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Träumt von europäischem Netflix: Digitalkommissarin Gabriel

© Emmanuel Dunand/AFP

Digitaler Binnenmarkt: Der lange Weg zum europäischen Netflix

Seit Jahren verspricht die EU-Kommission einen digitalen Binnenmarkt. Sie kommt aber nur langsam voran, wie vor allem Videoinhalte zeigen.

Andrus Ansip ist genervt. Seit vier Jahren lebt der aus Estland stammende Politiker nun schon in Brüssel, Ansip ist Vizepräsident der EU-Kommission und zuständig für den digitalen Binnenmarkt. Seine Freizeit ist zwar knapp bemessen, doch auch Ansip setzt sich zum Ausspannen gern mal vor den Fernseher. „Ich würde da auch gern Inhalte aus Estland sehen“, sagt Ansip. Aber, ergänzt er und kreuzt die Arme vor der Brust: „No way“ – keine Chance. Statt Olympia mit den Kommentaren und Präferenzen aus Estland erhält auch einer der mächtigsten Politiker Europas nur den Hinweis: Dieser Inhalt ist in ihrem Land nicht verfügbar.

Das nervt auch Deutsche, die im Urlaub Bundesliga schauen oder zum Sprachen üben auch mal spanische oder französische Filme schauen möchten. Doch für jemanden wie Ansip ist die bestehende Kleinstaaterei im Fernsehmarkt besonders ärgerlich. „Es gibt in Europa 20 Millionen Menschen wie mich, die in einem Land geboren sind aber in einem anderen arbeiten“, sagt der Kommissar. Ein besserer Zugang zu digitalen Inhalten ist daher eines der wichtigsten Ziele der Kommission. Zudem ein zentrales Element auf dem Weg zu einem digitalen Binnenmarkt, den die EU-Kommission eigentlich bis 2020 schaffen will. 43 Initiativen hat sie dafür auf den Weg gebracht, davon 25 Gesetze. Aber erst auf elf konnten sich die Mitgliedsstaaten einigen. Die anderen sollen bis Ende des Jahres abgeschlossen werden.

Neue Pläne für Digitalplattformen und Künstliche Intelligenz

„Wir müssen uns beeilen“, sagt der Este Ansip. Auch ihm läuft langsam die Zeit davon. Die Amtszeit der aktuellen Kommission endet im kommenden Jahr, im Mai 2019 finden Europawahlen statt. Und so versuchen die Digitalpolitiker noch so viel wie möglich abzuschließen und anzustoßen. Ende April wollen sie noch eine ganze Reihe an Projekten präsentieren. „Wir werden dann beispielsweise einen Vorschlag zum Umgang mit künstlicher Intelligenz machen“, sagt Ansip. Ein weiteres Thema ist die Regulierung digitaler Plattformen wie Amazon.

Denn auch die europäische Wirtschaft steht unter Druck. „Die erste Halbzeit der Digitalisierung haben wir verloren“, räumte Telekom-Chef Timotheus Höttges schon 2014 ein. Doch seither ist die Dominanz von Google, Apple, Amazon und Facebook nicht kleiner geworden. Um das zu ändern soll auch eine deutsche Idee aufgegriffen und europaweit umgesetzt werden: Das Leistungsschutzrecht. Durch die 2013 eingeführte Regelung können Verlage von Unternehmen wie Google Lizenzgebühren verlangen, wenn sie ihre Inhalte gewerblich nutzen. Das zielt insbesondere auf die Nachrichtenübersicht bei Google News. Das Leistungsschutzrecht gilt nämlich auch für kurze Textausschnitte, doch wo die Grenze verläuft ist nicht klar definiert.

Hierzulande erteilten die großen Verlage Google jedoch eine Gratislizenz zur Nutzung, der Suchmaschinenriese hätte alternativ die Inhalte der Verlage, die das nicht wollen, nicht mehr in der News-Rubrik angezeigt. In Spanien, wo ein ähnliches Gesetz eingeführt worden war, hat Google sein News-Angebot gleich ganz abgeschafft. Das Leistungsschutzrecht sei „ökonomisch wertlos“ stellte daher die Gemeinsame Forschungsstelle der EU-Kommission fest. Trotzdem soll es als Teil einer neuen Urheberrechtsreform auch europaweit eingeführt werden. „Das hilft den Verlegern eine bessere Verhandlungsposition zu erhalten“, sagt Ansip. Schließlich würde der Großteil der Online-Werbung auf Google und Facebook entfallen.

