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Wirtschaft: „Eine linke Mehrheit regierungsfähig machen“

Verdi-Gewerkschaftschef Frank Bsirske über Wahlen, Linke und die Politik der Gewerkschaften einer großen Koalition gegenüber

Herr Bsirske, wie erklären Sie die Wiederauferstehung der SPD bei den Bundestagswahlen vor einer Woche?

Der Wahlkampf der SPD war von einer verhaltenen Distanz zur Agenda 2010 geprägt. Es wurden bewusst Kontrapunkte gesetzt, etwa beim gesetzlichen Mindestlohn und der so genannten Reichensteuer. Es wurden also traditionelle Bindungen der SPD in den Vordergrund geschoben, während die CDU den Kühlschrank geöffnet hat und sich jetzt wundert, dass es die Menschen fröstelt.

Ist Frau Merkel zu kalt?

Das Programm der CDU/CSU öffnet die Schere zwischen Arm und Reich noch weiter, Arbeitnehmerinteressen und das Soziale insgesamt kommen zu kurz. Das wird inzwischen ja auch innerhalb der Union diskutiert.

Wollte der Wähler eine Pattsituation, weil er Angst vor Reformen hat?

Bemerkenswert ist, dass es zum dritten Mal nacheinander in einer Bundestagswahl eine Mehrheit links von der Mitte gibt. Unter den gegebenen Bedingungen lässt sich diese Mehrheit aber wohl nicht in eine linke Politik umsetzen. Im Gegenteil, wahrscheinlich ist eine Regierungskonstellation, die rechts von Rot-Grün angesiedelt ist.

Sie sagen das ziemlich gleichmütig.

Das sind die Realitäten. Ob dies aber auf Jahre so bleiben muss, ist nicht entschieden. Ebenso ist offen, wie eine linke Politik künftig aussieht, die dem Sozialstaat verpflichtet ist, den Binnenmarkt anzukurbeln vermag und dabei den Herausforderungen der Globalisierung gerecht wird. Dieser Frage werden sich links der Mitte in Zukunft Sozialdemokraten, Grüne und Vertreter der Linkspartei widmen müssen, um eine linke Mehrheit auch regierungsfähig zu machen. Kurzfristig fehlen dazu offensichtlich die Grundlagen.

Bleiben Sie Mitglied der Grünen, wenn die sich doch noch auf eine Jamaika-Koalition einlassen?

Es sieht nicht danach aus, dass sich die Grünen zu Erfüllungsgehilfen schwarz- gelber Programmatik machen werden. Schwarz-Gelb will das Einkaufen verteuern, den 45 Millionen Arbeitnehmern mit Wegfall von Pendlerpauschale und steuerfreien Schichtzuschlägen Geld abnehmen und dadurch eine weitere Kürzung des Spitzensteuersatzes finanzieren. Das führt ökonomisch weiter in die Sackgasse, ist sozial ungerecht und wird sicher nicht von einer modernen Linkspartei wie den Grünen gebilligt werden.

Also die große Koalition.

Vieles deutet darauf hin. Aber wie es auch kommt: Wir werden darauf drängen, dass Soziales und Arbeitnehmerinteressen wieder stärker berücksichtigt werden als in den vergangenen Jahren.

Sowohl Frau Merkel als auch Herr Schröder haben sich kurz vor der Wahl noch mit den Chefs der Gewerkschaften getroffen. Wo sehen Sie die größten Unterschiede?

Frau Merkel ist in der Form verbindlich, in der Sache argumentativ, aber durchdrungen von Positionen, die zentrale Eckpfeiler des deutschen Sozialstaats in Frage stellen. Dazu zähle ich die Tarifautonomie und die Verbindlichkeit von Tarifverträgen. Sie hat keinen Zweifel daran gelassen, die Verbindlichkeit von Tarifverträgen angreifen zu wollen und dadurch die Absenkung von Löhnen zu erleichtern.

Wenn sich Verdi auf tarifpolitische Öffnungsklauseln einlassen würde, hätten wir die Diskussion womöglich gar nicht.

Das Ziel der Arbeitgeber dabei ist doch häufig, länger arbeiten zu lassen. Bei fünf Millionen Arbeitslosen ist das aber kontraproduktiv, weil wir so noch mehr Arbeitslose bekämen. Im Übrigen würden wir mit den geforderten Öffnungsklauseln an den Tarifparteien vorbei den Flächentarif als Instrument aufgeben, das Mindestbedingungen festschreibt.

Wie das?

Weil wir einen Wettlauf nach unten bekämen: Die Betriebe schaukeln sich in den Arbeits- und Entlohnungsbedingungen nach unten. Wir bekämen einen tiefen Bruch in unserem Tarifsystem, das ja dazu beigetragen hat, den Wettbewerb über Innovationen und Produktivität auszutragen. Unser Tarifsystem ist eine Grundlage für die Wettbewerbsstärke der deutschen Wirtschaft. Das aufzugeben wäre töricht.

Nun ist das deutsche Tarifsystem schon löchrig wie ein Käse, weil viele Firmen aus dem System aussteigen oder gar nicht erst beitreten. Deshalb wollen Sie ja auch die Hilfe der Politik, nämlich einen gesetzlichen Mindestlohn.

Wir wollen damit die Einkommen im Niedriglohnbereich stabilisieren. Armut trotz Arbeit sollten wir jedoch in unserem Land nicht hinnehmen. Deshalb fordern wir einen Mindestlohn auf einem Niveau, wie es ihn in anderen westeuropäischen Nachbarländern gibt.

Wie hoch soll der sein?

7,50 Euro pro Stunde. Bei einem Mindestlohn in dieser Höhe müssten etwa 2,4 Millionen Löhne in Deutschland angehoben werden. Das ist machbar, wie die Erfahrung bei anderen zeigt.

In der Lohnpolitik ist die Verhandlungsmacht der Gewerkschaften von Jahr zu Jahr schwächer geworden. Und wenn dann, wie bei Verdi, der Marburger Bund die Kooperation kündigt und künftig allein für die Ärzte verhandeln will, schwächt das die gewerkschaftliche Position weiter.

Natürlich ist es schwierig, in Zeiten der Massenarbeitslosigkeit deutliche Einkommenserhöhungen durchzusetzen. Was den Marburger Bund anbelangt: Wir haben für die Ärzte, die bei Verdi organisiert sind, eine Gehaltserhöhung von bis zu 560 Euro durchgesetzt. Der Marburger Bund will noch deutlich mehr und ignoriert mit seiner rein ständischen Interessenpolitik die Situation im Krankenhaus insgesamt. Wenn die Ärzte bei festgeschriebenen Budgets zwei- bis dreimal so viel verdienen sollen und so tun, als gingen Notlagenregelungen, mit denen das Überleben von Krankenhäusern gesichert werden soll, alle anderen Beschäftigten etwas an, nur sie nicht, dann wird das vom übrigen Krankenhauspersonal nicht verstanden und zudem die Probleme in den Krankenhäusern nicht lösen.

Das Gespräch führte Alfons Frese.

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