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Diversity 2013: Für jeden was dabei

Wer die Vielfalt der Gesellschaft in der Wirtschaft berücksichtigen möchte, kann beim Produktdesign anfangen.

Von Maris Hubschmid

Vor mehr als zehn Jahren stellte der schwedische Autobauer Volvo ein Team aus Mitarbeiterinnen zusammen und gab ihm die Aufgabe, ein Auto speziell für die Bedürfnisse von Frauen zu konzipieren. Mit überraschenden Ergebnissen. Die Kopfstützen des Volvo YCC („Your Concept Car“) hatten Einbuchtungen für Fahrerinnen mit Pferdeschwanz. Die Reifen verfügten über eine Notlaufeigenschaft, die es ermöglichte, auch mit beschädigten Reifen noch weiterzufahren und eine Werkstatt aufzusuchen – Reifenwechsel am Straßenrand sollten vermieden werden. Das Betanken wurde ohne Tankdeckel geregelt, denn Studien im Auftrag des Herstellers hatten ergeben, dass weibliche Nutzer Abdeckungen, die man entfernen muss, als besonders störend empfinden.

Der Wagen wurde nie gebaut. Womöglich wurde die Ausstattung zu teuer. Vielleicht lag es auch daran, dass das Modell teils heftig kritisiert wurde: So verfügte es erklärtermaßen über Flügeltüren, um das Beladen mit Einkäufen und das Einsteigen von Kindern zu erleichtern. Ein beleidigender und diskriminierender Ansatz, monierten einzelne Vertreterinnen der Zielgruppe.

„Das Beispiel zeigt aber: Frauen haben durchaus andere Ansprüche an ein Auto als Männer“, sagt Armgard von Reden, Dozentin an der Leibniz Universität in Hannover. „Und dass es nicht damit getan ist, etwas pink zu lackieren, wenn man Frauen ansprechen möchte.“ Gemeinsam mit ihren Studentinnen und Studenten widmet sich die Wissenschaftlerin dem Thema „Diversity by Design“ – was in dem Fall genau nicht oberflächlich zu verstehen ist, sondern als die nutzerorientierte Produktentwicklung von Anfang an.

In der Regel seien Designer Männer, schon gar in Branchen wie der Automobilindustrie, und die designten – ohne dass man ihnen das zum Vorwurf machen wollte – eben nach den Vorstellungen, die sie aus ihrer Erlebniswelt kennten, sagt von Reden. „Aber wenn Sie ein Produkt gestalten, müssen Sie sich überlegen, für wen.“ Im übrigen sei blau die häufigste Lieblingsfarbe von Frauen. Entscheidender aber sei die Funktionalität: Frauen haben andere Bedürfnisse und Prioritäten als Männer, Erwachsene andere als Kinder. Das klingt selbstverständlich, wird aber längst nicht selbstverständlich auch handlungswirksam. Die erste Spracherkennungssoftware reagierte nur auf Herrenstimmen. Und auch für die Dosierung von Medikamenten waren lange Jahre junge kräftige Männer der Maßstab. „Kinder nur eine halbe Tablette“, dieser Hinweis ist noch in vielen Packungsbeilagen die einzige Einschränkung.

Einer für alle funktioniert nicht mehr

Wie schon das „Diversity Management“ überhaupt und Ergänzungen wie „Diversity and Inclusion“, was grob erklärt meint, dass man Vielfalt in Belegschaften nicht nur schaffen, sondern auch nutzen soll, wurde auch der Begriff „Diversity by Design“ zunächst in den USA populär. „Die Idee, dass Produkte differenziert werden müssen, um auf Kundeninteressen Rücksicht zu nehmen, ist dabei vergleichsweise alt“, sagt Doreen Pick vom Marketingdepartement am Fachbereich Wirtschaftswissenschaften der Freien Universität Berlin. Jetzt aber zeige sich immer stärker die Notwendigkeit der Individualisierung. „Die Ansprüche der Konsumenten haben sich verändert, sie wollen oder müssen etwas anderes haben“, sagt Pick.

Einer für alle, der Wagen fürs Volk, funktioniert so nicht mehr. Dass es eine wachsende Zahl älterer Menschen gibt, zwingt Hersteller zum Umdenken. Handys sind zunehmend so konzipiert, dass auch Senioren sie bedienen können. „Das E-Book ist eine Chance für alle, die in größerer Schrift lesen wollen“, sagt Pick. Viele Websites seien da noch nicht so weit. Wirklich behindertengerecht sind nur die wenigsten, sagt Armgard von Reden. Die meisten Programmierprogramme bieten die Möglichkeit, Bilder mit Blindenuntertiteln zu versehen, die dann zum Beispiel von Sprachcomputern vorgelesen werden können. Aber nur wenige Website-Anbieter machen von ihr Gebrauch.

