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Unternehmen hoffen, dass es mit der Wirtschaft nun wieder aufwärts geht.

© picture alliance / Swen Pförtner

Doch keine Rezession: Deutschlands Wirtschaft sieht jetzt "gelb-rot" statt "rot"

Die Wirtschaft wächst überraschend. Doch Wirtschaftsminister Altmaier sagt: "Das ist keine Entwarnung". Wie es weiter geht und was das für die Politik bedeutet.

Von Carla Neuhaus

Das war knapp. Die deutsche Wirtschaft ist noch einmal an der Rezession vorbeigeschrammt. Das Bruttoinlandsprodukt legte zwischen August und Oktober leicht um 0,1 Prozent zu, wie das Statistische Bundesamt am Donnerstag mitgeteilt hat. Experten hatten im Vorfeld ein Minus befürchtet. Trotzdem dämpfte Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) die Erwartungen. „Das ist ein zarter, aber sichtbarer Silberstreif am Horizont“, sagte er. „Das ist aber noch keine Entwarnung, weil die Konjunkturlage in Deutschland schwierig bleibt.“

Warum die Wirtschaft unerwartet wächst

Gerettet haben das Wachstum die Konsumenten. Sie haben im zweiten Quartal noch einmal mehr Geld ausgegeben und so die Wirtschaft angekurbelt. Davon profitieren Einzelhändler vom Elektronikmarkt bis zum Buchladen, aber auch Friseure, Restaurants, Taxibetreiber und Handwerker. Und Experten gehen davon aus, dass diese Konsumfreude weiter anhält. Für das Weihnachtsgeschäft zum Beispiel rechnet der Handelsverband Deutschland (HDE) mit einem neuen Rekord. Mehr als 102 Milliarden Euro dürften die Deutschen in diesem November und Dezember ausgeben.

Der starke Konsum hängt mit dem stabilen Arbeitsmarkt zusammen. Denn trotz der schwachen Konjunkturentwicklung ist die Zahl der Arbeitslosen zuletzt weiter zurückgegangen. Im Oktober erst ist die Arbeitslosenquote auf 4,8 Prozent gesunken. Der Grund: Angesichts des Fachkräftemangels versuchen die Konzerne Entlassungen so lange wie möglich hinauszuzögern. Auch Industriekonzerne, die unter einer Auftragsflaute leiden, setzen lieber auf Kurzarbeit statt Kündigungen. Zu groß ist Angst, keine neuen Fachkräfte zu finden, wenn es wieder aufwärts geht.

Dazu kommt, dass viele zuletzt von steigenden Löhnen profitiert haben. Das gilt vor allem für diejenigen, die nach Tarif bezahlt werden. Besonders stark sind zum Beispiel die Tarifverdienste in der öffentlichen Verwaltung (plus 5,3 Prozent) und im Baugewerbe (plus 4,6 Prozent) gestiegen. Zudem hat der Staat seine Transferzahlungen erhöht: Sowohl die Renten als auch das Kindergeld sind gestiegen. Gleichzeitig bleiben die Zinsen niedrig – ein weiterer Grund, warum die Menschen derzeit eher zum Geldausgeben neigen.

Wo es noch Probleme gibt

„Ohne den kräftigen Konsum, den boomenden Wohnungsbau und die steigenden Staatsausgaben wäre Deutschland angesichts der Industrieschwäche längst in einer tiefen Rezession mit spürbaren Jobverlusten“, sagt Sebastian Dullien, der das gewerkschaftsnahe Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) leitet. Denn anders als Handel und Bau steckt die Industrie noch immer in der Krise. Autokonzernen, Maschinenbauern und Zulieferern sind die Aufträge weggebrochen.

Sie spüren bereits seit Längerem die abschwächende Weltwirtschaft und die Verunsicherung durch den Handelskrieg. Immerhin hat sich ihre Lage zuletzt aber gebessert: „Die Industrie befindet sich zwar nach wie vor in einer Rezession, aber das Tempo des Produktionsrückgangs hat sich verlangsamt“, sagt ifo-Konjunkturchef Timo Wollmershäuser.

Wie es jetzt weitergeht

Auch wenn die jüngsten Zahlen besser als erwartet ausfallen: Eine Trendwende sehen die Experten noch nicht. Jörg Zeuner, Chefvolkswirt der Fondsgesellschaft Union Investment sieht „allenfalls eine weitere Stabilisierung“. Auch die Wirtschaftsweisen dämpfen die Erwartungen. „Eine Belebung der Konjunktur ist frühestens im Jahresverlauf 2020 zu erwarten“, schreiben sie. „Eine schwierige Auftragslage, hohe Unsicherheit und fehlende Impulse aus dem Außenhandel dämpfen die Aussichten für das kommende Jahr.“

Die Forscher vom IMK warnen ebenfalls davor, die Aufhellung schon als Trendwende zum Besseren zu interpretieren. Immerhin halten sie es nun aber für unwahrscheinlicher, dass die deutsche Wirtschaft doch noch in eine Abwärtsspirale rutscht. Hatten die IMK-Experten das Risiko einer Rezession bei fast 57 Prozent eingeschätzt, liegt es ihren Berechnungen zufolge nun nur noch bei knapp 35 Prozent. Statt auf „Rot“ steht ihr Frühwarnsystem deshalb jetzt nur noch auf „Gelb-Rot“.

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Wie es tatsächlich weitergeht, wird vor allem von einem Mann abhängen: US-Präsident Donald Trump. Er hatte zuletzt signalisiert, auf die angedrohten Autozölle zunächst vorerst verzichten zu wollen. Beobachter erwarten, dass er sich in den nächsten Tagen dazu äußern wird. Trump droht im Handelsstreit mit der EU seit Längerem, höhere Abgaben auf Autos zu verlangen, die die Europäer in die USA verkaufen. Zuletzt hieß es aber, er könne die Entscheidung darüber noch einmal um ein halbes Jahr aufschieben.

Was das für die Politik bedeutet

Trotz der unerwartet guten Konjunkturzahlen sehen Ökonomen wie Branchenvertreter die Politik in der Pflicht. „Die Wirtschaftspolitik sollte nüchtern die wirklichen Hindernisse für ein dauerhaft höheres Wachstum identifizieren und angehen“, sagt etwa Friedrich Heinemann vom Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung. Unter anderem fordert er, „die sinkende internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Unternehmensbesteuerung“ anzugehen. Firmen werden hierzulande im Schnitt mit 31 Prozent besteuert und damit so stark wie in sonst keinem anderen Industrieland.

Die Große Koalition ist bei dem Thema jedoch umstritten. Während Kanzlerin Angela Merkel (CDU) das Thema angehen will, schließt Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) Steuersenkungen aus. Joachim Lang, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), fordert: „Die Bundesregierung muss mehr dafür tun, öffentliche Investitionen zu steigern und die Bedingungen für private Investitionen zu verbessern.“

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