zum Hauptinhalt

Wirtschaft: Direktvertrieb: Mami, ein Mann mit Staubsauger steht an der Tür

Peter Berberich ist viel rumgekommen. Er kennt sich aus in Deutschland.

Peter Berberich ist viel rumgekommen. Er kennt sich aus in Deutschland. Er kennt die Reihenhaussiedlungen Braunschweigs, die Villenviertel Hamburgs, die Wohnblocks Magdeburgs - und das nicht nur von außen. Er weiß auch, wie es in den deutschen Wohnstuben aussieht, ist bis in die hintersten Winkel vorgedrungen, dort wo der Staub besonders hoch liegt. Denn Staub ist sein Geschäft: Peter Berberich verkauft Teppichreiniger für die Firma Vorwerk. Die Reinigungssysteme des Wuppertaler Unternehmens, das mit dem Handstaubsauger Kobold vor 71 Jahren weltberühmt geworden ist, sucht man in den Schaufenstern von Kaufhäusern und Elektrogeschäften vergebens. Bei Vorwerk läuft alles über den Direktvertrieb: Die Verkaufsräume sind die Wohnzimmer der Kunden.

Nicht nur Vorwerk setzt auf den direkten Weg zum Kunden. "Jedes zehnte Auto, jedes vierte elektrische Haushaltsgerät und vier von zehn Fertighäusern finden in Deutschland über den Direktvertrieb ihren Käufer", sagt Anja Paulsen-Stock vom Bundesverband Direktvertrieb. So setzten allein die 29 Mitgliedsfirmen des Verbandes im ersten Halbjahr 2001 rund 2,2 Milliarden Mark um. "Gerade im Internetzeitalter machen der persönliche Kontakt und die individuelle Beratung den Direktvertrieb attraktiv", erklärt Paulsen-Stock.

Das sieht Verkaufsleiter Peter Berberich genauso. Der Kunde wisse vor lauter Angeboten gar nicht mehr, was er kaufen solle und lechze geradezu nach kompetenter Beratung. Und mit Kundenwünschen kennt Berberich sich aus, schließlich ist er seit 13 Jahren im Haustürgeschäft tätig. Über 50 000 Verkaufsgespräche hat er schon geführt und zehnmal so viele Klingelknöpfe gedrückt. Begonnen hat seine Karriere als Vertreter für Reinigungsgeräte am Frühstückstisch seiner Eltern. Dort wurde er von einem Vorwerk-Berater angesprochen, der im Esszimmer gerade Mutter Berberich das neueste Zubehör für den Kobold vorführte. "Damals habe ich mir nicht vorstellen können, mit dem Verkauf von Staubsaugern mein Geld zu verdienen", erinnert sich der gelernte KFZ-Mechaniker. Trotzdem stellte Berberich sich bei Vorwerk vor und begleitete einen Fachberater zwei Tage lang bei seiner Arbeit. Danach sei er mit dem "Koboldgeist" infiziert gewesen.

Der berufliche Werdegang von Peter Berberich ist typisch für die Außendienstler bei Vorwerk. Denn das Unternehmen rekrutiert seine Vertreter zum größten Teil aus dem eigenen Kundenkreis. Da kommt es dann auch mal vor, dass der Nachwuchs schon 50 Jahre alt ist. "Das Alter spielt keine Rolle, bei uns zählen Fleiß und Selbstdisziplin", sagt Beate Ridzewski, Marketingleiterin bei Vorwerk. Denn die 7757 Berater sind als selbstständige Handelsvertreter auf Provosionsbasis beschäftigt. Und selbstständig bedeutet bei Vorwerk, selbst und ständig zu arbeiten. Wohl auch ein Grund, warum mittlerweile jeder dritte Haushalt in Deutschland mit einem Vorwerk-Staubsauger ausgestattet ist. Der Kobold ist zu einem Familienprodukt geworden, das von Generation zu Generation weitervererbt wird. Und so sind Jung und Alt im Kundenkreis von Vorwerk vertreten.

Die Grundregeln des Direktvertriebs haben sich bei Vorwerk seit den 30er Jahren kaum geändert: Nach wie vor vereinbaren die Vertreter mit ihren Kunden keine Termine, sondern ziehen von Haustür zu Haustür. Und wenn ein Kunde nicht daheim ist, kommen sie wieder - so lange bis sie jemanden antreffen. "Unsere Vertreter sind täglich zehn Stunden unterwegs. Vor 20 Uhr ist nicht an Feierabend zu denken", sagt Berberich. 50 Haushalte pro Tag sind das normale Pensum eines Fachberaters, ein bis zwei Vertragsabschlüsse sind der Lohn. Der monatliche Verdienst liegt - je nach Verkaufsleistung - zwischen 4000 und 12 000 Mark.

