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Wirtschaft: Die Wirtschaft steht noch unter Schock

Bekämpfung des Terrors bremst den Welthandel noch auf Jahre / US-Staatsdefizit gefährdet den Dollar

Berlin (brö). Die Anschläge vom 11. September 2001 und ihre Folgen werden die Weltwirtschaft noch auf Jahre hinaus belasten und bergen für die Zukunft große Risiken. Eine Einschränkung des freien Welthandels, höhere Kosten für die Sicherheit, geringere Renditen an den Finanzmärkten, verunsicherte Verbraucher sowie die vor allem in Amerika steigende Staatsverschuldung schmälerten das Wachstum und hätten zu einem ökonomischen Paradigmenwechsel geführt, sagen Wirtschaftsforscher. Eine Abwertung des Dollar sei durch die neue Politik wahrscheinlicher geworden und gefährde die Stabilität in allen Ländern.

Die Angriffe auf New York und Washington hatten vor zwei Jahren die Wirtschaft in enorme Turbulenzen gestürzt. Der USBörsenindex Dow Jones verlor in den Tagen nach dem 11. September knapp 1300 Punkte, 1,38 Billionen Dollar Anlagekapital wurden vernichtet. Zugleich schnellten die Preise für Öl und Gold in die Höhe. Vor allem Fluggesellschaften, Versicherungen und die Reisebranche verzeichneten in den Wochen danach Einbußen und trieben viele Firmen in den Ruin. Der Terror traf die Weltwirtschaft zu einem Zeitpunkt, in dem sie ohnehin in schlechter Verfassung war – das Bruttoinlandsprodukt der USA schrumpfte erstmals seit zehn Jahren, Deutschland stürzte im Herbst 2001 in die Rezession. Bis heute sind die Wachstumsraten niedrig geblieben, in Europa herrscht Stagnation. „Die Anschläge haben die Weltwirtschaft in eine lang anhaltende Schwächephase gestürzt“, sagt Michael Heise, Chefvolkswirt der Allianz in Frankfurt (Main). „Ohne die Anschläge hätte sich die Konjunktur viel früher erholt.“

Die unmittelbaren Folgen der Anschläge hatten die Industrieländer zwar nach wenigen Monaten überwunden, die Wall Street erreichte schon nach 40 Handelstagen wieder ihr Kursniveau vom 10. September 2001. Doch dann nahm US-Präsident George W. Bush den Irak ins Visier, und die Angst vor einem Krieg lähmte monatelang die Kauflust der Verbraucher und die Investitionsfreude der Unternehmen. „Von Herbst 2002 bis zum Frühjahr 2003 kannte die Wirtschaft nur eine Richtung – nach unten“, erinnert sich Heise. „Im Großen und Ganzen ist die Wirtschaft keinen Schritt vorangekommen.“

Das dürfte auch in Zukunft schwer fallen. Denn für Fabrikanten, Händler, Exporteure, Makler, Mittelständler und ihre Kunden hat der Terror die Welt verändert. „Die höheren Aufwendungen der Staaten und die schärferen Gesetze für mehr Sicherheit, verstärkte Kontrollen bei Ein- und Ausfuhren – all das liegt wie Mehltau über den Ländern, senkt die Wachstumsdynamik und hemmt den Welthandel“, sagt Michael Hüther, Chefvolkswirt der Deka Bank in Frankfurt (Main). Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) schätzt, dass die geringere Produktivität allein in den USA das Bruttosozialprodukt um 70 Milliarden Dollar pro Jahr drückt.

Auch auf den Finanzmärkten ist nichts mehr, wie es war. „Die Risikoprämien sind gestiegen – das bedeutet, dass Investoren eine höhere Rendite verlangen, wenn sie ihr Geld verleihen“, erklärt Hüther. Folge: Sinnvolle, aber weniger rentable Projekte oder Geschäftsideen werden nicht umgesetzt, neue Unternehmen nicht gegründet – auch das belastet das Wachstum.

Angst vor Wechselkurs-Turbulenzen

Die gravierendste Folge des 11. September ist aber der Umschwung in der Wirtschaftspolitik, vor allem in den USA. Der Staat, der seit der Reagan-Ära auf dem Rückzug war, spielt nun wieder eine wichtige Rolle, er versucht, mit Steuersenkungsprogrammen die Konjunktur anzukurbeln. „Der Wechsel von einem beachtlichen Etatüberschuss zu einem milliardenschweren Defizit binnen zweier Jahre wäre vor den Anschlägen undenkbar gewesen“, sagt Hüther. Und statt für Produktivitätswachstum interessieren sich die Amerikaner für die innere Sicherheit. „Die Regierung schafft mit einem Federstrich eine neue Behörde, stellt tausende Beamte ein und erntet Beifall – das hätte es früher nicht gegeben“, sagt Tilman Brück, Weltwirtschaftsexperte beim DIW.

Die neue Politik der Bush-Regierung bremst aber nicht nur die US-Wirtschaft, sie ist auch für andere Länder gefährlich. Nicht nur die Ausgaben und die Schulden des Staates wachsen zügellos. Auch die Zentralbank Federal Reserve betreibt eine expansive Geldpolitik mit historisch niedrigen Zinsen und einer wachsenden Geldmenge. Hinzu kommt, dass die USA bereits seit Jahren mehr Waren konsumieren, als sie selbst herstellen, und nur der stete Zufluss von Anleger-Milliarden hat bislang eine Abwertung des Dollar verhindert. „Diese Kombination ist brandgefährlich. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis der Dollar massiv an Wert verliert und ein Euro wieder 1,20 Dollar oder mehr kostet“, sagt Allianz-Fachmann Heise. Ein solches Szenario fürchten die Ökonomen seit langem – es würde vor allem den Export Europas einbrechen lassen. Damit wären alle Hoffnungen auf einen Aufschwung im kommenden Jahr wieder zunichte.

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