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Hildegard Müller (45) stammt aus Westfalen und war bis 2002 Bundesvorsitzende der Jungen Union und bis 2008 Staatsministerin im Kanzleramt. Vor vier Jahren wechselte die Diplom-Kauffrau an die Spitze des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW). Sie ist verheiratet, hat eine Tochter und lebt in Berlin, Düsseldorf und Heidelberg.

© Kai-Uwe Heinrich

Exklusiv

Energiewende: "So exakt wie eine Schrotflinte"

Hildegard Müller ist Chefin des Energieverbandes BDEW. Mit dem Tagesspiegel spricht sie über das Erneuerbare-Energien-Gesetz, Versorgungssicherheit und steigende Strompreise.

Frau Müller, was zahlen Sie privat für eine Kilowattstunde Strom?

Rund 25 Cent, denke ich.

Nur 3,59 Cent davon gehen in die Umlage für die Erneuerbaren. Warum heißt es da, der Ökostrom sei ein Kostentreiber?

Es geht hier nicht nur um die Erneuerbaren. Was oft nicht gesehen wird, ist, dass die Stromversorger heute rund 45 Prozent des gesamten Preises für Steuern und Abgaben für den Staat eintreiben müssen: Mehrwertsteuer, Stromsteuer, Paragraf-19-Umlage, Konzessionsabgabe, KWK-Gesetz und EEG-Umlage. Und Letztere steigt seit Jahren am stärksten. Die Strompreise könnten fast auf dem Niveau von 1998 sein, wenn der Steuer- und Abgabenblock nicht wäre.

Mitte Oktober wird die Höhe der Umlage für 2013 festgelegt. Womit rechnen Sie?

Ich gehe davon aus, dass die Umlage von nun 3,6 drastisch auf rund fünf Cent steigen dürfte, vor allem wegen des nach wie vor starken Zubaus bei der Fotovoltaik. Genau wissen werden wir das aber erst am 15. Oktober, wenn die Übertragungsnetzbetreiber die Zahl veröffentlichen.

Die 700 größten Stromschlucker des Landes verbrauchen 18 Prozent der Elektrizität, tragen aber nur 0,3 Prozent der EEG-Kosten. Ist das gerecht?

Es geht hier um die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie und den Erhalt von Arbeitsplätzen. Ich verstehe, dass immer mehr Verbraucher die Sorge haben, dass die Energiewende auf ihrem Rücken ausgetragen wird. Aber man sollte lieber mehr über die Höhe der Gesamtkosten diskutieren und weniger über deren Verteilung. Auch wenn alle bezahlen, wird es ja in der Summe nicht günstiger.

Für den einzelnen Haushalt wäre das so.

Nicht wirklich. Auch bei einer anderen Kostenverteilung müsste unsere Volkswirtschaft in diesem Jahr rund 17 Milliarden Euro für die Erneuerbaren aufbringen. Würden ausnahmslos alle Unternehmen die Umlage in voller Höhe zahlen, wäre das eine Milchmädchenrechnung: Sie hätten höhere Produktionskosten, die sie dann auf die Preise umlegen. Am Ende kämen die EEG-Kosten über Umwege doch wieder beim Verbraucher an.

Wie kann man die Haushalte entlasten?

Zum Beispiel, indem man die Mehrwertsteuer, die der Staat automatisch zusätzlich erzielt, weil die EEG-Umlage steigt, in Beratungsprogramme für sozial schwache Verbraucher oder in die energetische Gebäudesanierung investiert. Der Staat dürfte im kommenden Jahr rund 500 Millionen Euro Mehrwertsteuergewinne wegen der steigenden EEG-Umlage erzielen. Diese zusätzlichen Einnahmen könnte er den Verbrauchern im Sinne der Energiewende sofort zurückgeben.

Nur, damit sich die größten Stromfresser weiter nicht beteiligen müssen?

