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Wirtschaft: Eine neue Dimension

Das Urteil der EU-Richter wird den Autokonzern umkrempeln – Porsche ist bereit für die Übernahme

In Niedersachsen endet die Nachkriegszeit am kommenden Dienstag. Nach 47 Jahren wird vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) aller Voraussicht nach das VW-Gesetz für rechtswidrig erklärt. Die Klage der EU-Kommission, Deutschland schütze den Volkswagen-Konzern vor Übernahmen und behindere damit den freien Kapitalverkehr, wird Gehör finden. Das Urteil der EuGH-Richter, gegen das es keine weiteren Rechtsmittel gibt, hat weitreichende Folgen: In Luxemburg wird in der kommenden Woche eines der wichtigsten Kapitel deutscher Industriepolitik geschlossen.

Für die Beteiligten bricht eine neue Zeit an. Volkswagen, der größte Autokonzern Europas und wichtigste Arbeitgeber Niedersachsens, wird einen neuen Eigentümer bekommen. Der Stuttgarter Konzern Porsche, der profitabelste Autobauer der Welt, wird seinen VW-Anteil von knapp 31 Prozent ausbauen und künftig das Sagen haben in Wolfsburg. Unter dem Dach einer Porsche-Holding soll VW quasi als Tochterunternehmen geführt werden. Und das Land Niedersachsen verliert als VW- Großaktionär seine Sperrminorität, die den Landesregierungen seit 1960 erlaubt hat, Konzernbeschlüsse zulasten des Bundeslandes zu verhindern.

Obwohl kaum jemand daran zweifelt, dass das VW-Gesetz nach dem Plädoyer des EuGH-Generalanwalts Dámaso Ruiz-Jarabo im Februar bald der Vergangenheit angehört, gibt man sich in Wolfsburg, Stuttgart und Hannover gelassen. Während VW und Porsche kommentarlos abwarten, wie das Urteil am Dienstag ausfällt, und die beklagte Bundesregierung schweigt, zeigt sich die Landesregierung siegesgewiss. „Wir gehen davon aus, dass das VW-Gesetz nicht gegen EU-Recht verstößt und in der jetzigen Form Bestand hat“, sagte Hartmut Möllring (CDU), Finanzminister in Niedersachsen, dem Tagesspiegel am Sonntag. Natürlich weiß Möllring, dass die Chancen schlecht stehen. Im Wahljahr 2008 könnte es ziemlich unruhig werden im Autoland Niedersachsen.

Das wäre Wolfgang Jüttner, SPD-Chef und Spitzenkandidat für die Landtagswahl, ganz recht. Im Streit um das VW-Gesetz, der 2003 mit der Aufforderung des damaligen EU-Kommissar Frits Bolkestein begann, das Gesetz zu streichen, wirft Jüttner der Landesregierung von Christian Wulff (CDU) gravierende Versäumnisse vor. „Das Land hätte seinen Anteil an VW viel früher erhöhen müssen. Vor anderthalb Jahren wäre dies für weniger als ein Drittel des heutigen Aktienkurses möglich gewesen“, sagte er dieser Zeitung. „Die Landesregierung hat unverantwortliche Unterlassungspolitik betrieben.“ Die Mitwirkungsrechte des Landes müssten bei VW aber auch in Zukunft gewährleistet sein.

Ein Kurswechsel zum jetzigen Zeitpunkt würde das Land in der Tat Milliarden kosten. Die VW-Aktie ist in den vergangenen zwölf Monaten um 140 Prozent gestiegen. Wollte Niedersachsen seinen Anteil um fünf Prozent aufstocken, um eine Sperrminorität zu behalten, würde dies beim derzeitigen Börsenkurs gut 3,2 Milliarden Euro kosten – mehr als zehn Prozent des geplanten Landeshaushalts für 2008. Zu viel für die wahlkämpfende CDU-FDP-Koalition in Hannover: „Eine Erhöhung unseres Anteils an VW steht derzeit nicht zur Diskussion“, sagt Finanzminister Möllring. Auch wenn das VW-Gesetz falle, so tröstet er sich, habe das Land mit seinen 20 Prozent auf den VW-Hauptversammlungen eine Sperrminorität von 25,1 Prozent. Vorausgesetzt allerdings, es sind nicht mehr als 80 Prozent der Anteilseigner anwesend. Das dürfte aber künftig der Fall sein, wenn Porsche – wie angekündigt – kräftig VW-Aktien kauft und mit einer Mehrheit die Hauptversammlungen dominiert. Analysten schätzen, dass der Sportwagenbauer schon jetzt über Platzhaltergeschäfte die Mehrheit an VW hält. „Porsche hat sich mit Aktien und Optionen auf weitere VW-Aktien eingedeckt“, sagt Frank Schwope, Autoanalyst bei der NordLB in Hannover. „Ich schätze, dass der Konzern schon mindestens 50 Prozent an VW sicher hat.“ Porsche-Chef Wendelin Wiedeking hatte angedeutet, man habe „genügend Optionen, um unseren Anteil ordentlich zu erhöhen“. Kommt es, wie alle erwarten, dürfte also der riesige VW-Konzern (Umsatz: 105 Milliarden Euro) vom Nischenanbieter Porsche (Umsatz: 7,3 Milliarden Euro) übernommen werden.

Was bei Mitarbeitern und Betriebsräten für Unruhe sorgt, hat für Autostrategen Charme. Schon lange bauen und entwickeln die beiden Hersteller gemeinsam Fahrzeuge und Komponenten. „Der größte strategische Vorteil für Porsche liegt im Zugriff auf das Wissen und die Ressourcen von VW“, sagt Frank Schwope. „Wie bei den Geländewagen Cayenne und Touareg wird es weitere gemeinsame Projekte geben – zum Beispiel beim geplanten Panamera.“ Dabei seien die kulturellen Unterschiede viel geringer als beim Wettbewerber Daimler, der sich von seiner US-Tochter Chrysler trennen musste.

Ohne Reibung wird die Zusammenarbeit gleichwohl nicht vom ersten Tag an funktionieren. „Porsche holt sich eine Menge Probleme ins Haus, vor allem eine sehr starke Gewerkschaft“, sagt Schwope. Deren Macht sei bei VW nicht zu unterschätzen. 95 Prozent der Beschäftigten sind IG-Metall-Mitglieder. Gegen die Belegschaft wird Wiedeking seine ambitionierten Profitabilitätsvorstellungen nicht durchsetzen können.

Auf den Einspruch des Landes kann die Belegschaft jedenfalls nicht mehr hoffen. Im Gegenteil. Die niedersächsische FDP favorisiert einen Ausstieg beim Autokonzern. Koalitionspartner Möllring dementiert: „Das Land Niedersachsen wird nicht bei VW aussteigen, sondern seinen Anteil von gut 20 Prozent halten.“ Die neuen Eigentümer in Wolfsburg heißt der CDU-Politiker mit einer Grußbotschaft willkommen: „Die Ziele des Landes Niedersachsen und die von Porsche sind identisch: ein gut aufgestellter VW-Konzern.“ Die Porsche-Beteiligung, sagt Möllring, sei immer noch besser als die Übernahme durch einen Hedge-Fonds.

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