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Wirtschaft: "Egoismus wird mit Politik verwechselt"

Im nächsten Jahr benötigt Berlin mehr als zehn Mrd.DM Zuschüsse von Bund und Ländern.

Im nächsten Jahr benötigt Berlin mehr als zehn Mrd.DM Zuschüsse von Bund und Ländern.Die bundesweite Diskussion um eine Reform des Bund-Länder-Finanzausgleichs wird hier als Bedrohung empfunden, nur vereinzelt wird für eine neue Finanzverfassung plädiert.Ulrich Zawatka-Gerlach sprach dazu mit Michaele Schreyer, der Haushaltsexpertin und Fraktionsvorsitzenden von Bündnis 90 / Die Grünen.

TAGESSPIEGEL: Die Finanzverteilung zwischen Bund und Ländern ist reformbedürftig.Wird die Diskussion in Berlin, die eher eine Abwehrdebatte ist, den künftigen Anforderungen gerecht?

SCHREYER: Eine Bund-Länder-Reformkommission sollte schon 1999 mit der Arbeit beginnen, auch die SPD-geführten Bundesländer dürfen sich dieser Diskussion nicht länger entziehen.Weder diese Verweigerung noch das Säbelrasseln der Südländer ist vernünftig.Allerdings muß klar sein: Bis 2004 gilt der Solidarpakt mit den vereinbarten Ausgleichszahlungen in voller Höhe.Daß gerade die teilungsbedingten Unterschiede in der Wirtschafts- und Finanzkraft bis 2004 nicht ausgeglichen werden, weiß jeder, auch ohne Gutachten.

TAGESSPIEGEL: Warum will in Berlin kaum ein Politiker diese Diskussion führen?

SCHREYER: Weil Landesegoismus mit guter Politik verwechselt wird.Föderalismus funktioniert aber nur als solidarischer Interessenausgleich.Zweifellos ist die Situation Berlins prekär: Die Steuerkraft ist unterdurchschnittlich niedrig, das Ausgabenniveau überdurchschnittlich hoch, wir hängen auf Gedeih und Verderb am Tropf der Finanzhilfen von Bund und Ländern.

TAGESSPIEGEL: Was ist reformbedürftig am Ausgleichssystem?

SCHREYER: Der Finanzausgleich bietet weder Geber- noch Nehmerländern Anreize, die eigenen Steuerquellen auszuschöpfen.Nur ein Beispiel: Der Senat will Ausgaben durch Verkauf und Rückmietung von Gebäuden sparen und argumentiert mit Steuersparmodellen für die Leasinggeber.Die Steuerausfälle würden Berlin ja im Rahmen des Finanzausgleichs ersetzt.Das ist doch kurzsichtig gedacht, der Steuerkuchen wird so immer kleiner.Deshalb sollte die Ausgleichspflicht der Länder untereinander - die an die Steuerkraft anknüpft - verringert und die Zuweisungen vom Bund - die am Ausgabebedarf ansetzen - an die neuen Länder und Berlin erhöht werden.

TAGESSPIEGEL: Der Bundesfinanzminister schlug vor, die Steuern zwischen Bund und Ländern neu zu verteilen.

SCHREYER: Die gemischte Steuerverteilung muß überdacht werden - da hat Waigel Recht.Ein striktes Trennsystem scheidet aber aus: Auch künftig wird eine Steuer gebraucht, die bei unterschiedlicher Entwicklung der Steuerarten einen Ausgleich zwischen Bundes- und Ländereinnahmen herstellen kann.Was ich ablehne, ist ein Recht der Länder, unterschiedliche Zuschläge auf die Lohn- und Einkommenssteuer zu erheben.In armen Bundesländern müßte dann mehr Lohnsteuer gezahlt werden als in reichen, die Unterschiede würden nicht kleiner, sondern größer.

TAGESSPIEGEL: Waigel will die Gemeinschaftsaufgaben auf die Länder übertragen.

SCHREYER: So pauschal ist das problematisch.Nehmen wir das Beispiel Hochschulbauförderung: Bei einer pauschalen Übertragung der Mittel auf die Länder bestünde die Gefahr, daß noch weniger Geld bei den Hochschulen ankommt.Bei der Gemeinschaftsaufgabe "Regionale Wirtschaftsförderung" sehe ich es anders, die bundeseinheitlichen Kriterien sind zu starr.Wenn die Fördergelder den Ländern zur Verfügung stünden, könnten sie flexibler eingesetzt werden.

TAGESSPIEGEL: Ist das Stadtstaatenprivileg, dem Berlin im Rahmen des Länderfinanzausgleichs 3,7 Mrd.DM pro Jahr verdankt, auf Dauer haltbar?

SCHREYER: Das Bundesverfassungsgericht hat die Berechtigung des Stadtstaatenprivilegs bestätigt.Ohne die höhere Einwohnerwertung für die Stadtstaaten bekäme Berlin kaum Ausgleichszahlungen von anderen Bundesländern.In Vorbereitung der gescheiterten Länderfusion Berlin-Brandenburg hatten die anderen Länder immerhin akzeptiert, daß Berlin sogar als Stadt in einem Bundesland noch eine ganze Weile darauf angewiesen wäre.

TAGESSPIEGEL: Könnte eine Neuordnung der Bundesländer die Finanznot von Berlin, Bremen, dem Saarland usw.lindern?

SCHREYER: Die Unterschiede in der Finanzkraft werden durch eine Neugliederung nicht automatisch beseitigt - auch ein Land Berlin-Brandenburg wäre auf Finanzzuweisungen angewiesen.Ich plädiere dennoch sehr für eine solche Fusion, aber die Länder sollten darüber selbst entscheiden.Es ist nicht Sache der Bayern und Baden-Württemberger, den Berlinern und Brandenburgern eine Zwangsehe zu verordnen.

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