„Die Idee lässt sich letztlich auf jedes demografische Kriterium übertragen“, sagt Marketing-Fachfrau Pick. So weit ausweiten, wie Diversity Dimensionen hat: Vielfalt ist auch sexuelle Vielfalt, religiöse und kulturelle Vielfalt, umfasst Singles, Alleinerziehende und Großfamilien. Wer als Unternehmen deutlich macht, dass er das verstanden hat, kann punkten, sagt Pick. Ein Imagegewinn – ein finanzieller auch. In Deutschland war die Targobank eine der ersten, die mit türkischsprachigen Beratern warb.

„Die Bank hat damit eine Minderheit im Land angesprochen, aber eine nicht eben kleine.“ Für Produkte, die auf individuelle Bedürfnisse und Interessen abgestimmt seien, ließen sich am Markt auch deutlich höhere Preise erzielen, sagt Pick. Schon deshalb, weil die Konkurrenz kleiner werde, je spezifischer die Eigenschaften seien, die ein Gebrauchsgegenstand biete. „Es lohnt sich, Produkte für mehr Menschen zu machen, weil dann mehr Menschen erreicht werden“, sagt Michael Sengpiel, Ingenieurpsychologe an der Humboldt-Universität Berlin (HU). „Überall wird ausgeschlossen durch Technik. Wenn die Gebrauchstauglichkeit steigt, hat man ein besseres Produkt.“

Diversity-Gedanke in der DNA

Diversity by Design ist auch in der Stadtplanung ein Thema, ein Aspekt von Infrastruktur mit wachsender Bedeutung. „Inzwischen sagen die Fachleute: Im Radius von 500 Metern sollte immer eine Bank stehen, damit ältere Menschen sich ausruhen können“, weiß von Reden. Öffentliche Unternehmen gehen auch mehr und mehr dazu über, Verbraucher zu befragen. Wie würde eine Mutter mit Zwillingskinderwagen einen Bus-Innenraum gestalten? Als die BVG jüngst überlegte, das sogenannte Kneeling, mit dem sich Busse beim Halt zur Türseite hin neigen, nur noch im Ausnahmefall einzusetzen, protestierten Fahrgastverbände erfolgreich.

Noch im Aufbau ist das Internetportal „Code for all“, wiederum nach amerikanischem Vorbild, das von Städten und Gemeinden bundesweit unterstützt und von einer Kreuzberger Firma umgesetzt wird. Bürger sollen dort ihre Meinung Kund tun können dazu, wie bestimmte Dinge und Prozesse in der öffentlichen Verwaltung organisiert sind. „Das ist das oberste Gebot für unternehmerischen Erfolg: Kenne deine Kunden. Befrage sie“, sagt HU-Mann Sengpiel.

„Jedes Unternehmen sollte überlegen: wie schaffe ich in meinen Prozessen Stoppschilder, bei denen überprüft wird: Haben wir an alle Zielgruppen gedacht?“, appelliert Armgard von Reden. „Wenn man nicht alle erreichen kann, sollte man versuchen, möglichst viele zu erreichen“, sagt Sengpiel. Leider werde für weniger zahlungskräftige Zielgruppen meist weniger Aufwand getrieben. Besser aber, sagt Dozentin von Reden, könne man in einer Organisation kaum beginnen, Vielfalt ins Unternehmen zu bringen. „Wenn eine Firma den Diversity-Gedanken in der DNA hat, lösen sich auch andere Fragen des Diversity-Managements leichter.“

Vielfältiger zusammengesetzte Teams haben vielseitigere Ideen, so entstehen ungewöhnlichere Produkte, die sprechen mehr Menschen an. Vielfalt berücksichtigen ist eine ethische Frage – eine wirtschaftliche genauso. Wir haben alle im Blick, einen weiten Horizont: Das kann auch ein wichtiges Signal an die Mitarbeiter sein. Die ja auch Zielgruppe sind, auf die eine oder andere Art. Konsumenten und Fachkräfte.

„Diversity by Design“ ist Thema in einem von vier Workshops auf der Konferenz DIVERSITY 2013

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