zum Hauptinhalt
Konkurrenz für Google wäre gut, sagt Heike Schweizer.

© imago/UPI Photo

Wettbewerbsexpertin Heike Schweitzer: "Sorge um Innovationsfähigkeit der deutschen Wirtschaft ist berechtigt"

Die Wettbewerbsexpertin Heike Schweitzer spricht über Dividenden aus Datenpools, digitale Butler wie Amazons Alexa und Deregulierung in Deutschland.

Frau Schweitzer, Sie sind Expertin für Wettbewerbsrecht, beraten EU-Kommissarin Margrethe Vestager und die deutsche Regierung, die Tech-Giganten wie Google, Amazon, Facebook und Apple Grenzen setzen wollen. Nutzen Sie diese sogenannten GAFA-Plattformen eigentlich selbst?

Ich bin durchaus überzeugt von den vielen Vorzügen der GAFA-Ökonomie, nutze selber Google, Amazon und Apple-Produkte. Bei Facebook bin ich aber nicht.

Weil Sie sich um Ihre Daten sorgen?
Solche Bedenken kann man bei Facebook zwar haben, bei mir liegt's aber eher daran, dass mir die Zeit für die Nutzung sozialer Netzwerke fehlt. Aber selbstverständlich weiß ich, wie Facebook funktioniert.

Die USA haben GAFA, in China gibt’s Alibaba. Warum hat sich in Deutschland keine Plattform in diesem Ausmaß entwickelt?
Es gibt auch hier durchaus erfolgreiche Plattformen, die sind allerdings deutlich kleiner, beispielsweise im Bereich Events, Dating oder Immobilien – alles keine Giganten wie Facebook oder Google. Dass diese aus den USA und nicht aus Europa kommen, liegt aber nicht an einem zu strengen Wettbewerbsrecht, sondern eher an der in den USA besonders ausgeprägten Risiko- und Innovationsbereitschaft. Wir holen hier auf – hilfreich wäre es aber, diesen Prozess mit einem innovationsfreundlichen rechtlichen Rahmen zu unterstützen.

Wie werden risikofreudige Unternehmer in Deutschland denn bisher gebremst?
Wir regulieren neue Geschäftsideen regelmäßig über den rechtlichen Rahmen, der für die alten Geschäftsmodelle entwickelt worden ist. Deshalb können sich neue Geschäftsmodelle schwerer durchsetzen. Beispielsweise beim US-Fahrdienst Uber, der in Deutschland verboten wurde, weil für ihn die Gesetze der alteingesessenen Taxibranche gelten sollten. Sicher gibt es bei Uber Regulierungsbedarf. Aber dieser muss auf die neuen Marktgegebenheiten zugeschnitten werden. Dies passiert in den USA häufig schneller als hierzulande. Deshalb wäre es sinnvoll, in Deutschland eine Deregulierungskommission einzurichten.

Was müsste diese Kommission für Deregulierung machen?
Sie müsste sektorspezifisch arbeiten. Sich also ansehen, ob die Regulierung beispielsweise für den Bereich Transport oder Mietmarkt noch adäquat ist oder Innovationen verhindert werden. Dafür braucht man aber mehr Zeit als ein knappes Dreivierteljahr, wie wir es jetzt für die Arbeit mit der Kommission Wettbewerbsrecht 4.0 haben.

Ist die Regierung bereit, eine solche Kommission einzurichten?
Ich sehe in allen Ministerien eine große Bereitschaft, Digitalthemen anzufassen. Nach meinem Eindruck wird alles, was verspricht, Innovationen zu begünstigen, mit viel Wohlwollen angehört. Deshalb kann ich mir vorstellen, dass wir eine solche Kommission für Deregulierung bekommen werden.

Ist es überhaupt problematisch, dass Deutschland keine großen Plattformen wie Google und Facebook hat?
Ich glaube, wir fokussieren uns in der gegenwärtigen Debatte zu sehr auf die großen GAFA-Plattformen. Es wäre schlecht, wenn wir die gesamte Digitalökonomie oder die neuen Entwicklungen in der Datenökonomie verpassen würden. Oder wenn in Deutschland und Europa gar keine erfolgreichen Plattformen entstehen würden. Das ist ja aber nicht der Fall. Deutschland war bisher in vielen industriellen Bereichen führend, diese Stärken werden nun mit neuen Technologien wie Künstlicher Intelligenz verbunden. Ich bin zuversichtlich, dass deutsche Unternehmen auf diesem Gebiet zu wettbewerbsstarken Playern werden können.

