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© Kevin Hoffmann

Energiekonzern: Entscheidung in Moorburg

Im Streit um das Steinkohlekraftwerk Moorburg klagt Vattenfall gegen Hamburg – und droht mit Schadenersatzforderungen.

Mit Papier angreifen, mit Stacheldraht verteidigen. Und hinten rum ein leises Signal zur Versöhnung senden. Es gibt kein Lehrbuch, in dem steht, wie man ein zwei Milliarden Euro schweres Vorhaben, das auf der Kippe steht, doch noch durchsetzt. Der Energiekonzern Vattenfall muss improvisieren. Es sind die entscheidenden Tage: CDU- und Grünenpolitiker der Hansestadt Hamburg ringen in Hinterzimmern um die Frage, ob Vattenfall den Bau seines umstrittenen Steinkohlekraftwerks im Hafenstadtteil Moorburg fortsetzen kann. Spätestens am Donnerstagabend soll die Entscheidung verkündet werden. Und die Vattenfall-Manager wollen nicht tatenlos zusehen.

Am gestrigen Montag haben die Anwälte des Versorgers deshalb zunächst eine so genannte Untätigkeitsklage beim Hamburger Verwaltungsgericht eingereicht. Die Stadt Hamburg solle endlich auch die letzte immissionsrechtliche Genehmigung erteilen, damit Vattenfall die Bauarbeiten ohne Sorge bis zur geplanten Fertigstellung 2011 fortführen kann. Das Übergeben dieses Stapels Papier in einem sterilen Hochhaus nahe der Alster im Stadtzentrum war kaum mehr als ein symbolischer Akt. Das wusste auch Vattenfall-Europe-Chef Tuomo Hattaka, als er diesen Schritt am Freitag in der Berliner Konzernzentrale ankündigte.

Es kann Monate dauern, bis das Gericht in solchen Dingen entscheidet, in Hamburg auch Jahre. Doch es geht um Stunden, in denen jedes Wort die gespannte Stimmung bei Grünen und CDU beeinflussen kann, die seit Wochen ihren Koalitionsvertrag aushandeln. Der meist verschwiegene, aber selbstbewusste Finne Hattaka sagte, dass mit dem Projekt in Hamburg-Moorburg die Versorgungssicherheit im ganzen Land auf dem Spiel stehe. „Es geht um Investitionssicherheit und den Standort Deutschland.“ In Hamburg werde jetzt entschieden, ob es sich noch lohnt, in Deutschland Kraftwerke zu bauen. Und ob sich das Land entscheide, sich dauerhaft von Strom-Importen abhängig zu machen.

„Wir müssten die Stadt natürlich auf Schadenersatz verklagen, falls die Genehmigung nicht erteilt wird“, sagte Hattaka. 1,3 Milliarden Euro solle Hamburg zahlen, falls sich die Hamburger Grünen, die das Projekt bisher strikt ablehnten, den Kraftwerksbau vereiteln. 1,3 Milliarden: Auf diesen Betrag summieren sich die Leistungen, die Vattenfall bei Subunternehmern verbindlich bestellt haben will.

Gut 16 Kilometer südlich des Hamburger Verwaltungsgerichts, mitten in Deutschlands größtem Hafengebiet, soll das Kraftwerk entstehen: Zwei Blöcke, die insgesamt 1520 Megawatt Strom und nebenbei 650 Megawatt Fernwärme für die Haushalte in Hamburgs Süden erzeugen sollen. „Was Moderneres gibt es nicht in Europa“, sagte Oberbauleiter Dieter Guschke. Während sich die Anwälte ums Papier kümmern, beobachtet er von einem Deich aus, wie ein paar Arbeiter den Sockel eines Krans in der großen Baugrube mit Sperrholzplatten und Stacheldraht einkleideten – drei Meter hoch. „Aus Sicherheitsgründen“.

Schon drei Mal seien die Umweltschützer da gewesen und auf Kräne und Spannungsmasten geklettert, um Transparente zu entrollen. „Wenn denen was passiert dabei, dann hab‘ ich ein Problem.“ Er rede ja gern mit den Kritikern. „Aber viele wollen unser Argumente ja nicht hören“. Und die Aktivisten seien eben junge Leute, die sich keine Gedanken machen, wie lebensgefährlich das auf so einer Großbaustelle ist. 172 Menschen arbeiten auf der hoch umzäunten Baustelle, mit Hochdruck. Planierraupen, Kipplaster, Bagger. Mit Dampfhämmern rammen die Männer über 20 Meter lange Rohe und Metallschienen senkrecht in die Erde – Spundwände, damit das Elbwasser nicht durchsickert. Eine 380 Meter lange Kaimauer entsteht, an der Schiffe aus Indonesien, Südafrika und Australien später ihre Steinkohle abliefern, die hier verfeuert werden soll.

Viele Bewohner des Stadtteils Moorburg hoffen, dass die Schiffe nie kommen. Moorburg, das schon im 14. Jahrhundert entstand, ist bis heute ein idyllisches Dorf mit knapp 800 Einwohnern, liegt geografisch mitten in der Stadt, ist aber doch abgeschnitten durch Bahngleise und Raffinerien. Schon 1974 errichtete der damalige Versorger, die Hamburgischen Elektrizitätswerke (HEW), in Moorburg ein Gaskraftwerk, dessen 256 Meter hoher Schornstein dem Hamburger Fernsehturm Konkurrenz machte. Das Werk wurde ab 2001 abgetragen, der Schornstein gesprengt.

„Ich glaube, niemand hier hätte etwas gegen ein neues Gaskraftwerk“, sagte die evangelische Dorf-Pastorin Anja Blös. Sie hört die Sorgen, vor allem der jungen Familien mit Kindern. Und die der Alten. Sorgen vor Feinstaub. Und Sorge ums Weltklima, obwohl der Konzern nie müde wird, zu beteuern, dass das neue Kraftwerk im Jahr 2,3 Millionen Tonnen CO2 einsparen kann, weil im Gegenzug alte Kraftwerke abgeschaltet werden würden. „Auf der ersten Infoveranstaltung von Vattenfall dachte ich auch noch: Das erste Kohlekraftwerk ohne CO2 – klingt doch toll. Aber jetzt wäre ich mir da nicht mehr so sicher“, sagt Blös.

Andere im Dorf sagen wiederum, das Kraftwerk bringe Arbeit und wieder etwas mehr Leben in den versteckten Stadtteil. Lange schien ein Kompromiss ausgeschlossen. Angeblich, so hörte man am Wochenende, hat Hamburgs Vattenfall-Vorstand und Chef des Hamburg-Geschäftes Hans-Jürgen Cramer aber dem Ersten Bürgermeister Ole von Beust angeboten, dass man das Kraftwerk ab 2012 nur mit gedrosselter Leistung ans Netz geben könnte. Erst ab 2018, wenn die Technik der CO2-Abscheidung zur Luftfilterung ausgereift sei, könne man dann volle Leistung geben. Sprecherin Gunhild Nasner mochte das gestern weder bestätigen noch dementieren. „Es ist alles ganz schwierig derzeit“, sagte sie. Es gibt eben kein Lehrbuch für Milliardenprojekte.

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