Deutsche Banken haben entweder einen Sitz im Aufsichtsrat eines Unternehmens oder ihnen gehört ein Anteil bei einem Konkurrenten." Früher hätten die Banker im Aufsichtsrat dafür gesorgt, daß die Firmen ihre Finanzierung bekommen, egal ob die Umstrukturierungen ausreichend waren oder nicht. Langsam fallen auch die Vorbehalte gegen Fusionen und Übernahmen.Im ersten Halbjahr 1997 wurden 34 Unternehmen mit einem Umsatz von über 1 Mrd.DM übernommen.Im Vorjahr waren es im selben Zeitraum nur 12 solcher Groß-Firmen.Die Zahl der Fusionen und Übernahmen sei von 200 im Jahr 1996 auf über 1000 im vergangenen Jahr geklettert, sagt Schliemann. Die Umstrukturierungen haben den Dax schneller als die globalen Märkte wachsen lassen.Der Index konnte vor dem Einbruch im Oktober seit Jahresbeginn um fast 40 Prozent.zulegen.Dennoch: Die Marktkapitalisierung in Deutschland ist niedrig im Vergleich mit den USA.Ein Grund dafür sind die deutschen Bilanzierungsvorschriften, die viele ausländische Anleger abstoßen. Die Veränderungen in der Unternehmenskultur werden nicht über Nacht kommen, sagt ING-Banker Schliemann.Ein gutes Beispiel für den Konflik zwischen Alt und Neu war jüngst die gescheiterte Übernahme von Thyssen durch Krupp.Nach einem Sturm politischer Entrüstung mußte der Stahlgigant sein Übernahmeangebot zurückziehen."Gewerkschaftler und Politiker haben zu früh aufgeheult.Sie hätten erst einen Blick auf das werfen sollen, was unternehmerisch Sinn macht", sagt Schliemann.Dem Mittelstand fällt es etwas schwerer als den Konzernen, die Reformen umzusetzen.Den Großen gelingt es besser, die Schlupflöcher im deutschen Steuerrecht auszunutzen.Große Firmen können die Produktion viel leichter ins Ausland verlagern.Zwischen 60 und 70 Prozent der Profite der Mittelständler fließen direkt in die Staatskassen, ist Diether Klingenberg überzeugt, der ein mittelständisches deutsches Maschinenbauunternehmen von Belgien aus führt.Er hat seine Belegschaft in den letzten Jahren von ganz kräftig abgebaut. Weil Entlassungen in Deutschland so schwierig sind, "gehen wir 27 andere Möglichkeiten durch, ehe wir jemanden neu einstellen".Und er fügt hinzu: "Wenn sich der Kanzler genauso um die Arbeitslosigkeit wie um den Euro gekümmert hätte, wäre heute einiges besser." "Die Bonner Politiker hätten Strukturreformen gleich nach der Vereinigung anschieben sollen", sagt Dieter Rath, Sprecher des Industrieverbandes BDI."Je länger sie warten, desto härter wird es." Nur wenige glauben an eine Steuerreform vor den Parlamentswahlen 1998.Für Unternehmen im täglichen Wettbewerb ist das eine verdammt lange Wartezeit.

VENDELINE VON BREDOW

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