Dienste wie Amazon wachsen aber nicht nur rasant in der Breite, sondern auch in der Tiefe: Der Online-Händler bietet für Prime-Kunden auch Musik- und Videodienste an.
Dass verschiedene Branchen verschmelzen und Unternehmen in andere Märkte hineintreten, ist Teil des normalen Wettbewerbsprozesses. Es ist aber problematisch, wenn ein marktbeherrschendes Unternehmen, gerade ein Plattformbetreiber, durch Kopplungsstrategien Anreize für Kunden schafft, nicht zu einer anderen Plattform zu wechseln. Amazon Prime kann unter diesem Gesichtspunkt womöglich negative Folgen für den Wettbewerb haben. Es hat natürlich auch Vorteile für die Kunden. Deshalb ist die wettbewerbsrechtliche Einordnung schwer.

Welche Rolle spielt dabei Amazons digitale Sprachassistentin Alexa?
Alexa geht mit einem anderen Problem für den Wettbewerb einher. Denn Amazon ist ja nicht nur eine Handelsplattform, sondern dort auch selbst als Verkäufer tätig. Amazon könnte Alexa nun etwa dafür nutzen, die Nachfrage der Kunden auf die eigenen Angebote zu steuern. Wenn wir selbst auf Amazon Waschpulver bestellen, treffen wir eine aktive Wahl. Wenn wir sagen: „Alexa, bestellt mal Waschpulver!“, dann wissen wir nicht, unter welchem Gesichtspunkt Alexa eine Auswahl trifft. Das kann dann den Leistungswettbewerb auf den jeweiligen Produktmärkten gefährden, in diesem Fall also auf dem Markt für Waschpulver.

Wie wollen Sie dagegen vorgehen?
Das Problem liegt vor allem darin, wie Alexa und Co. konstruiert sind. Der Name digitaler Butler allein zeigt ja schon, dass sie dem Kunden dienen sollen, ihm gegenüber also eine Interessenwahrungspflicht haben müssen – und nicht als Diener der Interessen von Amazon agieren dürfen. Das ist rechtlich bisher nicht eindeutig geklärt, deshalb halte ich es für sinnvoll, eine solche Interessenwahrungspflicht gegenüber dem Verbraucher rechtlich zu verankern.

Wie könnte man das machen?
Das kann man im Prinzip aus dem Vertragsrecht heraus entwickeln – ganz ohne regulatorischen Eingriff. Zivilgerichte können vertragliche Treuepflichten für digitale Assistenten etablieren. Die Treuepflicht würde verletzt, wenn dem Kunden ein teureres, schlechteres oder ein Produkt verkauft wird, das nicht seinen Präferenzen entspricht.

Plattformen wie Amazon wissen aber nicht nur, welches Waschpulver ein Kunde bevorzugt, sondern sie sammeln auch zahlreiche andere Daten. SPD-Chefin Andrea Nahles will sie nun zwingen, diesen Datenschatz zu teilen, damit auch kleinere Unternehmen eine Chance im Wettbewerb haben. Ist das eine gute Idee?
Die Sorge um die Innovationsfähigkeit der deutschen Wirtschaft ist berechtigt. Denn Künstliche Intelligenz wird eine immer größere Rolle spielen und wichtiger Teil des Wettbewerbs werden. Damit KI aber funktioniert, sind große Datenmengen erforderlich, über die viele kleine Unternehmen eben nicht verfügen. Wenn sie in diesem äußerst innovativen Markt mitspielen wollen, muss ihnen Zugang zu solchen Daten verschafft werden.

Wie kann das gewährleistet werden?
Wir sollten für Unternehmen Anreize schaffen, ihre Daten zu teilen, beispielsweise über Datenpools, die große Datenmengen aktiv vermarkten. Und womöglich sollten Anreize für natürliche Personen geschaffen werden, ihre Daten in gemeinsame Datenverwertungspools zu geben. Sie bekämen dann regelmäßig eine Dividende ausgezahlt. Aus bislang häufig monopolartigen Datenmärkten könnten so wettbewerbliche Märkte werden.

Dieses Interview ist zuerst im neuen Entscheider-Briefing Tagesspiegel Background Digitalisierung & KI erschienen. Jetzt testen: https://background.tagesspiegel.de/digitalisierung/ .

Heike Schweitzer ist Sonderberaterin von EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager und Co-Vorsitzende der Kommission Wettbewerbsrecht 4.0. Sie hat einen Lehrstuhl an der Humboldt-Universität.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false