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Wirtschaft: „Ein Volk von Selbstständigen“

Unternehmer Götz Werner möchte die Gesellschaft mit Hilfe eines Grundeinkommens radikal verändern

Herr Werner, Sie begleiten gerade den Bundespräsidenten in Lateinamerika. Wann gehen Sie selber in die Politik?

Das habe ich nicht vor.

Wieso? Das Grundeinkommen könnten Sie so vielleicht durchsetzen.

Die Idee des Grundeinkommens ist noch nicht reif, um politisiert zu werden. Das ist ein Kulturimpuls, der Zeit braucht. Wenn dieser Gedanke erst in den Köpfen der Menschen angekommen ist, dann werden sich auch Politiker finden, die ihn praktisch umsetzen.

Aber zu denen wollen Sie nicht gehören? Sie kommen aus der Wirtschaft und wären unbelastet von Filz und Parteiräson.

So schlimm sieht es in der Politik nun auch wieder nicht aus. Ich möchte mich politisch gar nicht verorten lassen. Ich bin kein Agitator. Überhaupt: Unternehmer sind keine guten Politiker. Und es gibt heute ja schon genügend Interesse der Politik am Grundeinkommen - über alle Parteien hinweg.

Wirklich? Die SPD ist nicht dafür.

Die Spitzenpolitiker vielleicht nicht, die Basis schon. Der SPD-Ortsverein in Konstanz hat mir gerade eine Auszeichnung verliehen. Ich kann mich vor Anfragen für Vorträge gar nicht retten - von allen Parteien. Unten, an der Basis ist viel Bewegung. Oben trauen sich wenige.

Thüringens Ministerpräsident Dieter Althaus etwa, der mit dem solidarischen Bürgergeld eine Art Grundeinkommen fordert.

Ja, aber sonst sind die Spitzenpolitiker sehr verhalten. Ich verstehe das. Schließlich schauen die primär darauf, wieder gewählt zu werden.

Bei welcher Partei sehen Sie die meisten Chancen für das Grundeinkommen?

Potenziell bei jeder.

Sehr diplomatisch.

Aber realistisch. Mir hat neulich jemand gesagt: Mit dem Grundeinkommen kann ich mein sozialistisches Herz mit meinem neoliberalen Verstand versöhnen. Damit schaffen wir finanzielle Sicherheit und liberalisieren zugleich den Kapitalismus. Damit kann sich jeder identifizieren.

Warum beschäftigen Sie sich mit dem Thema? Sie als Unternehmer und Milliardär können ohne Grundeinkommen leben.

Darum geht es ja nicht. Es geht um das Prinzip der Brüderlichkeit im Wirtschaftsleben. Die Menschen müssen – und darum geht es in meinem neuen Buch vor allem – ein Bewusstsein entwickeln für ihre Mitmenschen. Dass heute viele, in Deutschland und weltweit, unter dem Kapitalismus leiden, liegt daran, dass dieses Bewusstsein noch kaum entwickelt ist. Dieser Egoismus ist Gift für unsere Gesellschaft.

Das Gegengift ist das Grundeinkommen?

Ja. Das Entscheidende am Grundeinkommen ist die Entkoppelung von Arbeit und Einkommen. Wenn ich heute jemanden bei dm einstelle, kann ich ihn schon deshalb nicht einfach entlassen, weil dieser Arbeitnehmer den Job vor allem wegen des Einkommens macht, das ihm seinen Lebensunterhalt sichert. Mit dem Grundeinkommen wird das alles anders: Ich kann meine Einstellungspolitik rational koordinieren; der Arbeitnehmer wiederum kann sich seinen Job frei wählen. Die Deutschen könnten ein Volk von Selbstständigen, von Freelancern werden.

Warum sind sie es heute noch nicht?

Wir leben zurzeit unter politischen Rahmenbedingungen, die Initiative bremsen. Wir müssen aber Initiative wecken. Wenn die Menschen ihr erstes Grundeinkommen erhalten werden, dann werden sie sich als Nächstes fragen: Was will ich wirklich arbeiten? Das Grundeinkommen an sich wird schon einen enormen Sog an privater Initiative entfachen.

Vielleicht bleiben viele auch vor dem Fernseher hängen.

Meinetwegen auch das. Aber der soziale Crash, auf den wir jetzt zusteuern, fände nicht statt. Ich erlebe das hier in Recife: Seit der Einführung von „bolsa familia“ (des brasilianischen Familieneinkommens) können Sie hier abends wieder sicher aus dem Hotel gehen. Vergleichen Sie das mal mit dem Aufstand in der Pariser Banlieue letztes Jahr. Wenn wir uns nicht schleunigst ändern, dann sieht es bei uns bald genauso aus. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche.

Der G-8-Gipfel steht bevor und mit ihm wieder eine Welle der Globalisierungskritik. Wäre das Grundeinkommen eine Antwort?

Natürlich. Das Problem der Koppelung von Arbeit und Einkommen ist ja ein weltweites. Wir müssen endlich begreifen, dass wir in einer Welt leben, dass Dinge, die wir hier in Europa oder den USA tun, auch in der Dritten Welt Auswirkungen haben und umgekehrt. Dass es Armut gibt, ist nicht Schuld der Globalisierung, sondern der Unfreiheit in der heutigen Wirtschaftsordnung. Ob reich oder arm: Heute sind doch alle unfrei, die an ihren Einkommensplatz gebunden sind. Das sieht man bei Arbeitern genauso wie bei Managern. Das Grundeinkommen ist auf Globalisierung geradezu ausgelegt. Die reichen Länder müssen Vorreiter sein und sich endlich dieser dringlichsten sozialen Frage stellen. Eine globale Sozialgemeinschaft muss her – mit einem Grundeinkommen für jeden Menschen. Das bringt auf die Dauer mehr als jede Entwicklungshilfe.

Da sind wir wieder am Anfang. Wie lässt sich das Grundeinkommen durchsetzen?

Es ist ganz klar, dass sich bei uns die Eliten dieser Sache annehmen müssen. Unsere Oberschichten müssen aus der Polarisierung zwischen Arm und Reich heraus und sich ernsthaft mit der sozialen Frage auseinandersetzen. Das gilt für die Wohlhabenden, die Gebildeten, vor allem auch die Medien.

Wann rechnen Sie mit einer Einführung?

Das lässt sich schwer sagen. Ich halte wenig davon, auf die Politik zu früh zu viel Druck zu machen. Wir dürfen sie nicht überfordern: Die Politiker müssen gegenwärtige Probleme angehen, wie Manager. Aber die Bürger können über die Probleme von übermorgen nachdenken. Letzten Endes sind die Politiker von uns beauftragt und richten sich nach dem Wind, der aus der Gesellschaft kommt. Aber die Gesellschaft muss den Wind auch erzeugen.

Interview von Konstantin J. Sakkas

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