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Wirtschaft: Eichel gibt das Sparen auf

Trotz der Steuerausfälle schließt der Finanzminister neue Einschnitte aus / Wirtschaft wächst im ersten Quartal stärker als erwartet

Berlin – Ungeachtet der für den Bund errechneten Steuerausfälle in Milliardenhöhe hat Finanzminister Hans Eichel (SPD) einem verschärften Sparkurs ebenso eine Absage erteilt wie möglichen Steuererhöhungen. Dies wären „falsche Antworten auf diese Entwicklung und Gift für den noch nicht endgültig gefestigten wirtschaftlichen Aufschwung“, sagte Eichel. In welchem Umfang die Regierung in diesem und im nächsten Jahr neue Schulden aufnehmen will, ließ der Finanzminister vorerst offen. Geplant sind bisher 29 Milliarden Euro in diesem und 21 Milliarden Euro im nächsten Jahr. Nach Eichels Berechnungen kommen in diesem Jahr noch einmal rund elf Milliarden Euro Schulden hinzu, insgesamt wären das dann 40 Milliarden Euro. Experten gehen allerdings davon aus, dass diese Summe noch weit übertroffen wird.

Auch 2005 wird der Bund den Erwartungen gemäß seine Zielmarke von 21 Milliarden Euro weit übertreffen. Der Haushalt, den Eichel am 23. Juni vorlegen muss, werde allerdings verfassungsgemäß sein, kündigte der Minister an. Das heißt, die Neuverschuldung wird unter der Summe der Investitionen liegen. Derzeit geht Eichel von 24,7 Milliarden Euro Investitionen aus.

Mit der Absage der Bundesregierung an einen weiteren Sparkurs wird auch immer wahrscheinlicher, dass Berlin 2005 zum vierten Mal in Folge den Stabilitätspakt verletzt. Das räumte Eichel auch am Donnerstag erneut ein. Der Pakt verlangt, dass die jährliche Neuverschuldung die Grenze von drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes nicht überschreitet.

Bundeskanzler Gerhard Schröder plädierte nach einem Gipfeltreffen mit dem französischen Präsidenten Jaques Chirac in Paris erneut dafür, den Stabilitätspakt „wachstumsorientiert“ anzuwenden. Darin sei er sich mit Chirac einig. Die Anzeichen für eine konjunkturelle Erholung müssten unterstützt werden.

Damit spielt der Kanzler auf die Nachricht vom Donnerstag an, dass die deutsche Wirtschaft im ersten Quartal des Jahres stärker gewachsen war, als die meisten Experten erwartet hatten. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) stieg im Vergleich zum Vorquartal saison- und kalenderbereinigt real um 0,4 Prozent. Das war der größte Zuwachs seit drei Jahren.

Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) wertete die vom Statistischen Bundesamt vorgelegten Daten als „positives Signal“. Die Entwicklung bestätige die Konjunkturprognose der Bundesregierung. DIHK-Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben sagte: „Der vielstimmige Abgesang auf die wirtschaftliche Entwicklung im Jahr 2004 war offenkundig verfrüht.“

Nicht alle Reaktionen fielen so erleichtert aus. Der Präsident des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung, Christoph Schmidt, mahnte, dass man sich jetzt „noch nicht zurücklehnen" könne. Der Finanzminister müsse jetzt „eisern bleiben, weiter sparen und eine klare Linie verfolgen", sagte er dem Tagesspiegel. Nur dann würden Investoren und Konsumenten wieder Vertrauen fassen. Jede weitere Schuldenerhöhung wirke sich kontraproduktiv auf das Wachstum aus, so Schmidt. Das Wirtschaftswachstum des ersten Quartals sei auch zu „einem großen Teil auf den internationalen Handel zurückzuführen“. Wichtig sei jetzt, dass die Binnennachfrage wieder anspringe – und dazu seien auch weitere Reformen nötig. Klaus Zimmermann, Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, sprach von einer „kriechenden Bewegung“ der Konjunktur. Der Aufschwung sei zwar unterwegs, aber „wir sind noch nicht so richtig durchgestartet", sagte Zimmermann.

Von Gewerkschaftsseite kam scharfe Kritik am Regierungskurs. „Mit der jüngsten Steuerschätzung erhält die rot-grüne Bundesregierung eine weitere Quittung für ihre falsche Wirtschaftspolitik“, sagte Dierk Hirschel, Chefökonom des Deutschen Gewerkschaftsbundes, dem Tagesspiegel. „Gescheitert ist nicht nur die Sparpolitik des hessischen Sparkommissars, sondern das gesamte wirtschaftspolitische Reformkonzept der Bundesregierung.“ Er forderte eine aktive Konjunkturpolitik, die „ mit Hilfe öffentlicher Investitionen Wachstumsimpulse“ setze.

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