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Wirtschaft: Die Wurzeln des Hedge-Fonds-Debakels reichen tief

Einmal mehr ist Rußland zum "Evil Empire", zum bösen Imperium, geworden.Diesmal ist es nicht ein unglückseliges militärisches Abenteuer.

Einmal mehr ist Rußland zum "Evil Empire", zum bösen Imperium, geworden.Diesmal ist es nicht ein unglückseliges militärisches Abenteuer.Vielmehr gibt die Welt Rußland die Schuld für das Chaos, das im vergangenen Monat die Finanzmärkte übermannte.Rußlands unerwartete Entscheidung im August, den Rubel abzuwerten und den Schuldendienst teilweise auszusetzen, wird allgemein als Grund angesehen für weitverbreitete Verkäufe sämtlicher Wertpapiere, die von brasilianischen Anleihen bis zu amerikanischen Aktien reichen.Doch kann eine Volkswirtschaft, die nur ein Prozent des internationalen Bruttosozialproduktes erwirtschaftet, wirklich Verluste mehrerer Milliarden Dollar auf den internationalen Märkten bewirken - selbst wenn diese Volkswirtschaft ganz außer Kontrolle gerät? Nein, nicht allein.

Der de-facto-Zusammenbruch der russischen Märkte hat weltweit zu einer Flucht aus finanziellen Risiken jeder Art geführt.Rußland war der Auslöser für diese panische Fluchtreaktion, aber als diese erstmal eingesetzt hatte, war es eine Kettenreaktion.Große risikoreiche Investitionen, von denen viele mit geliehenen Dollars finanziert worden waren und viele mit Rußland nichts zu tun hatten, schlugen auf einmal fehl.

Ein Großteil des Schadens trifft Wertpapierhäuser, Banken und vor allem Hedge Fonds - Investitionsfonds für reiche Investoren, die oft obskure Handelsstrategien und geliehenes Geld einsetzen, um hohe Gewinne zu erzielen.Es ist überflüssig zu sagen, daß sie bei ihren russischen Anleihen und Aktien Verluste eingesteckt haben.Doch Interviews mit zahlreichen Händlern und Bankern belegen, daß einige der größten Hedge Fonds, ebenso wie viele Wertpapierhäuser in den USA, Europa und Japan, drei große Einsätze getan haben, die mit Rußland nichts zu tun haben, und die katastrophal daneben gegangen sind

Long Term Capital Management (LTCM) und viele andere Unternehmen haben versucht, aus geringen Kursunterschieden verschiedener Anleihen Gewinne zu schlagen; dabei haben sie mit geliehenem Geld eine Großzahl riskanter Anleihen gekauft und darauf gesetzt, daß die Preise der amerikanischen Schatzanleihen sinken würden.

Hedge Fonds, darunter Julian Robertsons Tiger Management, haben angesichts der immer schlimmer werdenden Wirtschaftskrise in Japan mit großen Beträgen darauf spekuliert, daß Anleger weiterhin den japanischen Yen verkaufen und amerikanische Dollar kaufen.

Wertpapierhäuser, insbesondere die zur Travelers Gruppe gehörende Salomon Smith Barney, haben mit Summen in Milliarden-Dollar darauf gesetzt, daß mit dem Nahen der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion Unterschiede in den Renditen verschiedener Währungen und den Renditen öffentlicher Schatzanleihen abnehmen würden.

Kein Unternehmen ist für das internationale Ausmaß der Verluste typischer als Salomon Smith Barney.Auch wenn der Co-Vorstandsvorsitzende Jamie Dimon seinen Händlern im Juli angeordnet hat, ihre Positionen zu verkaufen - Wochen bevor die Krise ausbrach -, hat Salomon Smith Barney Verluste nach Steuern von insgesamt 360 Mill.Dollar erlitten.Nur zehn Mill.Dollar davon stammen direkt aus den Investitionen in Rußland, weitere 50 Mill.Dollar aus Darlehen an einen Hedge Fonds, der in Rußland angelegt hatte und pleite ging.Der Rest kommt von Anleihen, die wenig oder gar nichts mit Rußland zu tun hatten und trotzdem fehlschlugen, indem die überstürzte Flucht von Anlegern in sichere Werte zu einer ganz anderen Entwicklung bei Anleihen geführt hat, als erwartet worden war."Rußland war das Streichholz, doch die Märkte waren für die den Niedergang reif", sagt Dimon.

