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Energiegipfel: Überspannt

Die Wirtschaft warnt, dass ambitionierte Klimaziele Firmen aus dem Land treiben. Die Regierung sieht dagegen Vorteile für alle.

Berlin - Sie können es nicht lassen. Pünktlich zum Energiegipfel am Dienstag hat das Deutsche Atomforum bei Emnid eine Umfrage zur Kernenergie präsentiert. 48 Prozent der Befragten meinen, dass die Restlaufzeiten für die deutschen Kernkraftwerke über das Jahr 2021 hinaus verlängert werden sollen. „Das Signal an die Politik ist somit deutlich. Sie kann sich auf eine Mehrheit in der Bevölkerung stützen, die der Kernenergie offen, pragmatisch und vorurteilsfrei gegenübersteht“, sagt Walter Hohlefelder, Präsident des Deutschen Atomforums.

Die Atomwirtschaft – und das sind vor allem die vier Energiekonzerne Eon, RWE, Vattenfall und EnBW – hat wegen der Klimadebatte wieder zunehmend Hoffnung auf einen Ausstieg aus dem Ausstieg. Das würde nämlich Milliarden bringen. Die Institute Prognos und EWI haben im Auftrag der Bundesregierung zum Beispiel errechnet, dass ein forcierter Ausbau der erneuerbaren Energien 5,2 Milliarden Euro teurer wäre, als wenn die AKWs länger laufen dürften. Doch wie auch bei den ersten beiden Gipfeltreffen im Kanzleramt wird auch am Dienstag die Kernkraft kein Thema sein, weil die SPD das nicht will. Im Mittelpunkt steht vielmehr die Energieeffizienz, die nach den Plänen der Regierung im Zeitraum 1990 bis 2020 verdoppelt werden soll. „Realitätsfern“, heißt es dazu in einem Gipfelpapier des Bundesverbandes der Industrie (BDI).

„Die Industrie muss heute die grundlegende Frage stellen, ob im politischen Diskurs die Ziele Versorgungssicherheit und Wettbewerbsfähigkeit bereits aufgegeben sind“, schreibt der BDI. Anders gesagt: Die Politik hat nur noch den Klimaschutz im Sinn, konkret die Minderung des CO2-Ausstoßes. Wenn die Regierung tatsächlich ihre Ideen umsetze, „nimmt sie eine schleichende Deindustrialisierung Deutschlands in Kauf mit der Konsequenz von ins Ausland verlagerten Produktionsstätten“. Schließlich appelliert die Industrie an die Regierung, durchzurechnen, was passiert, wenn die Energieeffizienz nicht wie vorgesehen um drei Prozent pro Jahr steigt, sondern nur um 1,5 oder zwei Prozent.

Mit Energieeffizienz wird das Verhältnis von Energieeinsatz und Bruttosozialprodukt beschrieben: Wie viel Primärenergie wird benötigt, um wie viel Wirtschaftsleistung zu erreichen. Im Durchschnitt der letzten Jahre lag die Energieeffizienzrate bei rund einem Prozent. Eine Verdreifachung sei „nicht möglich“, meint Horst Enzelmüller, Vorstandsvorsitzender des Energiedienstleisters Techem. Geraldine Schroeder von Vattenfall weist darauf hin, dass selbst in den Jahren nach der Wende, als in Ostdeutschland die Energie fressende Industrie zusammenbrach, die Effizienzrate nur bei 2,5 Prozent lag.

„Rund ein Drittel der Primärenergie geht für die Heizung drauf“, sagt Techem-Chef Enzelmüller. Die Milliarden, die der Bund für die Gebäudesanierung ausgebe, seien zwar gut angelegt, reichten aber bei weitem nicht aus. Wirkungsvoller sei Technologie zur Optimierung der Heizung, die den Verbrauch um sieben bis 15 Prozent reduziert, sagt Enzelmüller. „Das kostet 1000 bis 2000 Euro und nach einem Jahr ist das Geld eingespart.“

Höhere Wirkungsgrade und damit eine höhere Energieeffizienz wird auch die Erneuerung des Kraftwerksparks in Deutschland bringen. Vattenfall zum Beispiel plant eine neue Anlage für Kraft-Wärme-Kopplung in Berlin. Das gegenwärtig laufende Kraftwerk kommt auf einen Wirkungsgrad von rund 30 Prozent, ein neues Gaskraftwerk dagegen käme auf etwa 60 Prozent und Steinkohle immerhin noch auf 50 Prozent.

Energieintensive Branchen betonen ihre Bereitschaft zum Handeln. „Wir sind nicht gegen Energieeffizienz, das ist unser tägliches Brot“, sagt Dieter Ameling, Präsident der Wirtschaftsvereinigung Stahl. Die Forderungen der Bundesregierung seien aber vollkommen unrealistisch, was die mögliche Steigerung der Energieeffizienz angeht. „Das ist nicht möglich. Sonst müssen wir eine neue Physik erfinden“, sagt Ameling. Es sei leicht auszurechnen, wie viel Energie rein physikalisch – also mindestens – nötig ist, um eine Tonne Stahlschrott auf 1600 Grad Celsius zu erhitzen. Das seien 450 Kilowattstunden. Auf dem aktuellen Stand der Technik würden 500 Kilowattstunden verbraucht. „Denn bei jedem energetischen Prozess gibt es Verluste, wie beim Heizen einer Wohnung“, erklärt Ameling. Die Effizienz könne vielleicht noch um fünf Prozent gesteigert werden. „Wir werden deshalb bei dem Energiegipfel klar sagen, dass wir uns wegen übertriebener Klimavorsorge nicht wettbewerbsunfähig machen dürfen“, sagt Ameling.

Übermäßige Belastungen für die Wirtschaft zweifelt die Regierung allerdings an. Nach Berechnungen des Bundesumweltministeriums ist die dreiprozentige Steigerung mit bereits heute verfügbaren Technologien zu schaffen. Zudem würden durch die Nutzung von Einsparmöglichkeiten Gewinne aus Sicht der Volkswirtschaft und häufig auch der Betriebe geschaffen. Bis zum Jahr 2020 könnten nach Einschätzung des Umweltministeriums Energiekosten von insgesamt mehr als 300 Milliarden Euro vermieden werden. Das käme der Wirtschaft direkt zugute, wirke sich positiv auf die Beschäftigung aus und führe zu höherem Wirtschaftswachstum. Zudem warnte Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD) die Wirtschaft davor, sie stelle mit ihrer Haltung milliardenschwere Steuerbefreiungen infrage. Die hatte die EU-Kommission nur unter der Auflage genehmigt, dass die von der Wirtschaft bereits zugesagten Klimaschutzziele erreicht werden.

Unterstützung erfährt die Regierungsposition aus der Wissenschaft. Die angepeilte Steigerung der Effizienz sei „grundsätzlich machbar“, sagt Claudia Kemfert, Energieexpertin beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Sie könne zwar die Einwände der Wirtschaft verstehen. Nicht für jede Branche seien die gleichen Einsparungen machbar. Allerdings habe sich die Wirtschaft auch in der Vergangenheit „nicht wirklich klimafreundlich“ gezeigt, kritisierte Kemfert. „Selbstverpflichtungen haben nicht funktioniert.“

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