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Marcel Fratzscher hält wenig von einem einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn. Sei er zu niedrig, bringe er nichts. Sei er zu hoch, koste er Jobs.

© Paul Zinken

DIW-Chef Fratzscher: "Ein Währungskrieg bringt niemandem etwas"

Seit Februar leitet Marcel Fratzscher das traditionsreiche Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin. Mit dem Tagesspiegel spricht er über seine Pläne, den Euro und die deutsche Inflationsangst.

Herr Fratzscher, Sie wechseln von der überaus mächtigen Europäischen Zentralbank (EZB) zum DIW. Ist das nicht ein Abstieg?

Ich sehe es als neue Herausforderung. Das DIW Berlin zu leiten, ist eine große Ehre. Das DIW forscht und berät wirtschaftspolitische Entscheidungsträger. Da ist das Themenspektrum sehr breit. Zudem fallen in Berlin wichtige Entscheidungen für Deutschland und Europa.

Bei der EZB haben Sie eine Abteilung mit 30 Topexperten in Sachen Finanzkrise geleitet, beim DIW sind es nicht annähernd so viele.

Unser Themenspektrum ist viel breiter als das einer Zentralbank. Das DIW ist stark bei vielen Themen, die direkt und indirekt mit der Krise zu tun haben – so zum Beispiel in den Bereichen des Arbeitsmarkts, Wettbewerbsfähigkeit, Finanzmärkte, die Verteilung von Einkommen und Vermögen. Die Stärke des Hauses mit seinen 250 Mitarbeitern ist auch, dass es fächerübergreifend arbeitet. Diese Interdisziplinarität ist wichtig und wertvoll, um die Krise in der Vielfalt ihrer Ursachen und Auswirkungen verstehen zu können.

Ist das DIW noch das beste deutsche Wirtschaftsinstitut, oder sind andere vorbeigezogen?

Das DIW ist eines der führenden Institute. Dies hat die offizielle Evaluierung des Instituts im letzten Jahr auch bestätigt. Und bei seinen Schwerpunkten ist das DIW Spitze. Wir haben Ökonomen, Soziologen, Politologen, arbeiten fächerübergreifend, das ist unsere Stärke und unser Alleinstellungsmerkmal. Kein Institut kann alle Facetten von Wirtschaft und Politik abdecken.

In Sachen Konjunktur rangiert das DIW seit Jahren unter ferner liefen.

Mein Auftrag ist, das Institut hier wieder zu stärken. Wir haben dafür wichtige Veränderungen auf den Weg gebracht und werden die Abteilungen Makroökonomie, Konjunktur und den neuen Bereich Weltwirtschaft auch personell deutlich ausbauen. Die zu benennenden Abteilungsleiter in Makroökonomie und in Weltwirtschaft sollen zugleich als Professoren an den Berliner Universitäten tätig werden; auch da mir eine engere Kooperation mit den Universitäten wichtig ist. Dieser Aufbau geht sicherlich nicht von heute auf morgen, aber in den kommenden zwei Jahren soll das DIW auch in diesem Bereich dorthin zurückkehren, wo es hingehört.

Also in den Kreis der Institute, die Konjunkturprognosen für die Regierung erstellen.

Wir haben bereits wieder ein starkes Team in der Konjunkturpolitik, das sehr gute Arbeit macht und mit dem wir versuchen, dieses Jahr wieder dabei zu sein.

Ungefähr 50 Institute, Banken, Verbände und Ministerien beschäftigen sich mit der deutschen Konjunktur. Warum braucht es das DIW als Nummer 51?

Das DIW ist eines der ältesten und renommiertesten Institute in Deutschland und Europa. Es wurde 1925 als Institut für Konjunkturforschung gegründet und hat viele wissenschaftliche und wirtschaftspolitische Debatten über die Jahrzehnte mit geprägt. Ein wichtiger Wert der Wirtschaftsforschungsinstitute, der sie von vielen anderen Institutionen unterscheidet, ist ihre Unabhängigkeit, ihr wissenschaftlicher Anspruch, mit dem eine Brücke zwischen der reinen Wissenschaft und der Politik geschlagen werden soll.

Legen Sie Wert auf eine gewisse Berlinkompetenz am DIW?

Wir versuchen auch hier, immer wieder Themen zu setzen. Aber es ist sicherlich nicht unser Schwerpunkt. Der Auftrag von der Leibniz-Gemeinschaft zielt eher auf die deutsche und europäische Perspektive.

Wie erleben Sie das interne Klima? Das Haus soll gespalten sein in Anhänger und Gegner Ihres Vorvorgängers Klaus Zimmermann.

