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Wirtschaft: Ein Herz für die Aktionäre

Eine der größten Übernahmeschlachten der Wirtschaftsgeschichte wird mit harten Zahlen und weichen Gefühlen ausgefochten - und verändert DeutschlandCorinna Visser Breite Hosenträger und farbenfrohe Hemden sind sein Markenzeichen. Sehr zum Missfallen seiner PR-Berater, die darauf achten, dass er sich im dunklen Jackett fotografieren lässt.

Eine der größten Übernahmeschlachten der Wirtschaftsgeschichte wird mit harten Zahlen und weichen Gefühlen ausgefochten - und verändert DeutschlandCorinna Visser

Breite Hosenträger und farbenfrohe Hemden sind sein Markenzeichen. Sehr zum Missfallen seiner PR-Berater, die darauf achten, dass er sich im dunklen Jackett fotografieren lässt. Denn der Mann mit den Hosenträgern will bei den deutschen Anlegern nicht nur einen guten Eindruck hinterlassen, sondern sie auch überzeugen. Chris Gent, der Chef des britisch-amerikanischen Mobilfunkunternehmens Vodafone-Airtouch, ist einer der beiden Hauptakteure in einer der größten Übernahmeschlachten der Wirtschaftsgeschichte. Es gibt Angreifer und Verteidiger. Manche nennen es einen Krimi, andere sprechen sogar vom Krieg. Die Besonnenen nehmen es spielerisch: Zug für Zug kann die Öffentlichkeit Strategie und Taktik der beiden Akteure verfolgen - wie bei einem guten Schachspiel. Die Regeln dieses Spiels müssen allerdings in Deutschland erst noch gelernt werden.

Gents Widersacher heißt Klaus Esser. Der Jurist auf dem Vorstandssessel des Düsseldorfer Mannesmann-Konzerns ist eher ein kühler Analytiker - und nicht ein forscher Verkäufer seiner Sache wie Gent. An diesem Freitag wird er eine Verteidigungsschrift vorlegen. Sie soll seine Aktionäre überzeugen, das feindliche Übernahmeangebot von Vodafone abzulehnen. Esser will Mannesmann die Selbstständigkeit bewahren. Seit mehr als zehn Jahren haben beide Unternehmen in der Telekommunikation als Partner zusammengearbeitet. Doch dann forderte Esser Vodafone ausgerechnet auf dem britischen Heimatmarkt heraus. Er kaufte im Oktober des vergangenen Jahres das Mobilfunkunternehmen Orange. Das war ein Angriff, den freilich viele damals als ersten Schritt zur Verteidigung interpretierten. Schon lange hieß es in der Branche, Vodafone sei hungrig auf Mannesmann. Die Idee: Durch den Kauf von Orange für 60 Milliarden Mark macht sich der deutsche Konzern so teuer, dass Vodafone der Appetit vergeht. Doch die Rechnung ging nicht auf.

Jetzt kämpfen beide um die Gunst der Aktionäre - und ihre Waffe ist die Werbung. Gent und Esser starteten im vergangenen November einen aufwendigen Werbefeldzug, besuchen seither die Analysten in den Banken, die ihren Kunden zum Tausch oder Halten ihrer Mannesmann-Aktien raten sollen. Sie sprechen mit den Managern der großen Investmentfonds, überbieten einander mit täglichen Interviews. An die 400 Millionen Mark werde Mannesmann für die gesamte Abwehrkampagne aufwenden, sagt Esser. Zwei Werbe-, zwei PR-Agenturen, vier beratende Banken und ein Call-Center arbeiten mit. Allein für die Werbung werden die beiden Unternehmen zusammen rund 100 Millionen Mark ausgeben, schätzt Volker Nickel, Sprecher des Zentralverbands der deutschen Werbewirtschaft. "Die Sache lohnt sich mit Sicherheit", sagt Nickel. "So viel Transparenz ihrer Geschäftstätigkeit und so viel Aufmerksamkeit hätten beide Unternehmen unter normalen Umständen nie erreicht."

Als idealen Austragungsort haben die Werbeagenturen die Tageszeitungen ausgemacht. Dort informiert sich der Anleger über den aktuellen Wert seiner Aktien. Und in Anzeigen können die Werber schneller und flexibler auf den letzten Schritt des Gegners reagieren. Wie These und Antithese stehen die Aussagen zueinander: Sie widersprechen sich, indem sie sich entsprechen.

Der Ton ist persönlich, fast vertraulich: "Liebe Mannesmann-Aktionäre", so startete Vodafone seine Anzeigenkampagne in Deutschland. Die Botschaft: Gemeinsam mit Vodafone steigt Mannesmann zum Weltmarktführer der mobilen Telekommunikation auf. "In der Phase eins mussten wir den Namen Vodafone und das Unternehmen erst einmal zu einem Begriff machen", sagt Joachim Enders, Geschäftsführer und Kreativ-Chef der Agentur Lowe & Partners in Frankfurt, die die Werbung für Vodafone in 40 deutschen Tageszeitungen gestaltet. In Phase zwei sei es dann darum gegangen, die Vorzüge des Vodafone-Angebots darzustellen. Es sei notwendig gewesen, Irrtümer aufzuklären und klarzumachen, dass Vodafone nicht die Zerschlagung des Mannesmann-Konzerns plane. Das alles geschieht unter strengen und geheimen Sicherheitsvorschriften, denn den nächsten Schritt soll die andere Seite erst aus der Zeitung erfahren.