Die Vorwerk-Berater hasten nicht als Einzelkämpfer durch Deutschlands Straßen, sondern sie arbeiten als Team. Für einen Bezirk sind jeweils sieben Vertreter zuständig. Vor Arbeitsbeginn trifft sich die Gruppe zu einem gemeinsamen Frühstück und auch die Mittagspause wird im Kollektiv verbracht. Getreu dem Wahlspruch der drei Musketiere "Einer für alle, alle für einen" teilen sie Erfolg und Niederlage. Die gegenseitige Unterstützung ist wichtig, denn das Leben eines Vertreters kann manchmal ganz schön hart sein. "Wenn einem die Tür vor der Nase zugeschlagen oder man beschimpft wird, muß man des wegstecken können", sagt Berberich. Die beste Methode gegen solche Mißerfolge sei es, gleich die nächste Klingel zu drücken. Denn Resignation ist im Vertretergeschäft tödlich. Die Mühe und Ausdauer wird bei Vorwerk mit ausgezeichneten Aufstiegsmöglichkeiten belohnt. Wie Peter Berberich haben alle Außendienstmitarbeiter in führender Position auf der Straße angefangen. "Nur wer das Beraterleben aus eigener Erfahrung kennt, besitzt auch die Kompetenz, ein Verkaufsgebiet zu leiten", erklärt Beate Ridzewski die Vorwerk-Philosophie.

Deutschlandweit verkaufen Unternehmen jährlich Waren im Wert von 280 Milliarden Mark über den Direktvertrieb. Zum Vergleich: Der stationäre Handel setzt pro Jahr 952 Milliarden Mark um, der Versandhandel nur 40 Milliarden Mark. Trotzdem sagen viele Unternehmensberater den Handelsvertretern eine düstere Zukunft voraus: Das Internet wird das Geschäft an der Haustür überflüssig machen. Schließich ermögliche der elektronische Handel den Unternehmen bis zu 80 Prozent ihres Aufwandes im Innen- und Außendienst einzusparen, heißt es etwa bei der Beratungsfirma McKinsey. Als leuchtendes Beispiel für ein erfolgreiches Internetkonzept wird häufig der Computerhersteller Dell genannt. Im stationären Handel sind Dell-Rechner nicht erhältlich. Privatkunden können einen PC nur über das Netz oder ein Call-Center ordern. Das Gerät wird dann auf Bestellung gefertigt. Dadurch kann Dell die Lagerkosten extrem gering halten. Dementsprechend günstig werden die Computer an die Kunden weitergegeben. Trotz der Niedrigpreise liegt das Privatkundengeschäft bei Dell unter zehn Prozent. Denn beim Kaufverhalten vieler Menschen spielt nicht nur der Preis eine Rolle. "Oft baut sich bei den Kunden eine Barriere im Kopf auf, wenn es darum geht, ein Distanzgeschäft zu tätigen", erklärt Jörg Link, Professor für Betriebswirtschaft an der Universität Kassel. Die meisten wollen vor dem Kauf das Produkt sehen, anfassen und ausprobieren können.

Deshalb prophezeit auch Michael Zacharias, Professor für European Business und Handelsmanagement an der Fachhochschule Worms, dem Direktvertrieb eine wachsende Bedeutung. Der Verbraucherwunsch nach individueller Beratung und der Hang zur Bequemlichkeit lasse das eigene Heim verstärkt zum Mittelpunkt der geschäftlichen Begegnung werden.

Dass die menschliche Begegnung ein zentrales Verkaufsmoment ist, hat Peter Berberich schon zu Beginn seines Vertreterdaseins erfahren. Einer seiner ersten Kunden wollte ihn zunächst gar nicht in die Wohnung lassen. "Hast du nichts anständiges gelernt", raunzte ihn der ältere Herr an. "Was haben Sie denn gelernt", fragte Berberich höflich zurück. "Na denn komm mal rein mein Junge, ich erzähl es dir." Zwei Stunden lang lauschte Berberich den Ausführungen, bestaunte Fotoalben und schlürfte Kaffee. Dann wollte er sein Staubsauger-System vorführen. "Lass mal stecken mein Junge, ich nehm das Ding auch so", winkte der Kunde ab. "So einfach habe ich nie wieder einen Staubsauger verkauft", lacht Berberich.

Dagmar Rosenfeld

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false