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Ein Jahr nach Fukushima: Keine Angst vor der Dunkelheit

Wir brauchen mehr erneuerbare Energie. Das zu leugnen, gilt heute als politisch höchst unkorrekt. Kritiker der Energiewende gehen daher subtiler vor: Sie warnen vor Stromausfällen und Schäden für die Tourismusbranche.

Hildegard Müller hat eine Erklärung dafür, warum es im Winter nicht völlig dunkel in Deutschland geworden ist: Es war glückliche Fügung. „Was wäre wohl passiert, wenn in der Kältephase Anfang des Monats erst der Schnee gefallen und dann der strenge Frost aus dem Osten über Europa gezogen wäre?“, fragte die Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft in einer Rede Ende Februar in Berlin. „Ich glaube kaum, dass unter einer zentimeterdicken Schneedecke dann noch die bis zu zehntausend Megawatt Fotovoltaikstrom in den Mittagsstunden produziert worden wären, die uns in diesen Stunden selbst bei strengstem Frost und hoher eigener Nachfrage zum Nettostromexporteur gemacht haben“, lautete ihre These.

Wenige Tage später, am 13. Februar, hätten Sonnenanlagen und Windräder nach Schnee und bei Flaute plötzlich nur ein Fünfzigstel der theoretisch möglichen 50 Gigawatt geliefert, sagte Müller. Aber auch ihr Verband unterstütze „selbstverständlich die, gleichwohl ehrgeizigen, politischen Ziele zum Ausbau der erneuerbaren Energien und zum Klimaschutz“.

So ein grünes Bekenntnis darf in keiner energiepolitischen Rede mehr fehlen. Kein seriöser Verbandschef oder Politiker will heute, ein Jahr nach Fukushima und bald ein Dreivierteljahr nach den Beschlüssen zur Energiewende, als Ewiggestriger dastehen. Warnte der mächtige Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) vor Jahresfrist regelmäßig vor hohen Strompreisen, bedingt durch die Förderung für Strom aus Wind, Biomasse und Sonne, hieß es am Donnerstag in einer Mitteilung: „Die deutsche Industrie hat die Energiewende von Anfang an mitgetragen.“ Der BDI mahnte lediglich eine bessere Verzahnung von „erneuerbaren Energien, Kraftwerken und Netzen sowie Energieforschung und -effizienz an“.

Das klingt zeitgemäßer, ändert aber nichts an der skeptischen Grundposition, die die Industrie seit jeher vertritt: Ja zu Staatsgeld für Energieforschung und den Ausbau der Netzinfrastruktur. Aber bitte keine Förderung per Gießkanne für eine dezentrale Erzeugungsstruktur, in der Eigenheimbesitzer und Bürgergemeinschaften sich und ihre Region selbst versorgen.

Im Jahr eins der Energiewende stieg der Anteil der erneuerbaren Energien am gesamten Produktionsmix hierzulande im Jahresmittel von 17 auf 20 Prozent. Windkraft leistete 2011 mit acht Prozent den größten Beitrag, gefolgt von Strom aus Biomasse (fünf), Wasser und Sonne (je drei) und Strom aus Müllverbrennungsanlagen (ein Prozent). Die vier Konzerne Eon, RWE, Vattenfall und EnBW, die bisher gut 80 Prozent der benötigten Energie bereitgestellt haben, spielten in diesem Segment bisher eine Nebenrolle. Sie erzeugten ihren Strom überwiegend zentral in fossilen Großkraftwerken.

Der Schwarzwald bangt um sein Panorama.

Doch die Zeit ist vorbei, fürchtet man etwa im Schwarzwald. Den Eindruck erweckte jetzt Christoph Krull, Chef der dortigen Tourismusmarketinggesellschaft und Vorsitzender des Vereins Deutscher Mittelgebirge auf der Tourismusbörse ITB, die heute in Berlin zu Ende geht. Fast sechs Jahrzehnte lang habe man im Südwesten CDU-Regierungen gehabt, die vor allem auf Kernkraft gesetzt hätten. Die grün-rote Regierung, die kurz nach dem Fukushima-Gau ins Amt gewählt wurde, setze nun die Wende um. So ändere sie etwa die Landschaftsverordnung mit dem Ziel, in den kommenden zehn Jahren 500 bis 700 neue Standorte für Windkraftanlagen zu erschließen.

Auch Krull sagte bei der Veranstaltung den obligatorischen Satz: „Natürlich sind wir, wie alle anderen auch, für die Energiewende, für den Atomausstieg.“ Dann folgte ein 20-minütiges Aber. Die Romantik der Landschaft werde zerstört: Betrachte man einen 800 Meter hohen Berg mit einem 180 Meter hohen Windrad auf dem Gipfel, gerieten die Proportionen durcheinander. Und die Blinklichter der Anlagen: Der Sternenhimmel werde nicht mehr zu sehen sein. „Der Mythos Wald steckt in den Teutonen, in den Genen der Germanen drin“, sagte Krull wörtlich – als sei Energiewende widernatürlich. Jedenfalls locke der Wald Touristen an. Und die gäben allein in Baden- Württemberg 184 000 Menschen Arbeit, beschäftigten sogar eine halbe Million indirekt. Man brauche einen „planvollen Ausbau“ der Erneuerbaren. Windräder – aber bitte in der Nordsee.

Exakt diesem Motto folgen auch die Stadtwerke München. Deren Ziel es ist, als erstes Unternehmen weltweit eine Millionenstadt mit Strom zu 100 Prozent mit erneuerbaren Energien zu versorgen. Dazu beteiligen sie sich am Bau dreier Offshore-Windparks. Wie der Strom vom Meer an die Küste und von dort weiter zu den Industriezentren Süddeutschlands kommen soll, ist noch unklar. Noch mehr Strommasten werden nötig. Die aber finden Touristen – und wohl auch viele Anwohner – noch unattraktiver als Windräder. Das belegen etwa repräsentative Umfragen, die der Bielefelder Sozial- und Kommunikationsforscher Henry Puhe, der als Privatmann selbst in einen Windpark investiert hat, seit Jahren durchführt.

Es gibt viele ungelöste Fragen bei der Energiewende. Es dürfte eine Generationenaufgabe werden. Doch zumindest Angestellte der Solarindustrie hierzulande glauben, dass die Bundesregierung den Konflikt mit der energieintensiven Industrie, der Tourismuswirtschaft und anderen Branchen scheut und die Wende schon jetzt nicht mehr ernsthaft betreibt. Gut 10 000 demonstrierten am Montag vor dem Brandenburger Tor gegen den aktuellen Plan, dass Strom aus Fotovoltaik ab April um 20 bis 30 Prozent weniger vergütet werden soll. „Dann gehen hier die Lichter aus“, rief einer von der Bühne.

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