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Studierende des beginnenden Erstsemesters an der Europa-Universität Viadrina in der deutsch-polnischen Grenzstadt Frankfurt (Oder).

© dpa

Einwanderung: Vorurteile sind sozial, nicht ökonomisch begründet

Migranten sind volkswirtschaftlich betrachtet oft ein Gewinn - aber viele Menschen haben trotzdem große Vorbehalte gegen Einwanderer. Eine neue Studie erklärt, warum das so ist.

Es ist 464 Seiten dick, kostet 22,99 Euro und hat die Republik monatelang in Atem gehalten: Thilo Sarrazins 2010 erschienenes Buch „Deutschland schafft sich ab“. Die Streitschrift gegen zu viel Einwanderung hat sich mehr als 1,3 Millionen Mal verkauft und ist damit eines der erfolgreichsten deutschsprachigen Sachbücher aller Zeiten Diese immense Nachfrage und die hochemotionale Debatte zeigen vor allem eins: Vorbehalte gegen Einwanderer sind quer durch die Gesellschaft fest verankert.

Dabei ist die kritische Haltung zur Zuwanderung kein rein deutsches Phänomen: Fragt man EU-Bürger nach ihren größten Sorgen, nennen sie das Thema Migration am vierthäufigsten. Besonders stark ausgeprägt sind die Vorbehalte gegen Ausländer in Griechenland und Ungarn, Deutschland liegt im Mittelfeld. „Es gibt in ganz Europa eine starke gesellschaftliche Opposition gegen stärkere Zuwanderung“, stellen die Ökonomen David Card (University of California, Berkeley), Christian Dustmann und Ian Preston (beide University College London) in einer jetzt erschienenen Studie fest.

Aber was genau treibt die Vorbehalte der Menschen gegen Ausländer? Ökonomen tun sich mit einer Antwort darauf bislang schwer. Die wirtschaftlichen Folgen der Einwanderung sind vergleichsweise gering. Zudem stiften Zuwanderer nach Einschätzung der meisten Forscher unter dem Strich volkswirtschaftlichen Nutzen. „Das Ausmaß der Anti-Einwander-Stimmung ist rätselhaft“, konstatieren Card, Dustmann und Preston.

In ihrer Studie bringen sie jetzt Licht in das Dunkel. Die Forscher werteten Daten einer Mammutumfrage unter 40.000 Europäern aus 21 Ländern aus, in denen die Menschen unter anderem nach ihrer Einstellung zur Einwanderungspolitik interviewt wurden. Die Befragten gaben an, ob sie für mehr oder weniger Zuwanderung plädieren, welche ökonomischen Konsequenzen Zuwanderung ihrer Meinung nach hat, und wie wichtig es ihnen ist, mit ihrem Umfeld dieselbe Religion, Sprache sowie Bräuche und Traditionen zu teilen.

Die Analyse des Forschertrios liefert ein klares Bild: Es ist nicht die Angst um Arbeitsplätze oder vor Lohneinbußen, die die Vorbehalte gegen Ausländer schürt. Die Befürchtung, dass sich das gewohnte kulturelle und soziale Umfeld zu stark verändern könnte, treibt die Menschen viel stärker um. Soziokulturelle Faktoren prägen die Haltung gegenüber Migration laut Studie zwei- bis fünfmal so stark wie ökonomische Aspekte.

Dass schlechter ausgebildete Personen größere Vorbehalte haben als höher Qualifizierte, lasse sich zu 70 Prozent durch den Wunsch nach einheitlicher Sprache, Religion und Brauchtum erklären, heißt es in der Arbeit. Ähnliches gelte für den Befund, dass ältere Menschen Einwanderern im Schnitt skeptischer gegenüberstehen als jüngere.

Die Studie wirft auch ein neues Licht darauf, warum die Vorbehalte gegenüber Zuwanderern aus ärmeren, ferneren Ländern größer sind als gegenüber Menschen aus anderen EU-Ländern. Die größere kulturelle Distanz zu diesen Migranten dürfte die Hauptursache dafür sein - nicht die Sorge, dass Menschen aus ärmeren Ländern zu einer größeren Belastung für Sozialsysteme und Arbeitsmarkt werden können.

Für die Politik lassen sich aus diesen Ergebnissen wichtige Schlussfolgerungen ableiten: Wer den Bürgern Zuwanderungspolitik ausschließlich mit ökonomischen Vorteilen schmackhaft machen will, der argumentiert an den wahren Sorgen der Menschen vorbei.

Zuerst erschienen auf Handelsblatt Online.

Johannes Pennekamp

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