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Wirtschaft: Elegante Abwehr

Blöde Sprüche vom Chef, aggressive Anmache vom Kollegen, dumme Kommentare vom Kunden – das kennt jeder. Oft fällt einem erst am Abend eine Antwort ein. Im Kurs „Gesprächsaikido“ kann man trainieren, angemessen zu reagieren.

Eins muss vorweg geschickt werden: Um Schlagfertigkeit wird es nicht wirklich gehen. Denn in dem Wort steckt der Schlag und damit eine Aggression. Eine verbale Keule. Susanne Eggert ist es wichtig, das gleich klarzustellen. Sie sagt es immer gleich zu Anfang, wenn sie ihren Kurs „Gesprächs-Aikido“ gibt: „Schlagfertigkeit kann man nicht wirklich lernen. Das hat man oder man hat es nicht.“ Aber man kann lernen, Angriffe elegant abzuwehren – mit ein paar Techniken, die gar nicht kompliziert sind. Man muss sie nur trainieren – so wie richtiges Aikido, die japanische Kampfsportart. Dabei lasse man Angreifer oft entweder ins Leere laufen und oder nehme die Wucht der Attacke auf und nutze sie gegen den anderen. Es gehe beim Aikido um Harmonie und Lebenskraft.

Im Stuhlkreis sitzen 13 Frauen und zwei Männer in einem Unterrichtsraum der Volkshochschule Neukölln. Die meisten sind eigentlich gekommen, um zu lernen, wie man es anderen Mal so richtig zurückgibt. Sie wollen „schlagfertig“ werden. Dozentin Susanne Eggert lässt als erstes einen Zettel herumgehen – eine Persiflage auf die Produkte eines bekannten schwedischen Möbelhauses: Die Gebrauchsanweisung für einen langen Holzstock mit der schönen Produktbezeichnung „Kloppe, Meinungsverstärker, massive Buche unbehandelt, 70 cm lang, 4 cm dick“. Auf der Gebrauchsanweisung streiten sich zwei lustig gezeichnete Strichmännchen. Das eine brät dann dem anderen eins mit „Kloppe“ über – und hat plötzlich wieder gute Laune. „Es gibt Leute, die haben ihren Kloppe im Mund“, sagt Susanne Eggert. Sie finde das gar nicht gut: „Schlagfertigkeit mit Kloppe kann ich nicht lehren, weil ich nicht der Typ dazu bin. Und ich bin der Meinung: Wenn einer anfängt zu kloppen, kloppen alle anderen plötzlich auch.“ Am Ende ist keiner mehr guter Laune.

Bei der Vorstellungsrunde fragt sie jeden, ob er Kloppe gern mal „rausholen“ würde. Viele bejahen das. „Manchmal wäre es toll, so was zu haben“, sagt eine hübsche Mathematikerin, etwa 30 Jahre alt, mit langem braunem Pferdeschwanz, die hauptsächlich männliche Kollegen hat. Sie ist in den Kurs gekommen, weil die Männer „oft vergessen, dass eine Frau dabei ist.“ Auch die junge Frau im roten Pullover, ein sportlicher Typ mit kurzem blonden Pferdeschwanz hat Kollegen, bei denen sie „gern mal Kloppe verwenden würde“. Auch sie arbeitet in einer Männerdomäne, wird bald befördert und darf dann eigene Projekte betreuen. 

Ihre Sitznachbarin ist eine blonde Bürokauffrau Mitte, Ende 20, die ein glitzerndes Oberteil trägt und sehr weiblich wirkt: „Es gibt Kommentare, durch die man ganz klein gemacht wird“, sagt sie. Gegen die möchte sie sich gern zur Wehr setzen können. Eine grauhaarige, bebrillte Sekretärin Mitte 50 sagt, ihr fielen immer erst abends Antworten auf Bemerkungen ein, die sie morgens sehr getroffen hätten.

Eine Architektin Mitte 40 hat ein anderes Problem: „Ich bin ein bisschen wortkarg. Meistens sage ich gar nichts und wenn, dann ist es oft ein bisschen zu hart. Ich würde gern den Mittelweg finden.“ Eine Studentin im lila Pullover hat „noch keine schlechten Erfahrungen“ gemacht. Aber sie möchte sich auf Berufsleben vorbereiten. Keine schlechte Idee: Sie wirkt sehr ruhig und fast ein bisschen zu nett für diese Welt.

