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Wirtschaft: Eine Hyperinflation wie 1923 ist in Europa nicht zu erwarten

Doch rationale Argumente können Ängste nicht nehmenVON TIM KÖHLERDie Angst der Deutschen vor einer Inflation sitzt tief.Auf sie gründet sich die immer noch mehrheitliche Ablehnung des Euros hierzulande.

Doch rationale Argumente können Ängste nicht nehmenVON TIM KÖHLERDie Angst der Deutschen vor einer Inflation sitzt tief.Auf sie gründet sich die immer noch mehrheitliche Ablehnung des Euros hierzulande.Die Hyperinflation von 1923 hat tiefe Spuren in Deutschland hinterlassen, und ist bei vielen Menschen noch im Bewußtsein.Eine fassungs- und wehrlose Bevölkerung sah sich einer immer wahnsinniger drehenden Inflationsspirale ausgesetzt, und mußte erleben, daß an seinem Ende eine Billion Papiermark einer Goldmark gleichgesetzt worden ist.Der Dollar wurde zum einzig verläßlichen Zahlungsmittel.Was war geschehen? Und könnte sich eine so starke Inflation irgendwann innerhalb einer Europäischen Währungsunion wiederholen? Vor der großen Inflation kam der Krieg.Der erste Weltkrieg 1914 bis 1918 hatte zu starken Bargeldabzügen der Bevölkerung geführt, unter denen vor allem die Sparkassen zu leiden hatten.1913 verfügten die 3133 Sparkassen des damaligen Reichsgebietes über eine Bilanzsumme von 20,8 Mrd.Reichsmark (RM), während 1924 die Bilanzsumme der verbliebenen 2600 Institute nur noch 1,5 Mrd.RM betrug.Die großen Aktienbanken retteten sich, indem sie fusionierten - es kam zu einem massiven Konzentrationsprozeß.Während den Kriegswirren kam es auch zu einem Abfluß ausländischen Kapitals aus Deutschland.Das Schlimmste aber: Die Finanzierung des Krieges durch den Staat.Durch die inflationäre Finanzierung erhöhte sich die Geldmenge immens.Die Schulden des Reiches hatten sich bis 1918 - durch neun Kriegsanleihen über insgesamt 42,8 Mrd.RM - von fünf auf 72 Mrd.RM gesteigert. Das Ende des Krieges brachte dann nicht etwa zugleich das Ende des Inflationsprozeßes, vielmehr setzte er sich nun sogar beschleunigt fort.Denn nach 1918 mußten die Folgen des verlorenen Krieges finanziert werden: Die Demobilisierung der eigenen Soldaten, der Unterhalt französischer und britischer Besatzungstruppen im Rheinland und die an die Siegermächte zu leistenden Reparationen, zu denen noch die Aufwendungen für die eigenen Kriegsopfer hinzutraten.Diese Leistungen mußten von einer durch den Krieg erschöpften Wirtschaft mit einer verarmten Bevölkerung und einer durch Gebietsabtrennungen geschrumpften Volkswirtschaft aufgebracht werden.Zusätzlich geschwächt wurde die Wirtschaft in jener Zeit durch revolutionäre Bewegungen und Generalstreiks der wütenden Bevölkerung.Der Staat lag darnieder.Bei Kriegsende gab es kein einheitliches und ergiebiges Reichssteuersystem.Die schleichende Inflation ging allmählich in eine galoppierende und diese schließlich in eine Hyperinflation über.An deren Ende, Mitte November 1923, mußten die Deutschen Billionen RM für einen Dollar bezahlen. Im heutigen Westeuropa, das sich nun aufmacht zum Euro-Land zu werden, herrscht seit langem Frieden und politische Stabilität.Die Europäische Zentralbank, die über die Stabilität des Euros entscheiden wird, ist unabhängig und ist in eine langgehegte Stabilitätskultur der Bevölkerungen eingebettet.Der Bankensektor wird in ganz Europa überwacht, es gibt einen starken öffentlich-rechtlichen Bankensektor neben international wettbewerbsfähigen Großbanken.Die europäischen Regierungen denken nicht daran, Kriege zu finanzieren.Eine Inflation wie 1923 ist abwegig - trotz Teilnahme der ärmeren südeuropäischen Länder an der EWU.Ihr politischer Einfluß ist begrenzt, der Stabilitätspakt und die "Nicht-Beistands-Klausel" des Maastrichter Vertrages sorgen dafür, daß ein wachsender Schuldenstand in einem dieser Länder nicht inflationär auf die anderen Länder wirken wird.Dennoch: Die Menschen - nicht nur in Deutschland - sind weiter euroskeptisch.Es mag an der begründeten Kritik der Intransparenz der Entscheidungen auf europäischer Ebene liegen, und dem immer noch bestehenden Demokratiedefizit der europäischen Institutionen - etwa der Schwäche des Europäischen Parlaments.Es mag auch an der fehlenden europäischen politischen Kultur liegen: Weder gibt es eine europaweit einheitlich agierende Partei oder Gewerkschaft, noch ein gesamt-europäisches Medium - nichts, das eine europäische Identität stiften könnte.Argumente für einen inflationären Euro kann die Euro-Skepsis aber rational nicht begründen: Sie alle verblassen angesichts der historischen Fakten.

TIM KÖHLER

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