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Licht aus: Das passiert besonders bei Geringverdienern.

© dpa

Energiearmut: Angst vor der Stromsperre

Millionen Kunden haben schon jetzt Mühe, ihre Rechnungen zu bezahlen, besonders Geringverdienenden und Hartz 4-Empfängern machen die hohen Preise zu schaffen. Und wer seine Rechnungen nicht zahlt, für den wird es dunkel in der Wohnung: Die Konzerne sperren dann den Strom. Und die Preise werden weiter steigen.

Ein Ärgernis sind sie für jeden Kunden, für sozial Schwache können sich die ständig steigenden Strompreise jedoch zu einer Katastrophe auswachsen. „Wenn die Preise weiter steigen, wird es noch mehr Stromsperren geben“, befürchtet Christian Woltering vom Paritätischen Gesamtverband. Das heißt: Noch mehr Menschen als bisher könnte dann der Strom abgestellt werden.

Gut 312 000 Haushalten ist das im Jahr 2011 widerfahren, weiß die Bundesnetzagentur, neuere Zahlen hat die Behörde nicht. Damit rücken auch die Versorger und Netzbetreiber nicht heraus. Die Frage, wie oft sie Kunden, die ihre Rechnungen nicht zahlen, blaue Briefe und letztlich die Kündigung schicken, ist den Stromlieferanten sichtlich unangenehm. Lieber sprechen RWE, Eon oder Vattenfall darüber, wie frühzeitig sie mit den Betroffenen, Wohlfahrtsverbänden und den Sozialbehörden nach einer Lösung suchen, um zu verhindern, dass säumige Kunden im Dunkeln sitzen.

„Wir setzen uns mit den Sozialbehörden zusammen“, berichtet etwa der Sprecher der RWE-Vertriebsgesellschaft Klaus Schultebraucks. Vattenfall kooperiert mit der Gesellschaft für Verbraucher- und Sozialberatung, die Energieschuldner berät. Und auch bei Eon, Deutschlands größtem Versorger, bezieht man nach eigenen Angaben Behörden oder Wohlfahrtsverbände in die Lösung des Konflikts ein. „Wir setzen alles daran, dass es nicht zu einer Sperrung kommt“, betont eine Sprecherin.

Tatsächlich lassen sich auf diesem Wege viele der angedrohten Stromsperren vermeiden. Sechs Millionen Mal haben die Versorger im Jahr 2011 säumigen Kunden angedroht, ihnen den Strom abzustellen, in den meisten Fällen kam es dann doch nicht dazu. In Berlin verschickte Vattenfall im vergangenen Jahr 92 000 Sperrandrohungen an seine Kunden, am Ende wurde 19 000 Haushalten der Saft abgedreht – übrigens nicht nur Vattenfall-Kunden, sondern auch Kunden anderer Stromlieferanten.

Für 2013 lägen die Zahlen auf einem „vergleichbaren Niveau“, sagte eine Vattenfall-Sprecherin dem Tagesspiegel. Die Stromsperren hätten nicht zugenommen, berichten auch andere Versorger. Das klingt gut, aber nur auf den ersten Blick: Denn die Stromsperren haben auch nicht abgenommen – trotz der Interventionen der Sozialbehörden und der Wohlfahrtsverbände, trotz Ratenzahlungen und Stundungen.

Wohlfahrtsverbänden macht das Angst. Denn bereits heute ist absehbar, dass sich das Problem verschärft. Der Strompreis, der seit Jahren steigt, wird wegen der höheren Ausgleichszahlungen für die erneuerbaren Energien (EEG-Umlage) Anfang nächsten Jahres weiter in die Höhe gehen. Die Umlage, die derzeit bei knapp 5,3 Cent pro Kilowattstunde Strom liegt, wird Experten zufolge auf über sechs Cent steigen.

Wohlfahrtsverbände und die Opposition fordern daher eine Erhöhung des Hartz IV-Satzes. Der Regelsatz für einen Alleinstehenden wurde im Januar um acht Euro auf ingesamt 382 Euro pro Monat erhöht. Das ist nicht genug, meint Klaus Wiesehügel, designierter Sozialminister im Kabinett des SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück. Es müsse sichergestellt werden, dass in der Grundsicherung „die notwendigen Kosten abgedeckt werden“, sagte Wiesehügel dem Tagesspiegel. „Darin werden dann auch die steigenden Strompreise angemessen berücksichtigt.“

Nach Berechnungen des Internetportals Verivox ist das derzeit nicht der Fall: Von den 382 Euro im Monat entfallen derzeit gerade einmal 31,94 Euro auf Strom und Ausgaben für die Wohnungsinstandhaltungen. Zu wenig. Denn in der Grundversorgung, in der noch immer die meisten Menschen beliefert werden, kostet allein der Strom für einen Ein-Personen-Haushalt im Schnitt 42 Euro im Monat, kritisiert Jan Lengerke, Mitglied der Geschäftsleitung bei Verivox. „Für den Strom allein reicht es schon nicht“, ärgert sich Lengerke. „Wenn dann eine Fliese bricht oder ein Siphon erneuert werden muss, ist dafür kein Geld da.“

Daher fordern auch die Grünen mehr Geld für sozial Schwache. Sie wollen den Regelsatz auf 420 Euro im Monat erhöhen, Christian Woltering hält auch das für zu niedrig. „Der Regelsatz muss bei 442 Euro liegen“, sagt der Sozialexperte.

Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) sieht das anders. Im Ministerium verweist man darauf, dass der Regelsatz jährlich nach einem Mischindex erhöht wird. In diesen Index fließt die Inflation – und damit auch die Erhöhung der Strompreise – zu 70 Prozent ein, zu 30 Prozent wirkt sich die Entwicklung der Nettolöhne aus.

Seit 2008 ist der Regelsatz um 31 Euro, also knapp neun Prozent, gestiegen, betont ein Sprecher auf Anfrage: „Die Strompreissteigerung ist damit mehr als ausgeglichen worden“, folgert das Ministerium. Wirklich? Verivox widerspricht: Verglichen mit 2008 zahlt ein Single-Haushalt heute für seinen Strom nämlich über 30 Prozent mehr.

Alles, was Sie über Strom und Energiesparen wissen müssen, finden Sie in unserem neuen Ratgeberportal: www.tagesspiegel.de/strom

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