Eine zweite Architektin, eine sehr elegante nicht mehr junge Frau mit kurzen Haaren und knallrotem Lippenstift, sagt: „Mein Problem ist, dass ich zu viel rede.“ Sie möchte lernen, Leute ohne großen Wortschwall abzufertigen. Bei dem älteren Mann mit dem dichten weißen Kinnbart klingt die Sache ganz anders: „Ich war immer der, der mit Kloppe ausgeholt hat. Jetzt bin ich im Ruhestand und dieser Tonart ist in meinem Privatleben nicht so beliebt.“ Deshalb will er im Kurs eine andere finden. Eine sehr modische Vertriebsingenieurin Ende 20 arbeitet „viel mit Männern. Am Anfang konnte ich nicht so mit der frechen Berliner Schnauze, obwohl ich aus Berlin stamme.“ Sie würde gern herausfinden, wann man kontern solle und „wann man lieber die Klappe hält“. Und sie würde ihre Kollegen gern ein bisschen erziehen, sich anders zu verhalten. „Das ist keine gute Idee“, antwortet Dozentin Susanne Eggert. „Keiner lässt sich gern erziehen.“ Solche Versuche hätten oft den gegenteiligen Effekt.

„Dumme Sprüche im Vorbeigehen sind eine Form von Sabotage“, sagt die Dozentin, die auch Schauspiel und Sprachpädagogik unterrichtet, Diplom-Ingenieurin und Schauspielerin ist, ebenso wie Deeskalationstrainerin an der „Gewaltakademie Villigst“, einer Einrichtung, an der sich unter anderem Lehrer zu Anti-Mobbing-Experten weiterbilden können. Einiges von dem, w as an der Akademie unterrichtet wird, verwendet sie auch im Gesprächs-Aikido-Kurs. „Wenn ein Opfer sich nicht mehr zu erkennen gibt, wird der Täter aufhören. Dann macht es ihm keinen Spaß mehr.“

Plötzlich geht die Tür auf und ein dritter männlicher Teilnehmer stößt etwas verspätet zum Seminar. Atemlos und immer noch aufgeregt erzählt er, warum er sich für den Kurs angemeldet hat: Er ist Erzieher in einer Kita, der einzige Mann unter vielen Frauen. Es gab Streit mit einer Kollegin: Zunächst ging es nur darum, welche Basteleien und Bilder an welchen Platz gehörten. Dann habe sie seinen pädagogischen Fähigkeiten angezweifelt. „Da hab’ ich die Frau zusammengebrüllt.“ Und sich vor sich selbst erschreckt. Es war nicht das erste Mal. „Bei mir geht gelegentlich eine Bombe hoch. Dabei weiß ich, dass explodieren keine Lösung ist.“ Im Kurs will er herausfinden, wie er die Bombe entschärfen kann.

Wie maßgeschneidert für ihn wirkt der erste Teil des Seminars, in dem es der Dozentin um die Theorie von Kommunikationsstrategien und -modellen und die biologischen Vorgänge geht, die im Körper ablaufen, wenn man gekränkt oder wütend wird – oder beides: „Das ist ein uralter Überlebensmechanismus. Das Gehirn reagiert dann noch immer wie bei einem Steinzeitmenschen, der plötzlich vor einem Mammut steht.“ Im Gehirn werde dann Glukose freigesetzt, damit „wir besser angreifen oder weglaufen können.“ Man atme schneller, halte die Luft an, das Herz schlage schneller. Cholesterol werde freigesetzt. Und man bekomme einen Tunnelblick. „Viele Leute sind dann so sehr mit ihrer biologischen Reaktion beschäftigt, dass sie blockiert sind. Daher kommt es, dass wir uns alle Kloppe wünschen.“

Die einzige Lösung, um aus diesem Zustand zu entkommen: „Man muss lernen, in diesem Moment die Klappe halten und zu atmen. Wir brauchen Sauerstoff, um zu denken.“ Sie wendet sich an den Erzieher: „Du hättest den Raum verlassen sollen, als die Kollegin dich provoziert hat.“ Aber man dürfe das Gegenüber auf keinen Fall einfach stehen lassen, sondern müsse etwas sagen wie: „Wir reden später darüber, ich muss mich jetzt um die Kinder kümmern.“ Wahlweise kann man auch eine andere Aufgabe vorschützen – selbst wenn es offensichtlich ist, dass das nicht stimmt. Susanne Eggert hat eine Erste-Hilfe-Liste verteilt, auf der genau steht, wie man sich verhalten soll. Einer der besten Ratschläge: „Denken Sie sich: Das hat nichts mit mir zu tun. Das lasse ich beim anderen.“ Man müsse die Erste-Hilfe-Liste ganz oft lesen, sich viel damit beschäftigen, damit man es irgendwann schaffe, sich anders zu verhalten.

