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E-Roller auf Bürgersteigen sollen bald erlaubt sein.

© Nicolas Armer/dpa

E-Roller auf Bürgersteigen: "Scheuer schafft den Gehweg ab"

Schon 12-Jährige sollen ohne Führerschein mit den neuen E-Rollern fahren dürfen, auch auf dem Gehweg. Politiker, Juristen und Verbände sehen das kritisch.

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Der politische Streit um die geplante Zulassung von elektrischen Tretrollern spitzt sich zu. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) treibt sie voran, im aktuellsten Referentenentwurf der Verordnung vom 19. Februar wurde dafür die zuvor angedachte Mofa-Führerscheinpflicht für Roller mit Lenk- und Haltestangen abgeschafft. Sie sollen künftig schon von 12-Jährigen gefahren werden dürfen, heißt es in dem Papier. Dafür wurden zwei Klassen geschaffen: Roller zwischen 6 und 12 km/h sollen dabei auf ausschließlich Gehwegen, jene zwischen 12 und 20 km/h vorrangig Radwegen fahren. Eine Helmpflicht ist nicht vorgesehen, die Versicherungspflicht samt Plakette bleibt laut dem aktuellen Papier bestehen.

Die Führerscheinpflicht wurde gestrichen

Der vorletzte Referentenentwurf sah noch den Mofa-Führerschein und ein Mindestalter von 15 Jahren als Pflicht vor. Dagegen lobbyierten die Hersteller und Anbieter offenbar erfolgreich, aber auch Grüne und FDP, die die Verordnung als zu restriktiv empfanden. Befürworter der E-Roller sehen sie auf der „letzten Meile“ als ideale Ergänzung zum öffentlichen Nahverkehr. „E-Tretroller können nahtlos den ÖPNV und Individualverkehr miteinander kombinieren und sind ein Hoffnungsträger für die Zukunft der Mobilität“, findet Christian Jung, der für die FDP im Verkehrsausschuss sitzt.

Es wird erwartet, dass der neue Entwurf diese Woche veröffentlicht wird. Dann muss er noch der Prüfung durch den Bundesrat und der Europäischen Kommission standhalten. Läuft alles nach Plan, dürften die ersten Fahrzeuge noch in diesem Sommer auf die Straße kommen.

Allerdings gibt es mächtig Gegenwind. Politiker, Unfallforscher, Juristen und Fußgängervertreter üben scharfe Kritik an der geplanten Regelung. „Damit schafft Scheuer den Gehweg ab“, erklärte Roland Stimpel, Sprecher des Fußgängerverbands FUSS e.V. Dem pflichten auch die Grünen bei. „Klar ist: Die Elektrokleinstfahrzeuge gehören auf die Fahrbahn“, so der Stefan Gelbhaar, Mobilitätssprecher im Bundestag. Sein Parteikollege Matthias Gastel erklärte: „Die Gehwege gehören alleine dem Fußverkehr. Daran darf nicht gerüttelt werden.“ 

"Verfassungsrechtlich bedenklich"

Der Berliner Verfassungs- und Wirtschaftsrechtler Stefan Klinski sieht sogar „grundlegende verfassungsrechtliche Bedenken“ gegen die geplante Gehweg-Freigabe im Rahmen der Verordnung. Damit "würde grundgesetzwidrig den wirtschaftlichen Interessen der Hersteller und den Verwendungsinteressen der Nutzer Vorrang vor den gesundheitlichen Schutzinteressen der Fußgänger eingeräumt". Außerdem führe die Freigabe zu einer Einschränkung der von Grundgesetz-Artikel 2 Absatz 1 geschützten "Allgemeinen Handlungsfreiheit der Fußgänger", da diese sich auf den Gehwegen weniger frei bewegen könnten als zuvor.

Selbst Beschränkungen wie eine Höchstgeschwindigkeit von 12 km/h, ein spezielles Rücksichtnahmegebot oder eine Versicherungspflicht dürften daran nichts ändern, so Klinski. Zwar würden die Gefahren so "in gewissem Umfang" herabgesetzt, jedoch nicht auf ein Niveau, "dass sie in der Interessenabwägung rechtlich als zumutbar eingeordnet werden könnten".

Zudem müsse davon ausgegangen werde, dass sich wie auch sonst im Straßenverkehr nicht alle an die Regelungen halten würden - schon gar nicht Kinder und Jugendliche, die solche Fahrzeuge oft spielerisch-sportlich benutzten. "Bei seiner Abwägung darf der Gesetz-/Verordnungsgeber nicht unrealistisch unterstellen, die betreffenden Verbote würden praktisch stets befolgt", so Klinski. "Er muss von der tatsächlichen Gefahrensituation ausgehen." Deshalb dürfe er nicht die Augen davor verschließen, dass eine wirksame Kontrolle kaum möglich sei.

