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Ein Nachbau des historischen Elektro-Dreirads der Herren Ayrton und Perry aus dem Jahr 1882. Die Replik steht im Automuseum in Altlußheim bei Hockenheim.

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Elektroautos, einst technische Avantgarde: Als die Stromer laufen lernten

Das Elektroauto ist mehr als 130 Jahre alt und befuhr damit schon fünf Jahre vor Carl Benz auf der Straße. Um die Jahrhundertwende beherrschten die E-Mobile gar den Markt. Doch gerade elektrische Erfindungen brachten das Aus für das historische Elektroauto. Ein Rückblick.

1886, dieses Datum kennt jeder Auto-Fan. 1886 fuhr Carl Benz mit seinem benzingetriebenen Dreirad durch Mannheim. Allerdings war dieses Antriebskonzept schon die dritte Variante ein Gefährt auf Rädern voranzubringen. Bereits im Jahr 1769 trieb der Franzose Nicholas Cugnot ein Fahrzeug mittels Wasserdampf an und schuf so quasi das erste Automobil der Welt. Aber der Antrieb erwies sich bald als wenig praktikabel auf der Straße, denn die Vehikel waren sehr groß und umständlich zu bedienen. Das elektrische Dreirad von Gustave Trouvé, mit dem der Franzose 1881 durch Paris fuhr, sollte als die eigentliche Geburtsstunde des Automobils gelten. Nicht zuletzt, weil sein Elektroantrieb heute eine Renaissance feiert.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde auf breiter Front in allen Industrienationen an Mobilitätskonzepten geforscht. Das in voller Blüte stehende Industriezeitalter hatte neue Bedürfnisse geschaffen, die die Eisenbahn nicht mehr ohne weiteres erfüllen konnte. Neben dem Transport von Waren wurde individuelle Mobilität immer wichtiger. Hinzu kommt, dass die Eisenbahn nicht jeden Winkel des Landes wirklich erschließen konnte. So forschte man in ganz Europa nach einem Konzept, dass die Pferde und Kutschen endgültig ersetzen konnte.

Mit einem halben PS durch London

Ein Jahr nach der Fahrt von Trouvé bauten die zwei englischen Professoren William Edward Ayrton und John Perry ihr elektrisches Dreirad. Technisch war das Gefährt mit zwei großen Rädern vorne und einem kleinen hinten weiterentwickelt als das Fahrzeug von Trouvé. Die Geschwindigkeit wurde durch an- und abschalten der 10 Bleisäure-Batterien geregelt. Die hatten eine Kapazität von 1,5 Kilowattstunden und es lag eine Spannung von 20 Volt an. Das ist auch aus heutiger Sicht gar nicht mal so schlecht. Mit einer Leistung von einem halben PS würde sich heute allerdings wohl niemand mehr zufrieden geben, außer vielleicht bei einem Elektrofahrrad.

In den Kindertagen der individuellen Mobilität galt der Elektroantrieb als das zukunftsfähigere Konzept. Tankstellen für Benzin gab es kaum, befestigte Straßen ohnehin nur in Ballungsgebieten. Die Elektroautos waren deutlich einfacher zu handhaben als die Verbrenner mit ihrem leicht entflammbaren Benzin und den unzuverlässigen Motoren. Besonders in den noch jungen USA setzte sich das Konzept zunächst durch. Städte wie New York schienen prädestiniert für elektrische Mobilität.

Technische Vorteile im Rennsport

Auch im Motorsport behielt das E-Auto noch die Oberhand. Im Jahr 1896 wurde erste Autorennen in Amerika veranstaltet, bei dem neben fünf benzingetriebene Mobile und ein Elektroauto an den Start gingen. Der Stromer ließ die Verbrenner-Konkurrenz im Schatten stehen. Der damals entscheidende Vorteil des Elektromotors gilt bis heute. Während ein Verbrennungsmotor mit viel Aufwand, sprich Kraft und Kraftstoff, Drehmoment aufbauen muss, steht bei einem Elektromotor von der ersten Umdrehung an die volle Kraft zur Verfügung.

Die ersten Jahrzehnte des 20 Jahrhunderts können durchaus als Blütezeit des Elektroautos bezeichnet werden. Für Experten gab es eine klare Arbeitsteilung. Während dampfgetriebene Fahrzeuge ihre Vorteile, nämlich die hohe Leistung, vor allem auf der Schiene ausspielen konnten, war für ein Fahrzeug mit Verbrennungsmotor die Reichweite ein Plus. Daher sollten sie über Land dahin tuckern. In den Städten hingegen schien das E-Mobil konkurrenzlos. Geschwindigkeiten bis etwa 35 Stundenkilometer und eine Reichweite von 40 bis maximal 80 Kilometer genügten damaligen Ansprüchen vollständig.

Erstes Automobil über 100 km/h war ein Elektroauto

So entstand zum Beispiel rund um die boomende Metropole New York eine prosperierende Elektroauto-Industrie. Unternehmen wie Baker Motor Vehicle, Studebaker Electric oder die Columbia Automobile Company waren nur einige von insgesamt mehr als 20 Herstellern alleine in den USA. In Deutschland bauten Henschel, Hercules, Dixi/Wartburg. Lloyd, Messerschmitt-Bölkow-Blohm und Siemens stromgetriebene Fahrzeuge.

Ein Nachbau des Elektroautos "Viktoria" von Siemens aus dem Jahr 1905 fährt durch Berlin. Auch in Deutschland bauten eine große Zahl von Firmen Automobile mit elektrischem Antrieb.
Ein Nachbau des Elektroautos "Viktoria" von Siemens aus dem Jahr 1905 fährt durch Berlin. Auch in Deutschland bauten eine große Zahl von Firmen Automobile mit elektrischem Antrieb.

© dpa

Der Siegeszug des Elektroautos schien unaufhaltsam. Um 1900 waren in den USA 38 Prozent aller Fahrzeuge elektrisch betrieben und 40 Prozent liefen mit Dampfkraft. Nur 22 Prozent wurden durch einen Verbrennungsmotor nach vorne gebracht. Das erste Automobil der Welt, dass die Schallmauer von 100 Stundenkilometer durchbrach war 1899 die „La Jamais Contente“ (Die nie Zufriedene) des belgischen Konstrukteurs und Rennfahrers Camille Jenatzy.

Die Elektrik beendete den Siegeszug

Angesichts dieses Höhenflugs des Elektroautos wirkt es wie ein Sarkasmus der Geschichte, dass gerade Erfindungen der Elektrik den Siegeszug des E-Mobils stoppten und dem Verbrennungsmotor den Weg bereiteten. Vor allem der elektrische Anlasser machte die benzingetriebenen Autos deutlich bequemer. Das lästige Ankurbeln der schweren Motoren entfiel, die Hände blieben sauber und auch schwächere Menschen konnten einen Verbrennungsmotor in Gang bringen. Daneben waren elektrische Zündanlagen dafür verantwortlich, dass der Verbrauch in vernünftige Bahnen gebracht wurde und sich die Zuverlässigkeit deutlich erhöhte.

Vor allem aber war es aber die Reichweite, die dem Benzinern zum Durchbruch verhalf. Mit der Verbreitung von Tankstellen und der damit einhergehenden Verfügbarkeit von Benzin bekam das Automobil eine Flexibilität, die mit Elektromotoren in dieser Form nicht möglich war. Ein Vorteil, von dem Autos mit Verbrennungsmotoren bis heute zehren und den das Elektroauto auch mehr als 130 Jahre nach seiner Jungfernfahrt noch nicht aufholen konnte.

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