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Ein Elektroauto und seine Tücken: 160 Kilometer bis München

Wie weit kommt man mit einem Elektroauto wirklich? Nach München? Nach Leipzig? Oder doch eher nur nach Köpenick? Unser Tagesspiegel-Kolumnist hat sich auf den Weg ins elektrische Zeitalter gemacht. Und ist schnell auf dem Boden der Realität angekommen.

160 Kilometer sind ja nicht die Welt. Wenn man zum Beispiel von Berlin nach München fahren will, das sind laut Routenplaner 589 Kilometer, braucht man mit 160 Kilometern, wenn es gut läuft 24 Stunden, wenn es nicht so gut läuft 30 Stunden. Ungefähr. Und zwar so: Man fährt, sagen wir am ICC, auf die Avus. Man fährt 160 Kilometer weit, dazu braucht man mit dem Renault Kangoo - denken wir uns die Avus einfach mal staufrei, unmöglich, aber egal -, man braucht also etwa eineinhalb Stunden. Wenn man jetzt, am Ziel der 160 Kilometer, einen Starkstromanschluss hat, hat man nur sechs Stunden Pause, bei normalen Wechselstrom, darf man gut und gerne zwei Stunden länger schlafen. Unser Renault Kangoo heißt nämlich mit vollem Namen Renault Kangoo ZE. Man ahnt schon, das ZE steht für Zero Emission, also für Sauberkeit, Elektromobilität und für die Zukunft.

Elektroautos sind in aller Munde
Aber weiter auf der Reise. Wenn der Akku voll ist, kann man wieder 160 Kilometer fahren, da ist man dann schon tief in Thüringen, muss aber wieder sechs bis acht Stunden pausieren, Rast in Thüringen ist nicht jedermanns Sache. Kurz und gut: Nach drei Teilabschnitten und zwei Ladevorgängen ist man gut hinter Nürnberg, mit ein bisschen Glück auch schon im schönen Altmühltal. Dann geht es ruckzuck, eine läppische Ladezeit und dann kommt man mit der neuen Reichweite von 160 Kilometern leicht bis München rein, sogar bis Schwabing, vielleicht auch bis zum Stachus, da findet sich bestimmt eine Steckdose.
E-Mobility, Elektroautos, sie sind in aller Munde, a) weil die Sensibilität für die Umwelt gewachsen ist (ideologischer Grund, vielleicht sogar ideeller), b) weil das mit unseren Benzinpreisen so nicht mehr weiter gehen kann (pekuniärer Grund) und c) weil die Kanzlerin für das Jahr 2020 eine Million Elektroautos auf unseren Straßen anpeilt (politischer Grund). Eine Million. In nur noch acht Jahren. Ein ehrgeiziges Ziel, im Jahr 2011 wurden etwa 2000 Elektroautos in Deutschland angemeldet, es ist also noch ein weiter Weg.
Wir haben ihn also getestet, diesen Renault Kangoo ZE. Getestet ist etwas übertrieben, der Fahrer ist technisch eher unbedarft, teilt aber die umweltpolitische Motivation und ist ansonsten Fahrradfahrer (Achtung: ideell) und notorisch klamm (Journalist eben!)
Der erste Eindruck, als das Fahrzeug auf dem Hof stand, war ein ästhetischer Eindruck und die Beruhigung, dass es schließlich nicht um Ästhetik geht, wenn es um die Umwelt geht. Der zweite Eindruck bei der Umrundung des weißen Kastenwagens: Hey, der hat ja wirklich keinen Auspuff. Mit der Erkenntnis einher geht ein gewisses Anwachsen der Erhabenheit: Wow, ich, keine Drecksschleuder, ich, ein Umweltaktivist, ich, vorbildlich, beispielgebend. Na ja, wir werden sehen.

