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Gemeinsam unterwegs. Seit knapp drei Jahren berät Henning Kagermann Bundeskanzlerin Angela Merkel in Sachen Elektromobilität.

© AFP

NPE-Chef Kagermann: "Wir brauchen Planungssicherheit"

Eine Million Elektroautos auf Deutschlands Straßen bis 2020 wünscht sich Kanzlerin Angela Merkel. Wie die Nationale Plattform Elektromobilität ihre Ziele erreichen will: Henning Kagermann im Interview.

Herr Kagermann, wenn man in Ihrem letzten Bericht auf Seite 46 die Kurve der  prognostizierten Stückzahlen von Elektroautos anschaut, dann kommt man ungefähr auf 30.000 Autos bis Ende 2012. Davon waren wir weit entfernt. Woran liegt’s?

100.000 Autos wollen wir bis Ende 2014 erreichen, eine Million bis 2020 – das sind die Eckdaten, von denen wir ausgehen. Für die Jahre 2012 und 2013 gab es keine feste Zielmarke, wir sind ja mitten in der Marktvorbereitung.

Aber richtig ist doch, dass die Kurve nicht schnurstracks auf das Ziel zuläuft.

Derzeit sind noch wenige Modelle auf dem Markt, daher sind die Zahlen noch wenig aussagekräftig. Das ist allerdings keine Überraschung. Die Hersteller haben bis Ende 2013, Anfang 2014 eine Fülle an Modellen angekündigt. Die Nachfrage wird dann exponentiell steigen: vor allem durch Flottenprogramme, öffentliche Beschaffungsprogramme und die Schaufenster für Elektromobilität.

Wie viele Autos werden Ende 2013 auf Deutschlands Straßen unterwegs sein?

Noch nicht so viele. Der Sprung bei den Zulassungen kommt erst 2014. Diese Phase ist sehr wichtig. Dann wird sich herausstellen, wie Nachfrage und Angebot zusammenfinden.

2013 ist Bundestagswahl. Was sind Ihre Erwartungen für die Zeit danach?

Ich gehe davon aus, dass Elektromobilität so intensiv verfolgt wird wie bisher. Der Aufbruch in die Elektromobilität ist ein breiter politischer und gesellschaftlicher Konsens.

In der Industrie scheint die Begeisterung nachzulassen.

Wir kommen sehr gut voran. Begeisterung brauchen Sie beim Aufbruch, wir sind nun in der Phase der konzentrierten Arbeit. Die Industrie hat bestätigt, dass sie bis Ende kommenden Jahres 17 Milliarden Euro investieren wird. Und bis Ende 2014 sollen 15 Fahrzeuge deutscher Hersteller auf dem Markt sein. Viele Experten prognostizieren allerdings einen höheren prozentualen Anteil an Plugin-Hybrids unter den Elektroautos, als wir ursprünglich angenommen hatten.

Ferdinand Piech, einer der führenden Manager der Branche, sagt wörtlich: Ich halte nichts vom reinen Elektroantrieb.

Die Meinung einer so anerkannten Persönlichkeit muss man natürlich sehr ernst nehmen. Ich glaube nicht, dass er sich gegen die Elektromobilität insgesamt wendet, wenn er einen einzelnen Antrieb skeptisch sieht. Denn neben den reinen batterieelektrischen Fahrzeugen zählen wir dazu auch Plug-in-Hybride, Range Extender und Brennstoffzelle. Im urbanen Umfeld macht der Elektromotor Sinn, für lange Strecken weniger.

Plug-in-Hybride sind doch weitgehend technisch gelöst. Wofür braucht es dann noch eine Nationale Plattform für Elektromobilität?

Der Plug-in-Hybrid braucht auch eine Ladeinfrastruktur. Und: Wir müssen die Batterien leistungsfähiger und kostengünstiger bekommen. Außerdem gewinnt der Leichtbau an Bedeutung, weil Plug-in-Hybride mit ihren zwei Motoren notgedrungen schwerer sind als vergleichbare Benziner.

Bleiben Sie denn bei Ihrer Schätzung, dass im Jahr 2020 etwa 40 Prozent der eine Million Autos rein batterieelektrisch angetrieben sind?

Die Schaufensterregionen werden uns genauere Erfahrungswerte geben. Möglicherweise ist diese Zahl hoch gegriffen. Das Schlüsselthema ist und bleibt die Batterie. Da müssen wir dranbleiben. Die asiatischen Hersteller sind uns auf diesem Feld noch voraus. Lithium-Ionen-Batterien wird es noch viele Jahre geben, hier müssen wir die Fertigung optimieren und gleichzeitig an der nächste Generation forschen. Dann können wir vielleicht einen Vorsprung herausarbeiten.