Streit um europaweites Leistungsschutzrecht

„Es gibt tatsächlich eine starke Konzentration auf dem Online-Werbemarkt“, räumt Julia Reda ein, die für die Piratenpartei im EU-Parlament sitzt. Doch das Urheberrecht sei der falsche Hebel, um dagegen anzugehen. „Eine Regulierung des Online-Werbemarktes wäre viel sinnvoller, Fernsehwerbung ist schließlich auch stark reglementiert“, sagt Reda. Der Ausgang der Auseinandersetzung ist noch offen, in den kommenden Wochen will das Parlament über die Pläne zum Urheberrecht abstimmen.

Die langen Verfahren zwischen Kommission, Parlament und Mitgliedsstaaten sind ein Grund dafür, dass der digitale Binnenmarkt nur langsam entsteht. Das zeigt sich auch am Geoblocking, dem Sperren von Medieninhalten in bestimmten Ländern. Ab 1.April wird das zumindest in kleinen Teilen aufgehoben. Wer dann im Ausland seinen bezahlten Zugang zu Plattformen wie Netflix oder Spotify nutzen möchte, bekommt dort auch die gleichen Inhalte wie zu Hause.

Zudem hat das EU-Parlament Anfang Februar ein weiteres Gesetz zur Abschaffung des Geoblockings beschlossen. Es bezieht sich jedoch nur auf den Online- Handel, künftig dürfen EU-Bürgern nicht mehr automatisch von Internetshops in anderen Ländern ausgeschlossen werden. Musik, E-Books oder Filme wurden aber wieder ausgeklammert, in zwei Jahren sollen diese Ausnahmen nochmal überprüft werden.

Die Zeit läuft ab. Vizepräsident Andrus Ansip willen bis Jahresende noch einiges umsetzen.
Die Zeit läuft ab. Vizepräsident Andrus Ansip willen bis Jahresende noch einiges umsetzen.

© AFP

„Irgendwann ist es zu spät“, warnt Urheberrechtsexpertin Reda. Schließlich ließen sich die Menschen unter 30 schon jetzt von technischen Sperren nicht abhalten, die letztlich nur die Nutzung illegaler Plattformen befeuerten. Gerade in Brüssel, wo viele Personen unterschiedlichster Nationen zusammenkommen, sei es selbstverständlich, Geoblocking zu umgehen. Trotzdem ist Ansip auch an anderer Stelle gerade mit dem Versuch gescheitert, den Zugriff auf Medieninhalte europaweit zu vereinfachen. Seit Monaten wird über die SatCab-Verordnung gestritten, mit der der Zugang zu Programmen über Satellit, Kabel und Internet neu geregelt wird. „67 Prozent der Filme, die mit EU-Geldern produziert werden, werden nur in einem Land gezeigt“, sagt Ansip. Doch nach geschlossenem Widerstand der Filmbranche in Europa wurde die geplante Öffnung von Mediatheken im Dezember gestoppt, nun geht es nur noch um einen besseren Zugang zu Nachrichten.

Politiker in Brüssel träumen von „europäischem Netflix“

Trotz der Rückschläge träumen die Politiker in Brüssel weiter von einem „europäischen Netflix“. Mariya Gabriel, Kommissarin für die Digitalwirtschaft, hat einen neuen Vorstoß dazu gerade auf der Berlinale präsentiert. Sie will ein europaweites Filmverzeichnis einführen. „Wir wollen das im Oktober starten“, kündigte Gabriel an. Zunächst ist die Plattform für Geschäftskunden gedacht. „Im zweiten Schritt könnte man das auch für Bürger öffnen“, sagt die Bulgarin. „Das wird natürlich heikler“, räumt die Nachfolgerin von Günther Oettinger ein. „Mein Ziel ist es aber, auch den Bürgern zu ermöglichen diese Filme zu sehen“, sagt Gabriel. Versuchen müsse man es zumindest. Da hat sie die gleiche Einstellung wie Kommissionsvize Ansip. Der Este beruft sich gern auf den Philosophen Karl Popper und dessen Einschätzung: „Optimismus ist unsere Pflicht.“

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