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Wirtschaft: Eklat um die Bahn

Parlament setzt Regierung unter Druck: Schienennetz muss in Staatshand bleiben / Gewerkschaft droht mit Streiks

Berlin - Der geplante Börsengang der Deutschen Bahn sorgt für einen heftigen Streit zwischen dem Parlament und der Bundesregierung. Der Konzern solle auf jeden Fall ohne das Schienennetz privatisiert werden, sagten Fachpolitiker von Union und SPD am Dienstag. Die Regierung favorisiert dagegen den Bahn-Verkauf mit dem Netz, ebenso wie das Unternehmen selbst. Das letzte Wort hat das Parlament. Die Gewerkschaft Transnet drohte mit Streiks, sollte sich die Koalition durchsetzen.

Am Dienstag hatten sich die Fachpolitiker mit Spitzenvertretern von Wirtschafts-, Finanz- und Verkehrsministerium getroffen, um eine gemeinsame Linie zu finden. „Wir sind uns grundsätzlich darüber einig, dass das Eigentum am Netz erst auf den Bund übertragen wird“, sagte Uwe Beckmeyer, verkehrspolitischer Sprecher der SPD, dem Tagesspiegel. Die drei Ministerien seien nun damit beauftragt worden, bis Ende September vier Privatisierungsmodelle zu überprüfen. „Wir sind damit ein gutes Stück vorangekommen.“ Der verkehrspolitische Sprecher der Union, Dirk Fischer, äußerte sich ebenso. „Entscheidend ist, was der Bundestag beschließt.“ Das integrierte Modell sei vom Tisch; der Bund solle zu 100 Prozent Eigentümer der Schienen bleiben.

Seit Monaten geht es im Kern darum, wer in Zukunft über das 35 000 Kilometer lange Schienennetz bestimmt. Die Regierung strebt wie Bahnchef Hartmut Mehdorn einen Börsengang des integrierten Konzerns an. Achim Großmann (SPD), Parlamentarischer Staatssekretär im Verkehrsministerium, beharrte darauf, dass noch nichts entschieden sei. Diskutiert werde noch über das integrierte Modell, bei dem das Eigentum am Netz nach einer gewissen Zeit an den Staat zurückfallen könne, und über das so genannte Eigentumsmodell, bei dem der Staat der Bahn das Nießbrauchrecht an der Infrastruktur überlässt. Teilnehmer der Sitzung vom Dienstag berichteten, Großmann habe in letzter Minute eine Festlegung auf eine Abtrennung des Netzes verhindern wollen.

Bahnchef Hartmut Mehdorn schrieb in einem Brief an die Beschäftigten, sie sollten sich nicht verunsichern lassen. Er sei zuversichtlich, dass es eine „richtige Entscheidung für die Bahn“ geben werde. Norbert Hansen, Chef der Bahngewerkschaft Transnet, sprach von „taktischen Ränkespiele auf dem Rücken von 240 000 Beschäftigten“. Das sei unerträglich. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) müsse jetzt dafür sorgen, dass der Prozess wieder in seriöse Bahnen gelenkt werde und es eine rasche Entscheidung gebe. „Den zuständigen Ministern gelingt das offenbar nicht.“ Sollte nun eine Trennungsentscheidung fallen, sei eine Lösung im laufenden Tarifstreit mit dem Konzern um die Beschäftigungssicherung aussichtslos. Hansen: „In diesem Fall werden wir den Tarifvertrag über Streiks verteidigen.“ Gehe „das Theater in dieser Art und Weise weiter“, werde man die Mitglieder schon in den nächsten Tagen zu Protestaktionen mobilisieren.

Mehdorn hatte noch am Dienstagmorgen versucht, die Debatte zu beinflussen, indem er eine Lösung im seit Monaten schwelenden Streit um die Bewertung von Bahn-Immobilien anbot. In einem Brief an Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD), der dem Tagesspiegel vorliegt, heißt es, Grundstücke mit einem Buchwert von 500 Millionen Euro sollten von der Bahn-Holding wieder an die Infrastruktur- und Verkehrstöchter übertragen werden. Bei der Holding verbleiben sollen Flächen mit einem Buchwert von zwei Milliarden Euro. Die Opposition kritisierte den Vorschlag. „Wenn Tiefensee diesem Vorschlag zustimmen sollte, ist ein Untersuchungsausschuss unausweichlich“, sagte der FDP-Verkehrsexperte Horst Friedrich dieser Zeitung.

Der Immobilienstreit steht in enger Verbindung mit dem Börsengang. Der Bundesrechnungshof hatte dem Konzern vorgeworfen, Immobilien rechtswidrig auf die Holding übertragen zu haben. Die Oppositionsparteien FDP, Grüne und Linkspartei hatten mit einem Untersuchungsausschuss gedroht, sollten Bund und Bahn die Frage nicht bis Ende August klären. FDP-Mann Friedrich sagte nun: „Uns wurden Aufsichtsratsunterlagen zugespielt, aus denen sich ergibt, dass die Verkehrswerte von nicht-bahnnotwendigen Immobilien bis zum 50-fachen über den Buchwerten liegen.“ Mit diesen stillen Reserven wolle Mehdorn Investoren anlocken. „Wenn Tiefensee dabei mitmacht, grenzt das an Veruntreuung von Bundesvermögen, da werden wir nicht tatenlos zusehen.“ Friedrich will in der Fraktion für einen Untersuchungsausschuss werben. Winfried Hermann, Verkehrsexperte der Grünen, äußerte sich zurückhaltender. Das Zugeständnis Mehdorns sei „bei weitem nicht ausreichend“. Tiefensee habe aber noch eine „Aufklärungschance“.

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