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Wirtschaft: Dietmar Sommer

(Geb. 1940)||„Die Damen und Herren Schauspieler darf ich freundlichst bitten ...“

Von David Ensikat

„Die Damen und Herren Schauspieler darf ich freundlichst bitten ...“ Wer hat das Sagen am Theater? Der Intendant ist wichtig. Auch die Regisseure bestimmen dies und das. Die Stimme, die die Schauspieler auf die Bühne ruft, die Bühnenarbeiter hinter die Bühne, die Beleuchter an die Schaltpulte, die Stimme gehört einem anderen.

„Meine Damen und Herren, es ist fünf Minuten vor Beginn der Vorstellung. Technik, Beleuchtung, Stellwerk, bitte die Positionen einnehmen. Die Damen und Herren Schauspieler darf ich freundlichst zu ihrem Auftrittsort auf die Bühne bitten!“ Das sind die Worte des Inspizienten, die aus den Lautsprechern von Kantine, Garderobe und Theaterfluren dringen, im Falle Dietmar Sommers, den alle „Tommy“ nannten, jedenfalls waren sie es. Nie gab es am Deutschen Theater zu Berlin einen höflicheren Inspizienten als diesen.

Zur Arbeit erschien er mit Anzug und Schlips, gern auch mit weißem Schal, denn das Theater war ihm mehr als nur ein Arbeitsort. Es war ein Festspielplatz, ein Ort der großen Kunst, der zu dienen, ihm eine Ehre war.

Hin und wieder durfte Tommy Sommer selbst auf die Bühne, das genoss er besonders. Seinen letzten Auftritt hatte er in Tschechows „Möwe“. Man ließ ihn als Lakai die Koffer tragen. Für die kurze, stumme Rolle trug der Chefinspizient an seinem Inspizientenpult den ganzen Abend die Livree. Ein kleiner, stolzer Teil der großen Illusionsfabrik.

Das Inspizientenpult befindet sich im Deutschen Theater rechts neben der Bühne in einem kleinen Verschlag mit Barhocker. Es besteht aus der Ablage fürs Inspizientenbuch und einer Schalttafel mit ein paar Dutzend Knöpfen, rot und gelb leuchtenden. Nach den Eintragungen im Buch, „Black steht LZ 27“, „Stw. sagen f. 24“, betätigt der Inspizient die Knöpfe, „Lichtzeichen“ genannt, spricht seine Durchsagen ins Mikrofon, nickt Schauspielern zu, die ihren Auftritt haben. „Keiner nickte so beruhigend wie Tommy“, sagt einer jener Schauspieler, die hier schon lange spielen, die das Lampenfieber kennen und Tommy Sommer, den Ruhepol, vermissen.

Sie haben ihn auch in sehr beunruhigenden Haltungen erlebt. Denn er war ein Trinker – kein Einzelfall unter den Theaterleuten. Es gab abstinente Phasen – „Beim Hamlet war er trocken, ganz sicher!“ –, doch eben auch die Rückfälle, die Delirien, die Einlieferungen ins Krankenhaus. In seinen letzten Jahren blieb er trocken, darauf war er stolz.

Für seine Sucht gibt es drei Erklärungen. Eine physische, das war seine eigene: „Ich muss einen Schwamm im Magen haben!“ Eine metaphysische: Dämonen in ihm, Übrigbleibsel einer harten Kindheit auf dem Anhaltiner Land mit dem prügelnden Vater. Und eine soziale: die Gewöhnung ans gesellige Kantinentrinken – „er war ja ein Sozialsäufer“.

Vor fast fünf Jahren ging Tommy Sommer in Frührente. Doch hin und wieder setzte er sich noch ans Inspizientenpult, nämlich wenn Inge Keller und Eberhard Esche ihre Soloabende gaben. Sie hatten sich den Chefinspizienten a. D. ausbedungen. Er stammte aus der guten alten Zeit.

Eberhard Esche ist im letzten Mai gestorben. Die Trauerfeier im Theater, selbstverständlich eine Bühneninszenierung, war Tommy Sommers letzte Vorstellung am Pult. Als sie zu Ende war, bedankte er sich über den Theaterfunk wie immer bei den Mitwirkenden für ihre Arbeit. Seinen gewöhnlich letzten Satz, er wünsche allen einen guten Weg nach Hause, brachte er nicht mehr über die Lippen. Er trug die Uhrzeit des letzten Vorhangs ins Vorstellungsprotokoll ein, dann blieb er eine Weile auf seinem Barhocker sitzen, blickte auf die leuchtenden Knöpfe, sagte nichts.

Sieben Monate später ist er am Krebs gestorben.

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