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Wirtschaft: Elpidio Omiccioli

(Geb. 1933)||Aus den Marken über Kanada nach Berlin. Er war der Schulhofengel.

Aus den Marken über Kanada nach Berlin. Er war der Schulhofengel. Die Marken, das Gebiet zwischen Adria und Apennin. Weite, fruchtbare Täler wechseln mit dunklen Buchenwäldern, sanfte Olivenhaine mit rauen Gebirgszügen. Die Einwohner, die Marchigiani, führen ein Leben, in dem Genügsamkeit als großer Wert gilt.

Hier, in einem Feldsteinhaus, wurde er geboren. Er war das letzte von sieben Kindern, den Eltern fiel kein Name mehr ein. Sie liefen zum Dorfpfarrer und baten um Rat. Der blätterte in einem dicken Buch und fand: Elpidio, vom griechischen Elpis, Hoffnung.

Elpidio soll 13 Pfund bei seiner Geburt gewogen haben. Stramme, kräftige Männer brauchte das Land, also erhielten Elpidios Eltern für ihr zukunftsverheißendes Söhnchen einen Sack Korn, eine Medaille und einige Lire.

Sie waren Analphabeten und Kommunisten. Als die Deutschen durch ihr Dorf marschierten, lief seine Mutter heimlich zu den jungen Soldaten und bot ihnen an: Bleibt doch hier, wir verstecken euch. Doch darauf ließ sich keiner ein.

Einige Monate später passierte ein Trupp deutscher Offiziere den Ort. Elpidio spielte auf der Straße, einer fragte ihn, wo man in dieser gottverlassenen Gegend einen Bauern mit Gänsen finden könne. Elpidio gab Auskunft, und als die Offiziere zurückkamen mit den geschlachteten Tieren unterm Arm, überreichten sie ihm die Köpfe und Füße. Mamma Omiccioli kochte eine gute Suppe daraus und lobte die Deutschen.

Elpidio war ein guter Schüler. Er lernte schnell, war neugierig. Jeden Morgen, vier Jahre lang, streckte er der Lehrerin mit leuchtenden Augen seine Hände entgegen: Die hübsche Signora Rosignuolo, die so schön wie ihre Namensgeberin, die Nachtigall, singen konnte, achtete streng auf saubere Fingernägel.

Nach der Schule arbeitete Elpidio mal bei einem Automechaniker, mal bei einem Schuhmacher. Aber mit zwanzig wollte er nicht mehr nur über Hügel mit Schafen und Pinien blicken. Er wollte richtiges Geld verdienen. Pépino und Marino, seine älteren Brüder, lebten bereits in Montreal. Das einzige Telefon des Dorfes befand sich in der kleinen Bar am Dorfplatz. Nach Tagen des Wartens kam der Wirt in das Haus der Omicciolis gelaufen und rief keuchend, Elpidio solle schnell machen, gleich riefe Pépino noch einmal an.

Wenig später, es war November und in Kanada herrschte eisiger Winter, erreichte Elpidio mit seinen schicksten dünnsohligen Schuhen das ferne Land. 18 Jahre lebte er in Montreal, arbeitete tags und ging abends zur Schule, um Englisch und Französisch zu lernen. Einmal im Jahr flog er nach Hause. Dann setzte er sich auf sein Motorino, fuhr ins 40 Kilometer entfernte Cattolica, ließ sich von seinem Freund, dem Barbier, rasieren und parfümieren und ging ins „Moulin Rouge“. Da saß er dann in seinem weißen Dinnerjackett, im Knopfloch eine rote Nelke, und hörte der Tanzkapelle zu. Am Nachbartisch fiel ihm eine junge Deutsche auf. Sie kamen ins Gespräch, jeden Abend wieder, 14 Tage lang. Dann musste Christa zurück nach Berlin, Elpidio nach Montreal.

Eine Woche später klingelte in Berlin das Telefon, und Elpidio teilte Christa mit, er habe sich erkundigt, als Italiener könne man problemlos in Deutschland arbeiten, er komme nun nach Berlin. Der September 1970 war golden und warm. Elpidio zog seine schicken, dünnsohligen Schuhe an und lief mit Christa durch die ganze Stadt. 1976 heirateten sie.

Elpidio wurde Gärtner in einer Grundschule. „Schulhofengel“ nannten ihn die Lehrer und Schüler. Jeden Morgen rutschte er sicherheitshalber einmal die Rutsche des Spielplatzes hinunter, bevor die Kinder darauf durften. Sie erzählten ihm ihre Geschichten, die von Glück und Schmerz und der ersten Liebe handelten.

Als Elpidio ging, malten ihm die Kinder Bilder. Auf allen gibt es Palmen. Eine Lehrerin hatte ihnen erzählt, Elpidio sei in einem Land geboren worden, weit unten im Süden, in dem immer die Sonne scheint.

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