Mindestens acht Anbieter wollen E-Roller verleihen

Der Trend der kleinen E-Fahrzeuge kommt aus den USA. Dort sind Leihrollerfirmen wie „Bird“ oder „Lime“ mit Milliarden bewertet. Auch hierzulande stehen mindestens acht Unternehmen in den Startlöchern, die ihre Fahrzeuge auf die Straße bringen wollen. Bisher mussten sie auf andere Märkte ausweichen, weil den E-Tretrollern in Deutschland die Zulassung fehlt. Das mit insgesamt 27 Millionen Euro finanzierte Start-up Tier Mobility beispielsweise ist in Wien gestartet und mittlerweile in 12 Städten aktiv. Im Sommer sollen die Tretroller gegen eine Aktivierungsgebühr von einem Euro und einem Minutenpreis von 15 Cent pro Minute auch am Unternehmenssitz in Berlin buchbar sein. Auch das Berliner Startup GoFlash will mit seiner Flotte künftig den Leihfahrrädern Konkurrenz machen.

Doch die Frage nach dem geeigneten Platz für die neuen Fahrzeuge birgt großen Konfliktstoff. Verkehrsforscher halten die Radwege für den am besten geeigneten Verkehrsweg, doch der Fahrradverband ADFC will erst einmal sichere Radwege haben, bevor er ans Teilen denkt. Straßen wiederum will Scheuer nicht hergeben, auch kostbaren Parkraum zu verknappen sei „nicht hinzunehmen“. Deswegen sollen sie auf dem Bürgersteig geparkt werden, Stimpel befürchtet massenhaft auf Gehwegen herumliegende Leihtretroller. Die E-Fahrzeugfans wollen einerseits die Freigabe von schnelleren Fahrzeugen bis 45 km/h auf der Straße, anderseits wollen sie auch den Gehweg benutzen dürfen.

Über 1500 Verletzte in den USA, ein Todesfall in Spanien

Dabei sind die Risiken des E-Verkehrs auf insbesondere Gehwegen andernorts bereits dokumentiert. Laut Untersuchungen der Verbraucherschutzorganisation „Consumer Reports“ wurden in den USA landesweit mehr als 1500 Menschen seit Ende 2017 durch E-Roller-Unfälle verletzt. In vielen US-Städten wie San Francisco hat man den Einsatz daher schon limitiert. In Barcelona starb im August eine 90-Jährige, nachdem sie auf dem Gehweg von einem E-Roller angefahren wurde. Auch in Brüssel und Wien gibt es zunehmend Anwohnerbeschwerden.

Dass die geplante Regelung in Deutschland auch ein großes Risiko darstellt, ist selbst dem Verkehrsministerium bewusst. Im Bundestag gab Verkehrsstaatssekretär Enak Ferlemann „große Sicherheitsbedenken“ in seinem Haus bezüglich der E-Fahrzeuge zu. Auch Scheuer selbst räumte in einer öffentlichen Veranstaltung das Konfliktpotenzial ein.

Aber Tempo 300 auf der Autobahn ist mit dem GG vereinbar? Das erschließt sich mir nicht. Vielleicht sollte man die Kirche mal im Dorf lassen - 12 km/h ist einfach keine hohe Geschwindigkeit.

schreibt NutzerIn mixedfrog

In diese Richtung zielt auch der Offene Brief an Scheuer, denn der Fuss e.V. gemeinsam mit dem Sozialverband VdK Deutschland, dem Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband und dem Landesseniorenbeirat Berlin verfasst hat. Die Zulassung von Motorfahrzeugen auf Gehwegen sei „ein Dammbruch, der den Schutzraum der Mehrheit und gerade der Schwächsten zu vernichten droht“.

Weitere Fahrzeuge auf dem Gehweg sind geplant

Fuss-Sprecher Stimpel hält den neuen Entwurf aus Fußgängersicht für „absolut grauenhaft. Dafür gibt es nur einen richtigen Ort: den Papierkorb.“ Er sieht etwa keine Möglichkeit, „wie künftig kontrolliert werden soll, wie schnell die Fahrzeuge fahren. Letztendlich werden auch die bis zu 20 km/h schnellen E-Tretroller auf dem Bürgersteig fahren.“ Zwar sind Bußgelder vorgesehen, doch diese seien „lächerlich niedrig“. Selbst wer einen anderen Menschen gefährdet, soll höchstens 25 Euro zahlen müssen. 30 Euro kostet dagegen Sachbeschädigung durch E-Roller. Stimpel: „Der Schutz von Kneipentischen auf dem Gehweg ist Scheuer wichtiger als der Schutz der Hüftknochen alter Menschen.“ Stimpel fordert daher Familienministerin Giffey und Sozialminister Heil auf, „ihrem fachlich durchdrehenden Kollegen Scheuer in die Lenkstange zu greifen“.

Scheuer plant unterdesssen schon die nächste Elektrooffensive - wieder auf den deutschen Gehwegen. Auch E-Fahrzeuge ohne Lenkstange wie E-Skateboards, Hoverboards und One-Wheeler bis 12 km/h sollen ab der Jahresmitte auf Bürgersteigen fahren dürfen. Dafür plant Scheuer eine Ausnahmeverordnung. Auch hier sind die Frontlinien klar: E-Fans und Hersteller wollen höhere Geschwindigkeiten, Fußgänger verteidigen den Gehweg. Und der Jurist Stefan Klinski sieht „keine ausreichende Rechtsgrundlage“ für eine solche Sonderverordnung, die Verfassung schiebe auch hier einen Riegel vor. Hoffnungsträger oder Angriff auf das Grundgesetz – die Sicht auf Elektrofahrzeuge ist tief gespalten.

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