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Vermeidet Grundsatzurteile: Volkswagen hat sich bislang stets verglichen, bevor ein Fall vor dem Bundesgerichtshof verhandelt werden konnte.

© picture alliance / Julian Stratenschulte

Update

Dieselskandal: Bundesgerichtshof hilft VW-Kunden

VW-Fahrer können im Dieselskandal auf Unterstützung des BGH hoffen. VW wollte ein Urteil verhindern – die Richter äußerten sich nun dennoch.

Dieselfahrer, deren Autos mit einer manipulierten Abschaltvorrichtung ausgestattet sind, können auf höchstrichterliche Unterstützung hoffen. In einem am Freitag veröffentlichen Hinweisbeschluss verkündete der Bundesgerichtshof seine "vorläufige Rechtsauffassung", nach der eine unzulässige Abschalteinrichtung einen Sachmangel darstellt. Es beste die Gefahr einer Betriebsuntersagung, betonte das höchste deutsche Zivilgericht, das sich damit erstmals zu den Dieselmanipulationen äußert.

Verfahren am Mittwoch wurde abgesagt

Eigentlich hätte der Bundesgerichtshof am kommenden Mittwoch erstmals über die Klage eines VW-Kunden verhandeln sollen, der seinen mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten VW Tiguan zurückgeben und ein fehlerfreies Ersatzmodell haben wollte. Dieses Verfahren war am Freitag kurzfristig abgesagt worden. "Der Termin ist aufgehoben, man hat sich verglichen", bestätigte der Anwalt des Klägers, Siegfried Mennemeyer, dem Tagesspiegel. Zuvor war bereits eine für den 8. Januar geplante Verhandlung in einem anderen Fall vor dem BGH geplatzt, weil der Kläger seine Revision zurückgenommen hatte.

Kläger kann Ersatzlieferung verlangen

Doch unabhängig von der Rücknahme der Revision hat sich der Bundesgerichtshof im Tiguan-Fall nun überraschend zu Wort gemeldet – und zwar im Sinne des Klägers. Das Oberlandesgericht Bamberg hatte den Anspruch auf eine Ersatzlieferung abgelehnt, weil der Kläger einen VW-Tiguan der ersten Generation hatte, der nicht mehr hergestellt werde. Ein solches Modell könne nicht mehr beschafft werden, hatte VW argumentiert. Diese Argumentation lässt der Bundesgerichtshof nicht gelten. Für die Beschaffungspflicht des Verkäufers sei ein nachträglicher Modellwechsel "in der Regel ohne Belang", meinen die Richter.

Mehr als 407.000 Menschen beteiligen sich an der Musterfeststellungsklage

Derzeit klagen zahlreiche VW-Kunden auf Gewährleistung und Schadensersatz wegen der Softwaremanipulationen. Neben Einzelklagen bündelt der Prozessfinanzierer My Right Tausende Fälle und plant ein Musterverfahren vor dem Bundesgerichtshof. An der Musterfeststellungsklage des Bundesverbands der Verbraucherzentralen (VZBV) beteiligen sich mehr als 407.000 Verbraucher. Einen Termin für die erste Verhandlung gibt es hier noch nicht.

Sowohl VZBV-Chef Klaus Müller als auch My Right sehen sich durch die Haltung des Bundesgerichtshofs bestätigt. Die Feststellungen des BGH hätten "Signalwirkung" für die Musterfeststellungsklage. Es sei nun klar, dass "auch nach höchstrichterlicher Auffassung die Verwendung der Abschalteinrichtung nicht hinzunehmen ist", betonte Deutschlands oberster Verbraucherschützer. Auch bei My Right bewertet man die BGH-Ausführungen als Rückenwind. Zwar geht es in der Sammelklage von My Right mit 45.000 Teilnehmern genauso wie bei der Musterfeststellungsklage des VZBV um Verfahren gegen VW und nicht wie im Fall des VW-Tiguan um ein Verfahren gegen einen Händler, dennoch gehen beide davon aus, dass die Einschätzung der unzulässigen Abschalteinrichtung als Sachmangel den Klägern helfen wird.