„Und alle die in so einer Situation nicht angreifen, sondern verstummen, können sich sagen, dass sie nur zu gut sozialisiert sind – und keine blöden kleinen Mäuschen. Selbst Kurt Tucholsky hat gesagt: Schlagfertigkeit ist, was einem 24 Stunden später einfällt.“

Bei Beschimpfungen nicht richtig hinzuhören, sei hilfreich, sagt Eggert. Das bringe sie Callcenter-Agenten, die in Beschwerdestelle arbeiten, in Schulungen bei: „Die sollen beim ersten Schwall erstmal den Kopfhörer hinlegen und ihn erst aufsetzen, wenn der erste Ärger des Anrufers abklingt.Dann sollen sie den Satz sagen: ’Ich verstehe Sie’. Und sich anhand eines Fragekatalogs noch einmal das ganze Problem erklären lassen.

Nach solchen Ratschlägen beginnt endlich das eigentliche „Aikido-Trainig“. Zehn Strategien hat Susanne Eggert im Angebot – je nach Situation: Bewusstes Schweigen, stumme Gesten, Umleitungen, zweisilbige Kommentare, unpassende Sprichwörter, entgiftende Gegenfragen, Zustimmen und hartnäckig den eigenen Wunsch verfolgen, Beleidigungen mit einem Satz stoppen, neue Spielregeln erklären, oder „sachlich den Zustand des Gegenüber beschreiben“. Das geht so: Auf den Ruf „Sie Idiot“ antwortet man mit: „Ich empfinde sie gerade als verärgert. Ich möchte mit ihnen über folgendes reden.“

Und dann wird geübt. Susanne Eggert verteilt kleine Zettel, auf denen Beleidigungen und dumme Kommentare stehen: „Was machen sie denn da? Normalerweise sind sie doch einigermaßen intelligent“, zum Beispiel. Darauf sollen die Teilnehmer mit zweisilbigen Kommentaren antworten. Aber erstmal kichern einige. Die ruhige Studentin in lila überlegt einen Moment. „Kannst du das nochmal wiederholen“, fragt sie dann die Krankenkassenangestellte. Beim zweiten Mal fällt ihr „Soso“ ein. Mit jeder Beleidigung geht es ein bisschen besser. Die sportliche Blondine sagt nach der Übung: „Es ist schwierig, den richtigen Tonfall und das richtige Wort zu finden.“

Noch komplizierter wird es bei der Sache mit den „unpassenden Sprichwörtern“. Dozentin Eggert hat eine Liste verteilt: „Steter Tropfen erspart den Zimmermann“, steht da, „eine Schwalbe rostet nicht“ und „Wasser hat Gold im Mund.“ Es habe ihr selbst mal so gut geholfen. Einen besonders unsympathischen Chef habe sie mal mit so einem Sprichwort zum Verstummen gebracht: „Zwei Wochen später hat er mich gefragt, was ich damit sagen wollte. Der hat zwei Wochen über meinen Spruch nachgedacht!“ Vorher sei sie es immer gewesen, die sich lange über seine Aussagen geärgert habe. Man solle sich zwei dieser Sprichworte auf Karteikarten kleben und sie auswendig lernen: „Wenn man wieder blockiert ist, weiß man auswendig Gelerntes immer noch.“

Im Training wirkt das dann noch etwas unbeholfen: „Sie Hornochse“, sagt die sportliche Blondine mit dem Pferdeschwanz zur brünetten Mathematikerin. Die lacht unsicher und sagt: „Wer A sagt, findet auch mal ein Korn.“ Dann diskutieren sie, welches der Sprichwörter den anderen beleidigen könnte. Einige sind sich nicht sicher, dass die Strategie überhaupt funktioniert. „Man darf einfach nicht zu viel darüber nachdenken, was andere Leute über einen denken“, antwortet Susanne Eggert. Das ist überhaupt der allerbeste Ratschlag.

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