In Hamburg sitzt die Agentur KNSK/BBDO. Sie arbeitet an der Kampagne für Mannesmann. Beratungsleiter Johannes Röhr teilt den Werbefeldzug ebenfalls in unterschiedliche Phasen: "Zuerst haben wir das Image aufgebaut, Emotionen geweckt und die Stärken gezeigt, die Mannesmann besitzt." Ein Säugling mit großen Augen und die These "Jede Feindlichkeit zerstört seine Entwicklung" sollte den Mannesmann-Aktionären die Gefahr zeigen und zugleich die großartige Zukunft näher bringen, die ihr Unternehmen vor sich habe, wenn sie ihm denn treu blieben. "Unsere Strategie steht unter dem Motto: Think what the future could be", sagt Röhr. Phase zwei sollte informieren und über die Risiken des Vodafone-Angebots aufklären. "Wir bemerken, dass wir etwas erreichen", sagt Röhr. "Sonst würde Vodafone nicht reagieren."

Die nächste Anzeigenseite von Lowe & Partners zeigte ein Baby an der blanken Mutterbrust. "Wir fühlten uns von Mannesmann attackiert", sagt Enders, weil von Feindlichkeit die Rede gewesen sei. Man habe humorvoll mit der guten stillenden Mutter reagiert. "Doch sie haben das in den falschen Hals bekommen und noch aggressiver geantwortet." Seit dieser Woche gehen beide Agenturen mit Verkehrsschildern aufeinander los. Die von Mannesmann warnen davor, dass es mit dem Wachstum bergab gehen könnte. Vodafone weist unter einer Narrenkappe darauf hin, dass in Düsseldorf Karnevalszeit sei und man die Aussagen von Mannesmann eher scherzhaft nehmen dürfe. Obacht, sagt Werbefachmann Nickel. Mit Humor sollte Vodafone in Deutschland vorsichtig sein. "Wenn sie es zu weit treiben, kann es passieren, dass die Stimmung kippt."

Die Übernahme dreht sich um Geld und Aktien; die Kampagne spricht Gefühle an. "40 Prozent der Aktienentscheidungen werden emotional getroffen", sagt Röhr. Der Aktienanalyst Holger Grawe von WestLB Panmure bestätigt das. "Sie machen es geschickt, wenn sie an die Gefühle appellieren." Natürlich zählten Argumente, aber auch Stimmungen spielten eine Rolle. Viele Entscheidungen würden aus dem Bauch heraus getroffen - auch bei Investoren. "Schließlich sind es immer Menschen, die entscheiden", sagt Grawe.

Mit ihrer Werbetour starteten beide Konzernchefs im November. Kurz nachdem Gent nach Düsseldorf gereist war, um dem Vorstand sein Übernahmeangebot vorzulegen: 43,7 Vodafone-Aktien bot er für jede Mannesmann-Aktie und damit mehr als 200 Milliarden Mark. Doch Esser und seine Kollegen lehnten ab. Nur eine Woche später fuhr Gent wiederum nach Düsseldorf und unterbreitete ein neues verbessertes Angebot. Am 19. November offerierte er 53,7 Vodafone-Aktien für ein Mannesmann-Papier und damit umgerechnet 242 Milliarden Mark - bis dahin die höchste Summe, die je für ein Unternehmen geboten wurde. Doch das Management blieb bei seiner Ablehnung. Gent bedauerte und kündigte den Alleingang an.

Einen Tag vor Heiligabend legte Gent sein Angebot offiziell den Aktionären vor. Zu diesem Zeitpunkt war die Offerte 270 Milliarden Mark wert. Die Anteilseigner haben jetzt bis zum 7. Februar Zeit, sich zu entscheiden, ob sie ihre Aktien in Vodafone-Papiere tauschen wollen oder nicht. Einen großen Nachteil hat das Angebot: Gent bietet den Aktionären kein Bargeld. Die Anleger müssen sich also darauf verlassen, dass sich die Aktien des neuen zusammengelegten Konzerns tatsächlich besser entwickeln, als die Mannesmann-Papiere es täten. Sieger wird, wer den Aktionären glaubhaft vermitteln kann, dass seine Strategie die bessere ist. Deshalb die aufwendige Kampagne. Esser jedenfalls behauptet, dass die Mannesmann-Aktien allein binnen 18 Monaten auf 350 Euro steigen werden.

Mannesmann hat keinen Hauptaktionär, die Aktien sind breit gestreut. Schätzungsweise 100 000 private Anleger haben ihr Geld in Mannesmann-Papiere investiert, sie halten aber nur rund 15 Prozent der Aktien. Nach der Übernahme von Orange, die auch teilweise durch einen Aktientausch finanziert wurde, besitzt der Hongkonger Investor Hutchison Whampoa rund zehn Prozent der Anteile. Der Rest liegt bei institutionellen Anlegern, also den Investmentfonds. Die breite Streuung der Aktien macht das Geschäft für Vodafone so schwierig.

Das Rennen ist noch offen. "Die Investoren entscheiden erst am letzten Tag", sagt Grawe. "Es werden noch Wetten angenommen." Wer zu früh entscheide, werde womöglich durch die aktuellen Entwicklungen in der letzten Phase bestraft. "Es bleibt spannend bis zum Schluss", kündigt Grawe an. Am heutigen Freitag wird Mannesmann mit seinem Verteidigungspapier neues Material liefern. Alle Argumente der Gegenseite wollen sie zerpflücken. Esser und Gent setzen jetzt zum Endspurt an. Und bei den Werbeagenturen beginnt Phase drei, der "final countdown".

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