Wenn die 15 deutschen Autos kommen, wird daraus ein Vertriebsthema. Wie sollten die Hersteller diesen Nischenmarkt angehen?

Am besten scheint es mir zu sein, Elektrofahrzeuge zunächst nur in einigen ausgewählten Niederlassungen anzubieten. Der Service muss bei dieser neuen Technologie erstklassig sein. Da muss vielleicht auch ein Techniker zu Ihnen nach Hause kommen, um beispielsweise zu prüfen, wie man bei Ihnen am besten eine Ladesäule einbaut. Der Kunde muss vor technologischen Risiken geschützt werden, damit er sich vorbehaltlos auf Elektromobilität einlassen kann.

Gilt das auch für das Restwertrisiko?

Absolut. Die Hersteller sollten für eine bestimmte Anlaufzeit alle technologischen Risiken übernehmen. Bei einer Vermietung der Batterie etwa wäre das gewährleistet, ebenso beim Leasing des Autos, wenn der Restwert garantiert wird. Dann kann ich mich als Kunde sicher fühlen. Das muss nicht ewig sein, nach ein paar Jahren ist der Welpenschutz vorbei. Dann muss sich ein Gebrauchtwagenmarkt gebildet haben. 

Wie sicher sind Elektroautos? Es hat immer wieder Brände gegeben, über die man lesen konnte.

Ebenso wie für Benziner gilt: Unsere Hersteller stehen für Qualität. Sie bringen kein Auto, das nicht absolut gründlich auf seine Sicherheit überprüft ist, der Imageschaden für das Unternehmen wäre ja enorm. Sicherheit ist das wichtigste Kriterium. An dieser Ecke werden wir keine Probleme haben.

2014 ist das Schlüsseljahr, haben Sie gesagt. Was sind die Punkte, an denen sich entscheidet, ob Ihre Strategie aufgeht?

Es ist ein Schlüsseljahr, weil zu Beginn neue Modelle auf den Markt kommen und am Ende des Jahres die zweite Phase der Einführung der Elektromobilität beginnt. Erstens müssen wir bis dahin eine ausreichende Nachfrage haben. Die Hersteller dürfen nicht das Gefühl haben, dass sie auf ihren Autos sitzen bleiben. Zweitens muss die Bevölkerung realistische Erwartungen haben. Das ist auch die Verantwortung der Medien.

Was ist denn realistisch?

Realistisch ist, dass die Schaufensterregionen Elektromobilität als attraktive Alternative für Gewerbetreibende, Flottenkunden und Pioniere zeigen, die sich privat ein Elektroauto zulegen. Eine Fahrt in einem Elektroauto ist das beste Argument für die Technologie. Man sollte in dieser ersten Phase nicht immer nur auf die Stückzahlen schauen und erwarten, dass man nächstes Jahr an jeder Straßenkreuzung ein Elektroauto sieht. Diese Technologie wird auch nicht in zehn Jahren die Verbrennungsmotoren ersetzen. Selbst eine Million Elektrofahrzeuge wären nur zwei bis drei Prozent aller Autos in Deutschland – die wir 2020 sehen. Das dauert seine Zeit.

China oder Deutschland - wer hat die besseren Rezepte?

Deutschland versucht, den Übergang perfekt zu organisieren. China geht viel aggressiver vor.

Der systematische deutsche Weg ist richtig. Die chinesische Regierung ist plötzlich überrascht, dass es nicht so schnell geht wie geplant. Genauso in Frankreich. Da beispielsweise sollen Kaufprämien dazu führen, dass Elektroautos gekauft werden. Es hat aber wenig Sinn, viel Geld in den Markthochlauf zu investieren, so lange der Markt noch nicht vorbereitet ist.  

Sie haben über 2014 gesprochen. Was muss 2013 erreicht werden?

Im Mai zeigen wir auf der internationalen Konferenz am Alexanderplatz in Berlin, wo wir stehen. Das soll auch Ausstellungscharakter haben und Fahrerlebnisse ermöglichen. Außerdem wollen wir den systemischen Ansatz vorantreiben. Wir haben verschiedene Programme entwickelt, die wir zusammenführen wollen. Wir werden eine Roadmap für die Elektromobilität in Deutschland vorlegen, die sich an vier oder fünf Nutzergruppen orientiert. Das werden Checklisten sein, die konkret zeigen, was bis wann zu tun ist. 

