zum Hauptinhalt

Wirtschaft: Die Wirtschaft will nicht noch eine Abgabe

Verbände und Firmen schlagen Alarm: Die rot-grüne Ausbildungsumlage wäre teuer und unwirksam

Von Dennis Kremer

und Ragna Sieckmann

Stefan Delkeskamp spricht von „Irrsinn“: „85000 Euro sind 85000 Euro zu viel“, sagt der Geschäftsführer des gleichnamigen Papierherstellers aus Nortrup. 85000 Euro müsste Delkeskamp zahlen, wenn der rot-grüne Gesetzentwurf zur Ausbildungsplatzabgabe tatsächlich in Kraft träte. Wie der Mittelständler lehnen auch die Wirtschaftsverbände die Abgabe ab: „Wir sind strikt dagegen“, sagt Martin Wansleben, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK). „Eine Strafsteuer in Milliardenhöhe“, schimpft Dieter Philipp, Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks. Und Gesamtmetall-Präsident Martin Kannegießer spricht von einer „praxisfernen, bürokratischen und schädlichen Regelung“.

Ungeachtet dieser Kritik will SPD-Partei- und Fraktionschef Franz Müntefering die Lehrstellenumlage durchsetzen. In einem Schreiben an Vertreter der Wirtschaft, Kommunen und Gewerkschaften forderte Müntefering alle Beteiligten zu einem Spitzentreffen nach Ostern auf. Um die Wogen zu glätten, schlägt er darin eine „konzertierte Aktion“ vor. Das Ziel: Eigeninitiative soll Vorrang vor einer Umlage haben. DGB-Chef Sommer lehnte Münteferings Vorstoß prompt ab. Und die Wirtschaft rechnet schon einmal durch, was sie die Abgabe kosten wird.

Allein die Metall- und Elektrobranche müsste mit einer zusätzlichen Belastung von 250 Millionen Euro rechnen, schätzt der Industrieverband Gesamtmetall. „Die Abgabe wird das Ausbildungsproblem, das sie vorgibt zu lösen, nur noch weiter verschärfen“, sagte Verbandspräsident Kannegießer dem Tagesspiegel. Die Hauptursache für den Rückgang an Lehrstellen sei die kritische wirtschaftliche Lage vieler Betriebe. Das „Damoklesschwert Ausbildungsplatzabgabe“ koste weitere Lehrstellen und sei als zentralistisches Konzept abzulehnen. Kannegießer fordert zudem eine bessere schulische Ausbildung der Bewerber.

Das sieht DIHK-Mann Wansleben ähnlich. „Eine Abgabe allein schafft keinen zusätzlichen Ausbildungsplatz“, sagte er dieser Zeitung. Dafür aber enorme Kosten: Nach Schätzungen des DIHK müsste die deutsche Wirtschaft jährlich 3,3 Milliarden Euro berappen. Schon die Diskussion über die Abgabe koste „Motivation an der Ausbildungsfront“. 14000 Ausbildungsbetriebe hat der DIHK zur Umlage befragt. Einstimmige Reaktion: Totale Ablehnung. Nach dem rot-grünen Gesetzentwurf, der vor anderthalb Wochen in den Bundestag eingebracht wurde, müssen Betriebe mit weniger als sieben Prozent Lehrlingen die Abgabe zahlen – sofern sie mehr als zehn Beschäftigte haben. Das trifft sowohl Großkonzerne als auch Mittelständler.

Unternehmen kaufen sich frei

Beispiel Bosch: Der Konzern rechnet mit etwa zehn Millionen Euro an zusätzlichen Kosten, wenn die Regierung ihre Pläne durchsetzt. 4600 Jugendliche sind bei dem Unternehmen in der Ausbildung, eine Quote von etwa vier Prozent. Unter den 4600 sind allerdings 300 Berufsakademie-Studenten. Sie gelten nicht als Auszubildende, sondern als normale Beschäftigte. Bei der Berechnung der Umlage erhöhen sie die Abgabe für Bosch, statt sie zu senken. Beim Maschinenbauer Trumpf sieht es ähnlich aus, hier machen BA-Studenten ein Prozent der Belegschaft aus. „Die bewährte Berufsakademie-Ausbildung gerät so in Verruf“, ärgert sich Heidi-Melanie Maier von Trumpf. „Wegen der neuen Regelung werden wir keine neuen Stellen schaffen.“

Beispiel Siemens: Bei knapp fünf Prozent Azubis müsste der Konzern einen zweistelligen Millionenbetrag zahlen. Schon jetzt bildet Siemens mehr Leute aus, als im Unternehmen gebraucht werden, außerdem schicken Partnerfirmen 2500 junge Menschen bei Siemens in die Lehre. Um die Quote von sieben Prozent zu erreichen, müsste der Konzern aber Tausende von Azubis zusätzlich einstellen, ohne sie anschließend einsetzen zu können. Der Branchenverband Bitkom fürchtet, dass sich einige Unternehmen deshalb freikaufen könnten: 44000 Azubis gebe es in der Telekomindustrie – und ein Ausbildungsplatz koste in drei Jahren rund 65000 Euro, sagt Sprecher Volker Müller. „Trotz Abgabe werden die Unternehmen bei derart hohen Kosten kaum weitere Lehrlinge einstellen.“

So eint die Klage über die „Strafsteuer“ die Wirtschaft: Vom Autobauer VW, der 6,3 Millionen Euro im Jahr zahlen müsste, über den Chemiekonzern Bayer, auf den eine Millionen Euro an Kosten zukämen, bis zum Büroartikler Esselte-Leitz, der mit mindestens 50000 Euro Abgabe rechnet. Ein Verfechter der Umlage ist die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. Dabei ist sie selbst betroffen. Weil Verdi nicht genug Lehrstellen anbietet, würden 900000 Euro an Ausgleich fällig.

Dennis Kremer, Ragna Sieckmann

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false