Von der russischen Krise waren nicht nur Inhaber russischer Wertpapiere betroffen, sondern auch jene, die solchen Anlegern Geld geliehen hatten.Gläubiger von Hedge Fonds forderten von den Fonds zusätzliche Sicherheiten, sogenannte Margin Calls, weil sie überzeugt waren, daß die Fonds nicht das gesamte, in Rußland investierte Geld zurückbekommen würden.Die Fonds mußten Kapital für die Margin Calls aufbringen, doch konnten sie dies nicht durch den Verkauf russischer Wertpapiere tun, da diese Märkte lahm gelegt waren.Also begannen sie, andere Anlagenwerte zu verkaufen, inklusive amerikanische Aktien.Als Gerüchte aufkamen, daß russische Schatzanleihen nur noch zehn Cent pro Dollar wert waren, kam es "zu einem sofortigen und starken Einbruch beim Appetit auf Risiko", sagt Philipp Hildebrand, Stratege eines New Yorker Hedge Fonds.Anleger begannen, Anleihen von Südkorea, Griechenland, Türkei, Mexico und Brasilien zu verkaufen.Als die Anleger sich auf sichere US-amerikanischen Schatzanleihen stürzten, begann der Wert dieser Papiere in die Höhe zu schießen.Doch der gleiche Durst nach Sicherheit ließ Investoren aus risikoreicheren Anlagen fliehen - aus Emerging Markets, hochverzinslichen Risikoanleihen, amerikanischen Pfandbriefen und sogar Anleihen amerikanischer Unternehmen."Die ganze Welt war drei Jahre lang auf einer Seite des Schiffes und nun wollten alle auf einmal auf die andere Seite des Schiffes", sagt Greg Hopper, ein Portfoliomanager bei Bankers Trust Global Investment Management.

Die Verlagerung hatte üble Folgen für viele, mit Krediten finanzierte Investitionen, die Anleger vor den Turbulenzen in Rußland getätigt hatten.Darunter waren Einsätze auf die Renditespannen verschiedener Anleihearten.Viele Hegde Fonds und Investmentbanken hatten erwartet, daß eine wachsende Nachfrage nach risikoreicheren Anleihen in der ganzen Welt zu steigenden Preisen dieser Anleihen führen und ihre Gewinne fallen würden, daß aber die Gewinne der sichersten Staatspapiere steigen würden.Die Flucht der Anleger in sichere Anlagen bewirkte jedoch das Gegenteil.

Jenseits des Atlantik schwelte ein weiteres Problem.Costas Kaplants, Chef der Arbitrage-Gruppe von Salomon Smith Barney in London, hatte zwei Jahre gut verdient, indem er darauf spekulierte, daß Renditeunterschiede europäischer Anleihen mit dem Nahen der Europäischen Währungsunion abnehmen würden.Zu seinen Handelspositionen von mehreren Milliarden Dollar gehörte ein Einsatz auf eine Renditeannäherung von deutschen und italienischen Anleihen.Doch bei der Flucht in Qualität, die durch die russische Krise ausgelöst worden war, begannen sich die Renditen voneinander wegzubewegen, weil deutsche Anleihen als sicherer als italienische Anleihen angesehen wurden.Vorgesetzte in New York befahlen Kaplanis, einige der risikoreichen Anlagen abzuwickeln und andere zu reduzieren.Die Lähmung, die die Anleihemärkte ergriff, machte die Bemühungen zunichte und die internationale Arbitrage-Gruppe endete mit mit 180 Mill.Dollar Handelsverlusten nach Steuern.

Wegen all dieser Entwicklungen stehen Privatanleger in vielen Märkten, inklusive des amerikanischen Aktienmarktes, vor einem Rätsel.Zum erstenmal seit dem Börsencrash im Jahre 1987 haben fallende Kurse nicht dazu geführt, daß viele Anleger "auf dem Tiefstand kaufen", Auch sind die Zinsen nicht gesunken.Zweimal nach der Abwertung in Rußland sank der Dow Industrials fast 20 Prozent unter den Hochstand im Juli.

Im Gegensatz zu 1987 aber sind die dem amerikanischen Aktienmarkt zugrundeliegenden Systeme nicht zusammengebrochen.Der Handel war relativ ruhig, nicht vergleichbar mit den heftigen Verkäufen, die man am 19.Oktober 1987 beobachten konnte.

M.SICONOLFI[M.R.SESIT], A.RAGHAVAN[M.R.SESIT], M.PACELLE[M.R.SESIT]

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