Nichts hören und nicht gehört werden
Gentlemen, start your machine! Dazu dreht man einen Schlüssel, ganz wie im herkömmlichen Benziner. Es passiert nichts. Man dreht noch einmal, nichts passiert. Ein drittes Mal. Ruhe unter der Haube. Kurz mal im Leerlauf den Motor aufheulen lassen. Aber da heult nichts, bis die Erkenntnis reicft, dass ein Elektroauto nicht aufheult. Der Wagen ist längst an, und hätte man beim letzen Manöver, dem Aufheultest, schon den Gang eingelegt gehabt, hätte der Wagen einen gewaltigen Satz gemacht und die Schranke zum Hof wäre jetzt kaputt.
Will sagen: Es ist eine Sache der Gewöhnung, nichts zu hören. Ganz leise, kaum vernehmlich, surrt der Renault, nur das Rollgeräusch der Reifen auf dem Asphalt hat ein gewisses Geräuschpotential.
Nichts zu hören ist das eine. Nicht gehört zu werden ist das andere. Auf dem Kurfürstendamm fahren zwei Radfahrer vorschiftsmäßig auf der Bus- und Taxi- und Radfahrerspur. Sie fahren zügig, aber der Renault fährt zügiger, der ist nämlich ganz schön spritzig, und überholt die beiden Radfahrer. Vorschiftsmäßig, mit angemessenem Abstand. Und trotzdem erschrecken die beiden Radler fast zum Umfallen, weil da plötzlich ein Auto neben ihnen ist. Ein anderes Mal überquert ein Muttchen eine kleine Seitenstraße. Sie hat wohl im Laufe der vielen Jahre vergessen, was sie als Kind lernte, nämlich nach links und nach rechts zu schauen. Das sollte nicht passieren, geschieht aber – man muss im geräuschlosen Elektroauto noch wesentlich mehr, die Reaktionen der anderen Verkehrsteilnehmer berücksichtigen. Wohl hat die herstellende Industrie das Problem erkannt und arbeitet an einem Geräuschverstärker. Bis dahin kann der Fahrer ja die Scheibe öffnen, sich an seine Zeit im Tretauto erinnern und laut zum Fenster hinaus „brumm, brumm“ machen. Was misslich werden kann bei Regen und Kälte.

Woher kommt der Strom?
Dann nämlich tauchen die nächsten Probleme auf. Täuscht das, oder arbeitet sich der Akku noch schneller ab, wenn der Scheibenwischer wischt, wenn man den Fensterheber betätigt, gar die Heizung benutzt? Es war in den Tagen der Testfahrt mitunter empfindlich kalt. Bei Kälte entlädt sich der Kangoo noch schneller als ohnehin. Die angegebene Reichweite von 160 Kilometern erschien grundsätzlich als sehr geschönter Wert, bei der Testfahrt wurden nicht einmal hundert Kilometer erreicht. Und dann? Dann ist es ratsam, eine Garage zu haben, mit Stromanschluss, oder ein Häuschen, in das man das Kabel legt, um den Wagen über Nacht wieder fahrtüchtig zu machen. Zwar gibt es in der gesamten Stadt verteilt zahlreiche Tankstellen, aber die sind selten vor der Haustüre stationiert, man hat also einen weiten Weg, sind oft besetzt, auch von Benzinern, und, natürlich, unbeaufsichtigt. Vandalismus oder einfach nur der böse Streich, das Kabel aus der Steckdose zu ziehen, sind wohl nicht auszuschließen.
Spätestens an der Tanksäule, also am Stromnetz, bekommt die Erhabenheit des wackeren Umweltaktivisten arge Risse. Woher kommt dieser Strom eigentlich? Aus der Steckdose! Und wie kommt er dahin? Und was für ein Strom ist das? Möglicherweise ist es noch Atomstrom. Schöner Umweltaktivist bist du.
Die Fahreigenschaften des Kangoo ZE sind nicht zu beanstanden. Er ist wendig, er ist flott, kraftvoll, er schafft auf der Autobahn leicht 130 km/h, das reicht, er ist geräumig und im Fahrzeugraum technisch ausgereift. Man kommt nur leider nicht weit damit. Also kein Auto für die Landpartie, eher eins für die Stadt? Ach, wie gerne hätte der Tester, dem heutigen Elektroauto die Zukunft verheißen, es gepriesen gegen die Stinker und Lärmer und Dreckschleuder. Aber leider: Ingenieure, es gibt noch viel zu tun, um ein effizientes Elektroauto auf die Straßen zu bringen. 2020 ist nicht mehr weit, bis dahin fährt der Tester in der Stadt lieber Rad. Und das auch erhaben.

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