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Wirtschaft: Einkaufen bis zum Umfallen

EDITORIALS Jeder, der einmal einen Sonntag in Deutschland verbracht hat oder versucht hat, an einem Wochentag nach 20 Uhr eine Tüte Milch zu kaufen, wird die jüngste Initiative von Wirtschaftsminister Wolfgang Clement ganz sicher begrüßen: Clement möchte die antiquierten Einkaufszeiten in Deutschland flexibilisieren und es Geschäften ermöglichen, an Werktagen rund um die Uhr zu öffnen. Ländern und Kommunen will er außerdem die Möglichkeit einräumen, den Verkauf auch an Sonn und Feiertagen zu gestatten.

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Jeder, der einmal einen Sonntag in Deutschland verbracht hat oder versucht hat, an einem Wochentag nach 20 Uhr eine Tüte Milch zu kaufen, wird die jüngste Initiative von Wirtschaftsminister Wolfgang Clement ganz sicher begrüßen: Clement möchte die antiquierten Einkaufszeiten in Deutschland flexibilisieren und es Geschäften ermöglichen, an Werktagen rund um die Uhr zu öffnen. Ländern und Kommunen will er außerdem die Möglichkeit einräumen, den Verkauf auch an Sonn und Feiertagen zu gestatten. Derzeit verwandeln sich selbst die belebtesten deutschen Städte an Sonntagen in deprimierende Geisterstädte, denn das Gesetz schreibt den meisten Läden vor, die Ladentüren geschlossen zu halten.

Clements Vorschläge sind Teil eines umfassenden Pakets, das als Initiative zum Bürokratieabbau gedacht ist. Das Paket enthält unter anderem auch Liberalisierungen bei der Konzessionsvergabe für Restaurants und Hotels, bei Firmenneugründungen und Baugenehmigungen. „Alles das sollte in Deutschland leichter und weniger von oben gesteuert werden", sagte Clement. Doch der Widerstand ist erbittert. Als die Regierung im vergangenen Jahr die Ladenöffnungszeiten an Samstagen um vier Stunden bis auf 20 Uhr ausdehnte, gingen Tausende auf die Straßen, um zu demonstrieren. Die Gegner liberalerer Öffnungszeiten behaupten, sie kämpften gegen böses Konsumdenken, das den sozialen Frieden und das Familienleben bedrohe.

Wir empfehlen diesen Zweiflern, darüber nachzudenken, was es für das Familienleben in Deutschland bedeuten würde, wenn berufstätige Eltern nicht mehr gezwungen wären, ihre wöchentlichen Einkäufe während der drakonischen Öffnungszeiten zu tätigen. Wie gewöhnlich wollen die Gewerkschaften ihre Mitglieder vor längeren Arbeitszeiten schützen, obwohl die Hälfte aller Verkäufer Teilzeitverträge hat. Der Gedanke, dass ein flexiblerer Ladenschluss auch einige neue Jobs schaffen könnte, ist ihnen noch nicht gekommen. Solange Clement seinen lobenswerten Kampf nicht gewonnen hat, werden weite Teile Deutschlands an Sonntagen leider auch weiterhin geschlossen bleiben.

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