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Wirtschaft: Eine Herzoperation für 4000 Dollar

Die Krankenhauskette Apollo lockt Patienten aus dem Westen nach Indien/Der Medizintourismus wächst

Terry Salo flog im vergangenen Jahr für eine Hüftoperation nach Indien. Der Kanadier, der früher in der Fischindustrie gearbeitet hat, hätte in seiner Heimat mindestens ein Jahr auf die Operation warten müssen. Doch die Schmerzen waren unerträglich. Dass Salo ausgerechnet in die südindische Hafenstadt Madras flog, hatte einen einfachen Grund: Die Operation im dortigen Krankenhaus Apollo Hospitals Enterprises kostete mit 3800 Euro nur ein Viertel so viel, wie Salo in Europa oder USA hätte zahlen müssen. „Die Leute müssen wissen, dass es hier Alternativen gibt“, sagt der 54-Jährige, der schon einen Monat nach der Operation wieder auf dem Golfplatz stand.

Salo ist einer von rund 60000 Ausländern, die in den vergangenen drei Jahren von Apollo-Ärzten behandelt wurden. Das 1983 gegründete Unternehmen betreibt mehr als 37 Krankenhäuser mit rund 6400 Betten und ist damit eine der größten Privatklinik-Ketten Asiens. Neben der Behandlung ausländischer Patienten, die über Büros in Dubai und London angeworben werden, führt Apollo auch klinische Studien für amerikanische Pharmaunternehmen wie Pfizer und Eli Lilly durch und wertet per Ferndiagnose Röntgenbilder aus.

Apollo hat nicht zuletzt auch eine Lücke im überlasteten indischen Gesundheitssystem geschlossen. In Indien kommt auf 1000 Menschen knapp ein Bett, während es in Industrieländern mehr als sieben sind. Apollo und mit ihm eine Hand voll anderer indischer Privatkrankenhäuser sorgen für einen regelrechten Medizintourismus nach Indien. Die indische Regierung hält die Gesundheitsversorgung sogar für eine Wachstumsbranche. Von öffentlichen und privaten indischen Universitäten kommen jedes Jahr 20000 Ärzte und 30000 Krankenschwestern. Das sind etwa dreimal so viele Krankenschwestern, wie das Land in den 90er Jahren ausgebildet hat.

Gesundheit und Urlaub im Paket

Führend im Medizintourismus waren bisher asiatische Staaten wie Thailand, Malaysia und Singapur. Die Länder bieten medizinische Dienstleistungen im Paket mit Urlaubszielen an und haben damit allein 2003 mehr als 600000 Menschen ins Land geholt, heißt es aus offizieller Quelle in Thailand und Malaysien. Im Medizintourismus liegt der Schwerpunkt auf teuren Operationen von Facelifting bis zu Lebertransplantationen. Für eine Herzoperation nimmt etwa Apollo rund 4000 Dollar, während man in den USA mindestens 30000 Dollar hinblättern muss. Eine orthopädische Operation kostet 4500 Dollar und damit nicht mal ein Viertel so viel, wie amerikanische Krankenhäuser dafür in Rechnung stellen.

Bisher kommen sieben bis neun Prozent aller Apollo-Patienten aus dem Ausland. Sie werden gleich am Flughafen von Apollo-Mitarbeitern in Empfang genommen und in das nächstgelegene der etwa acht Krankenhäuser transportiert, die ausländische Patienten behandeln. Die fremden Gäste werden in den gleichen Gebäuden untergebracht und behandelt wie Inder, erhalten allerdings ein Einzelzimmer und eine eigene Krankenschwester. Wenn die Ausländer wieder fit genug fürs Reisen sind, fahren einige Patienten wie der Kanadier Salo in Urlaubsregionen – als Teil ihres gebuchten Pakets.

Nicht für jeden ist die Reise nach Indien etwas. Solo rät Touristen aus Industrieländern, sich auf einige Schocks gefasst zu machen. Der Anblick der Straßenkinder und Bettler auf den Straßen und die Hitze von 38 Grad Celsius seien schwer zu ertragen gewesen. Als er in die Notaufnahme von Apollo kam und die zerlumpten Kleider der indischen Patienten sah, habe er Zweifel bekommen, ob seine Reise eine gute Idee gewesen sei. Außerhalb der Apollo-Krankenhäuser sind sauberes Wasser und Blutreserven eher selten. .

Hinter der erfolgreichen Privatklinik-Kette steht der 72-jährige Arzt Prathap C. Reddy, der Apollo gegründet hat und nun gemeinsam mit seinen vier Töchtern leitet. Für den Sohn eines wohlhabenden indischen Mango- und Zuckerrohrplantagenbesitzers war die Gründung eines Privatkrankenhauses seit Jahren ein Traum. Der Mann, der in Indien Medizin studiert und später einige Jahre in den USA gearbeitet hat, musste in Indien mit vielen Problemen kämpfen. Früher konnten indische Krankenhäuser moderne medizinische Geräte wegen der hohen Zölle nicht aus dem Ausland importieren, und die indischen Ärzte hatten oft keine andere Wahl, als ernste Fälle ins Ausland zu schicken. Das versuchte Reddy auch 1979, als er einen jungen Geschäftsmann behandelte, der dringend eine Herz-Bypass-Operation brauchte. Er riet dem Mann, in die USA zu fliegen. Doch der Patient konnte sich die Reise nicht leisten und starb. „Damals schwor ich mir, dass ich dafür sorgen würde, dass Indien erstklassige Krankenhäuser hat, bevor ich sterbe“, sagt Reddy.

Anfangs durfte Reddy keine Kredite internationaler Banken in Anspruch nehmen, nur wenig Land kaufen und nur mit Mühe medizinische Geräte importieren. Doch Reddy blieb hartnäckig und öffnete 1983 in Madras sein erstes Krankenhaus in einem bescheidenen, fünfstöckigen Gebäude in einer engen Gasse, in der sich Ochsenwagen stauten. Mit der Zeit expandierte Apollo – vor allem, als die indische Wirtschaft liberalisiert wurde. Reddy brachte einen Teil seines Unternehmens an die Bombayer Börse, um an Geld zu kommen, und expandierte in andere Bereiche wie klinische Forschung, Ausbildung und Apotheken. Darüber hinaus gründete er mit dem Staat ein Joint-Venture in Neu Delhi für den Bau und die Finanzierung eines neuen Krankenhauses und schuf über ein Franchise-System 45 weitere Privatkliniken in ganz Indien. Heute ist Apollo in acht Ländern vertreten, darunter in Südasien, Nahost und Afrika.

Die Kernkundschaft von Apollo ist allerdings die rapide wachsende indische Mittelschicht, die mittlerweile knapp 250 Millionen Menschen zählt. Ein Checkup bei Apollo kostet zwischen 4000 und 8000 Rupien (77 bis 154 Euro). Das kann sich die wachsende Zahl indischer Call-Center-Angestellter und Ingenieure leisten. Für die schätzungsweise 300 Millionen indischen Armen ist die Behandlung bei Apollo allerdings unerschwinglich.

Jay Solomon

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