Wie entwickeln sich die nationalen Schaufenster?

Die Schaufenster müssen entscheidend vorankommen. Dafür müssen selbstverständlich auch ausreichend Elektrofahrzeuge bereitstehen. Wir wollen den Bedarf ermitteln und uns gemeinsam auf entsprechende Stückzahlen verständigen. Es geht darum, in diesem Jahr bei allen Beteiligten Planungssicherheit herzustellen.

Sie haben gesagt, Sie wollen zeigen, wo wir stehen. Wo stehen wir denn?

Wir stehen gut da. Es ist teils der falsche Eindruck entstanden, die NPE habe die Zielmarke von einer Million Autos bis 2020 auf 600.000 zurückgenommen. Das ist falsch. Die NPE hat nur gesagt: Auf Basis der bisherigen Fördermaßnahmen und gemäß unserem derzeitigen Modell landen wir bei 600.000 Stück – doch wir noch lange nicht alles ausgeschöpft. Wir werden die Modellrechnung neu ausschreiben, um größtmögliche Transparenz zu schaffen. Die Schaufenster sind der nächste Schritt. Sie bringen Elektromobilität in die Fläche und werden zeigen, ob alle unsere Annahmen stimmen und welche weiteren Anreize möglicherweise notwendig sind.

Wie steht es um die Brennstoffzelle?

Ich kenne keinen Hersteller, der diese Technologie abgeschrieben hätte. Auch deswegen ist unser technologieoffener Ansatz richtig. Die Brennstoffzelle könnte die beste Lösung sein – wenn sie breitentauglich wird. Es ist wie bei der Batterie. In beiden Fällen muss der Durchbruch über die Kosten kommen. Die Frage ist, welche der Elektromobilitäts-Technologien als erstes den entscheidenden Sprung macht. Derzeit kann ich das noch nicht absehen.

Ein Zukunftsthema ist auch die Verknüpfung von Elektromobilität und intelligentem Stromnetz. Die Autobatterien sollen als Zwischenspeicher dienen und so zur Netzstabilität beitragen. Wie realistisch ist das wirklich bei den geringen Stückzahlen, um die es bei den Autos absehbar geht?

Klar ist, dass die Energiewende ohne Smart Grids nicht gelingen kann. Die Produktion, der Verbrauch und die Speicherung müssen intelligent vernetzt werden, um eine optimale Auslastung und geeignete Lastverschiebungen zu erzielen. Elektroautos können als Stromspeicher einen signifikanten Beitrag leisten. Bei einer Stückzahl von sechs Millionen haben sie die selbe Speicherkapazität wie alle deutschen Pumpspeicherkraftwerke.

Sechs Millionen Autos – das heißt doch, dieses Thema in den nächsten Jahrzehnten keine Rolle spielt.

Bis 2030 ist sechs Millionen eine realistische Zahl. Und wir müssen schon heute die Schnittstellen und Standards schaffen, die Laden in beide Richtungen ermöglichen. Einen HD-tauglichen Fernseher haben Sie vermutlich auch schon lange gekauft, bevor es HD gab. Ebenso müssen wir das bidirektionale Laden vorbereiten.

Eine Million Elektroautos sollen es bis 2020 sein. Werden Sie dann noch im Amt sein?

Das ist eine gute Frage. Ich mache das sicherlich bis zur Bundestagswahl, und dann sehen wir weiter.

Also wenn die nächste Bundesregierung nicht so will wie Sie, dann hören Sie auf?

Nein, so nicht. Die NPE wird auf alle Fälle weitergeführt. Alle Beteiligten werden sich nach der Wahl verständigen, in welcher Konstellation.

Das Interview führte Moritz Döbler.

DER MANAGER

Henning Kagermann (65) ging 1982 als habilitierter Physiker zum damals noch kleinen Softwareunternehmen SAP. 1991 kam er in den Vorstand, von 2003 bis 2009 war er dessen Chef. Er ist Mitglied in mehreren Aufsichtsräten, Präsident der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften und Vorsitzender der Nationalen Plattform Elektromobilität (NPE).

DAS GREMIUM

Die NPE wurde im Mai 2010 bei einem Treffen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel ins Leben gerufen und berät die Bundesregierung. In ihr sind Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und die Gewerkschaften vertreten. Ziel ist es, Deutschland zu einem Leitmarkt und die heimische Industrie zu einem Leitanbieter für Elektromobilität zu machen. Direkte Kaufprämien sind bisher nicht geplant.

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