Ich denke, da ich von außen komme, kann ich Ihre Vermutung neutral beurteilen. Ich nehme das Institut als sehr harmonisch wahr, es gibt viele junge, motivierte und sehr kompetente Mitarbeiter. Von Fraktionen und Kämpfen innerhalb des Hauses sehe ich nichts.

Wie sehen Sie Ihre Rolle? Wollen Sie als Berater am Tisch der Kanzlerin sitzen?

Es ist Anspruch des DIW, die wirtschaftspolitischen Entscheidungsträger durch solide und unabhängige Analyse zu beraten. Auch hier sehe ich die Arbeit des DIW vor allem als Team. Zudem brauchen wir eine Balance zwischen der Arbeit in den Medien und der Politikberatung hinter verschlossenen Türen. Dort werden ja die Meinungen und Strategien geformt.

Würden Sie der nächsten Bundesregierung einen einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn empfehlen?

Wir haben bereits branchenspezifische Mindestlöhne. Man sollte bei diesem Thema berücksichtigen, dass in den einzelnen Branchen die Produktivität sehr unterschiedlich ist.

Ist das ein Plädoyer für eine möglichst niedrige Grenze von, sagen wir, fünf Euro?

Nein, sicherlich nicht. Der Lohn eines Arbeitnehmers sollte seine Produktivität sehr eng widerspiegeln. Dies ist unabhängig von der normativen Frage, was man als eine faire Verteilung des Mehrwerts ansieht. Sondern dies ist wichtig auch von einer Effizienzperspektive, denn gute Löhne stärken das Humankapital, die wirtschaftliche Nachfrage und damit auch Wachstum und den Wohlstand, der verteilt werden kann. Daher wäre ich vorsichtig mit einem einheitlichen Mindestlohn. Wenn man ihn zu niedrig ansetzt, bringt er kaum etwas. Setzt man ihn zu hoch an, kostet er Jobs, vor allem der Arbeitnehmer, die man eigentlich schützen wollte.

"Die Krise ist mit Sicherheit noch nicht vorbei"

Als EZB-Ökonom waren Sie qua Amt ein Befürworter des Euro. Haben Sie im Zuge der Krise nie an der Währungsunion gezweifelt?

Der Euro war wichtig und richtig, für Deutschland wie für alle Länder Europas. Gezweifelt habe ich an der Art und Weise, wie er eingeführt worden ist. Wichtige institutionelle Strukturen haben gefehlt oder waren zu schwach. Man hätte etwa verhindern müssen, dass die Mitgliedsstaaten so hohe Staatsschulden anhäufen, und es hätte im Bankensektor von Beginn an eine europäische Aufsicht und Regulierung geben müssen. Dies heißt nicht, dass der Euro ein Fehler war, sondern dass diese fehlenden Stücke dazugefügt werden müssen, damit die Währungsunion nachhaltig ist.

Die großen Wirtschaftsblöcke versuchen derzeit, ihre Währungen künstlich abzuwerten. Wie lange kann sich die EZB dem Trend entziehen?

Ich hoffe, dass Europa bei diesem Abwertungswettlauf nicht mitmacht. Ein Währungskrieg ist nicht im Interesse Europas. Er bringt niemandem etwas. Die Produkte der Länder Südeuropas sind ja nicht per se zu teuer, sondern sie produzieren häufig die falschen Produkte. Ohnehin ist es gar nicht möglich, den Wechselkurs auf einem offenen, sehr liquiden Finanzmarkt dauerhaft zu manipulieren.

Wird der Euro nicht unweigerlich aufwerten, wenn die EZB nichts tut?

Der Euro ist mittlerweile eine globale Währung, deswegen ist er in der Krise so stabil geblieben. Eine Kapitalflucht im großen Stil hat es nicht gegeben. Europa sollte alles daran setzen, die anderen Wirtschaftsblöcke ins Boot zu holen und einen Währungskrieg zu verhindern. Denn ein solcher Konflikt bedeutet ein Scheitern der weltweiten wirtschaftspolitischen Koordinierung, die vor allem in der schwierigen globalen Wirtschaftslage wichtiger denn je ist.

Liegt der Höhepunkt der Finanzkrise hinter uns?

Die Krise ist mit Sicherheit noch nicht vorbei, aber seit Mitte 2012 hat sie sich beruhigt. Das Wachstum ist aber weiterhin schwach, die Euro-Zone wird auch 2013 nahe der Rezession bleiben. Und die Risiken bleiben – Italien steht vor der Wahl, Spaniens Bankensektor ist weiterhin verletzlich, ebenso Zypern. Es ist daher nicht ausgeschlossen, dass wir wieder eine Spirale aus sich verstärkender Angst, nervösen Finanzmärkten und steigenden Zinsen erleben.

