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Marcel Fratzscher, der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), fordert mehr Investitionen in Deutschland.

© dpa

DIW-Präsident zum Handelsüberschuss: Trump hat Recht, wenn er Deutschland Protektionismus vorwirft

Deutschlands Handelsüberschuss schafft globale Ungerechtigkeit und Investitionslücken im eigenen Land. Wir brauchen neue Strukturreformen. Ein Gastkommentar.

Donald Trump wirft Deutschland wegen der riesigen Handelsüberschüsse Protektionismus vor. Der US-Präsident mag mit vielen seiner Behauptungen falsch liegen, mit dieser hat er jedoch recht. In seinem neuen Bericht zeigt der Internationale Währungsfonds (IWF) auf, dass Deutschland eine Investitionslücke von fast fünf Prozent der Wirtschaftsleistung, 150 Milliarden Euro jährlich, hat. Diese Überschüsse verschärfen nicht nur die globalen Ungleichgewichte, Deutschland selbst zahlt einen hohen Preis, da diese Gelder für Investitionen in Bildung, Innovation und Infrastruktur fehlen. Das schadet künftigen Generationen.

Deutschland hatte im Jahr 2018 einen Leistungsbilanzüberschuss von 7,3 Prozent seiner Wirtschaftsleistung, oder mehr als 250 Milliarden Euro – den höchsten weltweit. Dieses Geld wurde von deutschen Unternehmen, Investoren und Banken nicht in Deutschland ausgegeben, sondern ist ins Ausland geflossen. Der IWF schätzt, dass Deutschland durch seine wirtschaftliche Struktur und Ausgangslage – alternde Gesellschaft, hoher Wohlstand, geringere Produktivität – einen Leistungsbilanzüberschuss von etwa 2,5 Prozent pro Jahr haben sollte.

Dies bedeutet, dass der Überschuss um etwa fünf Prozentpunkte zu hoch ist. Unternehmen und Haushalte sollten jedes Jahr 150 Milliarden Euro mehr in Deutschland, statt im Ausland investieren. Diese Zahlen sind noch höher als die vom Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin bereits 2013 geschätzte Investitionslücke von knapp 100 Milliarden Euro.

Zu wenige Investitionen und Ausgaben in Deutschland führen zu einem geringeren Produktivitäts- und Wirtschaftswachstum, zu einem geringeren Anstieg der Einkommen und des Wohlstands und könnten Deutschland als Wirtschaftsstandort weniger attraktiv machen. Und da diese Überschüsse, per Definition, die Neuschulden anderer Länder sind, trägt Deutschland somit in erheblichen Maße zu globalen Ungleichgewichten und Risiken bei.

Nicht nur Italien braucht Reformen

Der IWF betont, dass die deutsche Politik in der Pflicht ist. Die öffentlichen Ausgaben sollten jedes Jahr um 1,2 Prozent, 40 Milliarden Euro, höher sein, so die Washingtoner Institution. Die Zahl ist plausibel; laut Expertenkommission zur Stärkung von Investitionen Deutschland fehlen bei den Kommunen jedes Jahr viele Milliarden Euro an Investitionsmitteln.

Weitere 110 Milliarden Euro fehlen laut IWF an privaten Investitionen und Ausgaben in Deutschland. In fast keinem Land sind die Unternehmensgewinne und -ersparnisse höher als hier – was bei den Forderungen mancher nach generellen Steuersenkungen für Unternehmen geflissentlich ignoriert wird. Strukturreformen sind daher nicht nur in Ländern wie Italien das Gebot der Stunde, sondern auch in Deutschland. Lobbys nachzugeben und bestimmte Sektoren vor Wettbewerb zu schützen ist letztlich eine ähnliche Art des Protektionismus wie Donald Trumps Strafzölle auf Importe.

Die hohe Ungleichheit von Vermögen in Deutschland wird vom IWF als zentraler Grund für die zu hohen Ersparnissen genannt. Zu wenige Menschen profitieren signifikant vom Wirtschaftswachstum, wodurch auch die private Konsumquote in Deutschland relativ schwach bleibt. Der IWF empfiehlt der deutschen Politik, das Steuersystem grundlegend zu ändern, Vermögen deutlich stärker zu besteuern und mittlere und geringe Arbeitseinkommen steuerlich zu entlasten.

Deutschland selbst wäre der größte Gewinner

Nun meinen einige, dass die hohe Nettoersparnis Deutschlands durchaus sinnvoll erscheint, wenn deutsche Investoren und Unternehmen auf ihre Ersparnisse im Ausland höhere Renditen erwirtschaften können als in Deutschland. Ein großer Irrtum: Die deutschen Auslandsersparnisse haben in den vergangenen 20 Jahren Verluste von etwa 500 Milliarden Euro oder 15 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung eingefahren. Man wäre klug beraten gewesen, diese Gelder in Deutschland zu investieren.

Deutschlands riesige Leistungsbilanzüberschüsse sind eine Form des Protektionismus. Sie reflektieren eine riesige öffentliche und private Investitionslücke, die durch eine verfehlte Finanz- und Strukturpolitik mit verursacht wurde. Die deutsche Politik hat es in der Hand, diese Schwäche anzugehen, indem sie öffentliche Investitionen nachhaltig erhöht, den Wettbewerb in Dienstleistungssektoren verbessert und das Steuersystem reformiert. Dies wäre nicht nur ein wichtiger Beitrag zur Reduzierung der globalen Ungleichgewichte. Deutschland selbst wäre der größte Gewinner, da sie Wohlstand, Jobs und den Wirtschaftsstandort sichern würde.

Der Autor ist Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW).

Marcel Fratzscher

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