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Wirtschaft: "Einer, der sich nicht in Parolen flüchtet"

Minister verdienen im allgemeinen kein Mitleid.Sie werden in Daimlern durchs Land gefahren, Referenten schreiben ihnen die Sätze auf, die sie sagen sollen, und um einen Parkplatz müssen sie nie kämpfen.

Minister verdienen im allgemeinen kein Mitleid.Sie werden in Daimlern durchs Land gefahren, Referenten schreiben ihnen die Sätze auf, die sie sagen sollen, und um einen Parkplatz müssen sie nie kämpfen.An diesem Abend im Dezember kann man jedoch Mitleid haben mit dem Wirtschaftsminister Werner Müller.In dem sächsischen Städtchen Glashütte will er vor Mittelständlern die rotgrüne Wirtschaftspolitik verteidigen.Doch zuerst muß er einen örtlichen Uhrenfabrikanten abwehren, der ihm eine Armbanduhr verkaufen will.

Man steht in einem kleinen Zimmer in der Glashütter Uhrenfabrik.Der Unternehmer, ein schnauzbärtiger Bayer mit barockem Bauch und der örtliche Chef der Industrie- und Handelskammer (IHK) plaudern mit dem Minister über Teilwertabschreibung und Steuersätze, bis der Uhrenfabrikant das Handgelenk des Ministers entdeckt."Was tragen sie da eigentlich für ein japanisches Modell?" Er begutachtet die Uhr, schaut auf sein eigenes Handgelenk und erzählt von den 30 000 DM, die da hängen.Und von dem Sultan von Brunei, der bei ihm einkauft.Ob der Minister nicht vielleicht auch? Er habe wirklich ein paar schöne Exemplare.Nein, der Minister will wirklich nicht.Später wird der Unternehmer den rotgrünen Wirtschaftsminister dennoch loben - obwohl bei dem Fabrikanten seit 20 Jahren das CSU-Parteibuch in der Schublade schlummert und der Minister hartnäckig Ökosteuer und Steuerreform verteidigt hat."Wenn alle in dem neuen Kabinett wären wie Müller", sagt der Uhrenfabrikant Heinz Pfeifer und löffelt dabei in einer Leberknödelsuppe, "dann hätten wir Zeiten wie unter Helmut Schmidt."

Werner Müller ist ein Phänomen.Das größte Experiment von Rot-Grün.Ein Seiteneinsteiger aus der Konzernetage der Veba.Ohne Parteibuch und ohne Basis.Ins Kabinett gerutscht, weil er mit Gerhard Schröder befreundet ist und der Kanzler einen Ersatz für den Computer-Unternehmer Jost Stollmann brauchte.Früher war er der Schattenmann von Schröder, der im Hintergrund die Energie-Konsensgespräche organisierte.Jetzt muß er ins Rampenlicht und die Wirtschaftspolitik verteidigen.Keine leichte Aufgabe angesichts der Negativ-Schlagzeilen um 620-DM-Jobs, Steuerreform und Ökosteuer.Der deutsche Osten fürchtet gar, daß der Geldsegen aus dem Westen versiegt.

So ungefähr ist Ausgangslage an diesem Dezemberabend, tief im Südosten der Republik.Die örtliche IHK hält in der Glashütter Uhrenfabrik ihre Vollversammlung ab.Es ist Müllers erster Auftritt im Osten.Von Dresden aus fuhr die Autokolonne ins Erzgebirge bis fast 20 Kilometer vor die tschechische Grenze."Det ist hier det zänkische Bergvolk", sagt der Fahrer während draußen schneebedeckte Tannen vorbeiziehen."Früher waren die bis unter die Haarspitzen rot." Dunkelheit überfällt das Land.

Seine Rede hat Müller im Auto nicht mehr gelesen.Die Argumente hat er im Kopf.Also redet der studierte Ökonom vor den 100 Mittelständlern davon, daß der Faktor Arbeit 93 Prozent zum Steueraufkommen beiträgt.Daß die Netto-Lohnsumme je Beschäftigtem seit 1982 nicht real gestiegen ist, obwohl sich der Faktor Arbeit seitdem um fast 800 Mrd.DM verteuert hat.Müller sagt: "Die Profiteure des alten Zustandes klagen, die große Masse des Volkes aber war kein Profiteur." Müller spricht von den sechs Mrd.DM Sozialbeiträgen, die die Wirtschaft bald weniger und den nur vier bis fünf Mrd.DM Ökosteuer die sie mehr zahlen muß.

Er wirkt nicht wie der zündende Rhetoriker.Eher wie ein hagerer Herr mit silbrigen Haaren, der sich zufällig in die Politik verirrt hat.Wenn er mit einem Banker über Steuersätze und Auslandsinvestitionen diskutiert, erinnert das mehr an ein Kamingespräch, als an einen politischen Schlagabtausch.Langsam kommen ihm die Sätze über die Lippen, als hätte er zuvor eine Großpackung Baldrian eingeworfen.Müller ist aber kein Wortvernebler.Keiner, der sich in Parolen flüchtet.Er benutzt klare, einfache Sätze."Wenn der Deutsche Industrie- und Handelstag neue Atomkraftwerke fordert, dann soll er erst einmal einen Bauherrn finden." Pause."Den gibt es nämlich nicht." Oder: "Ich lasse mir für die Ziele der Wirtschaft den Kopf blutig schlagen, aber ich verlange eine redliche Diskussion."

Später lobt ihn sein Pressesprecher: "Er ist der erste meiner Minister, der nicht wie ein Politiker redet." Ihm muß er keine Zeichen geben, wann er aufhören soll, wie bei Günter Rexrodt.Ein Journalist, der ihn lange kennt, schwärmt: "Das ist endlich mal ein Volkswirt, der bei den Jungs vom BDI gegenhalten kann." Selbst bei Mittelständlern kommt Müller gut an."Der hat hier echt Punkte gemacht", sagt ein Zuhörer."Der ist kein ideologischer Spinner", urteilt Uhrenfabrikant Pfeifer.Der örtliche IHK-Chef, ein rundlicher Herr mit hochgebürsteten Haaren, grübelt über den Vortrag des Ministers."Warum hat er nicht klipp und klar gesagt, was den Osten erwartet." Doch Müller findet er gut: "Ich hätte nicht gedacht, daß er überhaupt kommen würde." Selbst der smarte Banker, der vor einigen Jahren nach Dresden kam und die Argumente der Globalisierungswelt wie Lateinvokabeln runterbetet, lobt "die Gesprächsbereitschaft des Ministers".Ein Zuhörer erinnert sich an einen Auftritt von Günter Rexrodt."Damals", sagt er und macht eine Pause."Damals war das ein sehr sprachloses Forum."

ANDREAS HOFFMANN

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