VW: Erläuterungen lassen keine Rückschlüsse zu

Dagegen betont VW, die Hinweise des BGH ließen "keine konkreten Rückschlüsse für die Erfolgsaussichten" von Nachlieferungsklagen und anderen gewährleistungsrechtlichen Klagen zu. Das gelte auch für die Klagen von My Right und die Musterfeststellungsklage, betonte ein Sprecher. Zudem seien die Erläuterungen des BGH vorläufig, das heißt der Bundesgerichtshof habe noch keine Entscheidung getroffen.

Tatsächlich hatten die Bundesrichter dazu bislang auch keine Gelegenheit. Denn bislang ist es Volkswagen stets gelungen, durch Vergleiche höchstrichterliche Urteile zu verhindern. Das Schicksal drohte auch im Fall des Tiguan-Eigentümers, der sich ebenfalls mit Volkswagen verglichen hatte. Doch offensichtlich hatte der BGH das Bedürfnis, in den jahrelangen Rechtsstreitigkeiten zwischen Volkswagen, VW-Händlern und Kunden Stellung zu beziehen. Damit bekommen Anwälte und Kläger einen Hinweis darauf, was sie beim Bundesgerichtshof erwartet.

My Right: Gerichte haben den Hals gestrichen voll von der Hinhaltetaktik von VW

"Die Gerichtsbeschlüsse zeigen, dass die Gerichte den Hals voll haben von dem Versteckspiel von VW, sagte My Right-Sprecher Jan-Eike Andresen. Die Hinhaltetaktik von VW habe drei Jahre lang in Deutschland funktioniert, "das ist jetzt vorbei". Klar ist, dass spätestens der My Right-Musterfall vor dem Bundesgerichtshof verhandelt werden wird. Andresen rechnet mit Oktober. Auch Verbraucherschützer Müller war am Freitag die Genugtuung anzumerken. Die Strategie von VW, eine inhaltliche Positionierung von VW durch einen Vergleich zu verhindern, habe keinen Erfolg gehabt, freute sich Müller.

Gerichte entscheiden immer häufiger für die Verbraucher

Nachdem VW anfangs die meisten Gerichtsverfahren gewinnen konnte, hat sich das Blatt inzwischen gewendet. "In 85 von 105 Landgerichtsbezirken bekommen die Kunden Recht", sagte Rechtsanwalt Ralph Sauer dem Tagesspiegel. Sauer gehört zu den Anwälten, die die Musterfeststellungsklage gegen VW betreut. Anders sieht es dagegen in Braunschweig aus, wo Kläger bislang sowohl vor dem Land-, als auch dem Oberlandesgericht gescheitert sind. In Braunschweig konzentrieren sich die Verfahren gegen Volkswagen, weil Wolfsburg nicht weit entfernt ist. Auch die Musterfeststellungsklage ist beim Oberlandesgericht Braunschweig angesiedelt, allerdings in einem anderen Senat. Mehr als 28 Milliarden Euro hat der Dieselbetrug VW bereits gekostet. Grünen- Fraktionsvize Oliver Krischer rechnet mit weiteren enormen Kosten, die auf VW und andere Hersteller zukommen, die eine illegale Abschalteinrichtung in ihre Autos eingebaut haben.

Nicht nur VW ist betroffen

Dieselgate-Fälle betreffen vor allem Volkswagen, aber nicht nur. Das Landgericht Stuttgart hat in mehreren Fällen Daimler zu Schadensersatzzahlungen an Autokäufer verurteilt, wegen Einsatzes von Manipulationssoftware in der Motorenbaureihe OM 651, betont Rechtsanwalt Klaus Nieding. Allerdings sind diese Urteile noch nicht rechtskräftig.

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