Ist Zypern so wichtig für den Euro, dass man es retten muss?

Ja. Erstens, weil Solidarität mit jedem Euro-Land wichtig ist. Zypern hat ja auch seinen Beitrag zu den Rettungspaketen der anderen Krisenländer geleistet. Zweitens sollten wir als Lehre der letzten drei Jahre ziehen, dass es besser ist, eine solche Krise schnell und entschieden zu lösen, bevor sie sich vertiefen kann.

Gerettet würde aber wieder nicht ein Land, sondern dessen Finanzsektor – auf Kosten der Steuerzahler. Ist das gerecht?

Ich sehe das nicht so. Es geht bei Zypern nicht darum, nur die Banken zu retten, sondern auch das Land. Der Bankensektor muss massiv schrumpfen, die Wirtschaft muss sich nachhaltiger aufstellen, die Schulden müssen sinken. Darum geht es bei Hilfsprogrammen, nicht um einseitige Interessen.

Die EZB engagiert sich massiv im Kampf gegen die Schuldenkrise, viele Fachleute warnen vor einer deutlich anziehenden Inflation. Zu Recht?

Für solche Inflationssorgen liefert kein einziger Indikator konkrete Anhaltspunkte. Diese intensive Debatte gibt es übrigens vor allem in Deutschland – obwohl sich sicher niemand an die Inflation von 1923 erinnern kann und viele allzu gerne die Deflation, die mit der Depression von 1929 bis 1933 kam, auslassen. Was sicherlich stimmt, ist, dass die Unsicherheit, die allen Prognosen zurzeit unterliegen, auch denen über Inflation, noch deutlich erhöht ist.

Was sagen Sie Menschen, die angesichts der immensen globalen Schulden einen Kollaps des Finanzsystems fürchten, weil kein Land die Verbindlichkeiten je bedienen kann?

Dieses Unbehagen ist in Deutschland sehr ausgeprägt. Doch eine Lehre aus der Geschichte ist, dass Geldpolitik in Finanzkrisen mitunter unkonventionell sein muss. Als Anfang der dreißiger Jahre Banken zusammengebrochen waren, haben die Notenbanken eine sehr restriktive Politik verfolgt. Das hat zur schweren Depression beigetragen. Es ist in den kommenden Jahren von zentraler Bedeutung, dass wir vor allem die Staatsschulden fast aller Industrieländer, nicht nur in Europa, deutlich senken, damit diese nicht weiterhin ein Klotz am Motor der Konjunktur sind.

Wie wird die Konjunktur 2013 laufen?

Auch wenn es viele Unsicherheitsfaktoren gibt, erwarte ich, dass bis zum Sommer das Wachstum in Deutschland noch schwach bleiben wird. Vor allem, weil die Unternehmen erst allmählich wieder investieren und die externe Nachfrage sich schleppend erholt. Eine Rezession wird es aber nicht geben. Im zweiten Halbjahr sollte es dann deutlich aufwärts gehen, und ich erwarte eine volle Erholung in 2014.

Europa und die USA wollen eine Freihandelszone schaffen. Wie schnell kann das die Wirtschaft beflügeln?

Handel zu liberalisieren ist gut und hat mittel- bis langfristig positive Effekte. Unklar ist aber noch, wie weit das Abkommen gehen wird und für welche Branche es gilt. Man sollte nicht zu viel erwarten. Die Handelsbarrieren zwischen den USA und der EU sind ja schon niedrig. Eine konkrete Einigung erwarte ich frühestens in zwei oder mehr Jahren, ein kurzfristiger Schub für die Wirtschaft ist daher unwahrscheinlich.

Das Interview führte Carsten Brönstrup

DER PRÄSIDENT

Marcel Fratzscher (42) leitet seit Februar das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Zuvor war er bei der Europäischen Zentralbank Chef der Abteilung für internationale wirtschaftspolitische Analysen. Als Forscher kennt er sich vor allem mit Makroökonomie und Finanzwissenschaft aus. Er gilt als besonders produktiv.

DAS INSTITUT

Das DIW, 1925 gegründet, ist das größte deutsche Wirtschaftsinstitut. Es wird finanziert vom Bund, dem Land Berlin und durch externe Forschungsaufträge. In den vergangenen Jahren kam es mit Personalquerelen in die Schlagzeilen: Der Landesrechnungshof warf ihm vor, Geld falsch ausgegeben zu haben. 2011 musste daraufhin Klaus Zimmermann als Präsident gehen. Als Interimschef übernahm Gert Wagner, auf ihn folgt nun Fratzscher. brö

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