Wenn es keine Befreiung gäbe, müsste auch jeder Windradbauer seine Stahlmasten teurer einkaufen, weil das Stahlwerk die EEG-Kosten weitergeben muss. Dann würden auch Windparks teurer. Ich sehe aber auch, dass man innerhalb der Wirtschaft diskutieren sollte, ob die Befreiung nur für einige Wenige gelten darf. Dass viele Mittelständler außen vor bleiben, nur weil sie knapp unter die Befreiungsgrenze fallen, scheint nicht sinnvoll.

"Die Koordination zwischen Bund und Ländern ist noch mangelhaft."

Da bliebe dann nicht mehr viel übrig vom Erneuerbare-Energien-Gesetz.

Ob das bisherige EEG erhalten bleibt oder nicht, ist eine Kunstdiskussion. Fest steht: Wenn wir 2050 rund 80 Prozent Erneuerbare haben wollen, müssen wir uns hin zu einem Marktmodell bewegen. Langfristig müssen Preissignale aus dem Strommarkt auch bei den erneuerbaren Energien ankommen. Dazu muss man sich in einem ersten Schritt auf ein paar Dinge verständigen, um den Mechanismus flexibler zu gestalten.

Auf welche Dinge genau?

Die Erneuerbaren müssen langfristig Funktionen und Aufgaben erfüllen, die heute nur von den konventionellen Energieträgern geleistet werden. Warum diskutieren wir nicht, dass die Erneuerbaren auf lange Sicht verpflichtet werden, auch planbar Strom zu liefern? Denn nur so können sie das Rückgrat der Energieversorgung werden.

Wo sehen Sie noch Handlungsbedarf?

Beim Einspeisevorrang für die Erneuerbaren: Der führt zu Konkurrenzen nicht nur zwischen konventionellen und erneuerbaren Energien, sondern auch bei den Erneuerbaren untereinander. Und wir brauchen eine lokale Flexibilisierung des EEG: Ich denke, dass man in Regionen, in denen es eine mangelnde Netzversorgung gibt, nicht einfach ungehemmt regenerative Anlagen zubauen kann.

Das klingt nach einem Systemwechsel.

Erinnern wir uns, was für laute Proteste es gab, als die Bundesminister Röttgen und Rösler in diesem Jahr eine Kürzung der Vergütungssätze für Solarstrom durchsetzen wollten. Vor diesem Hintergrund habe ich die Sorge, dass die nächsten zwölf Monate ein verlorenes Jahr für jede Fortentwicklung des Erneuerbaren-Systems werden. Von daher rechne ich auch nicht mehr mit einer Verständigung noch vor der Bundestagswahl.

Sie fürchten eine Blockade der Solar-, Wind- und Bioenergieverbände?

Diese sollten sich dazu bekennen, dass das EEG eigentlich kein industriepolitisches Instrument ist und auch nicht sein darf! Es ist ein Instrument, um Erneuerbare in den Markt zu bringen. Wenn es darum geht, Industriepolitik zu machen – etwa Solarfirmen in Ostdeutschland zu erhalten, was ja legitim ist – dann muss man überlegen, wie man diese Unternehmen gezielt fördert, etwa über Beihilfen, die aber von der EU genehmigt werden. Oder über Forschungs- und Innovationsförderung. Das EEG dagegen trifft als Standortförderinstrument so exakt wie eine Schrotflinte, was man daran sehen kann, dass 80 Prozent der hier verbauten Solarmodule nicht aus Deutschland kommen, aber hier subventioniert werden.

Ist Deutschlands Energieversorgung heute, ein Jahr nach den politischen Beschlüssen zur Energiewende, besser oder schlechter?

Zumindest die Koordination zwischen Bund und Ländern ist noch mangelhaft. Wenn man die jeweiligen Energiekonzepte übereinanderlegt, passen die nicht zusammen. Die Länder wollen keine Kompetenzen abgeben. Außerdem sind kommunale Planungsbehörden unterbesetzt – was den Stromnetzausbau hemmt.

"Die Versorgung ist heute so stabil wie in keinem anderen europäischen Land."

Was ist mit der Versorgungssicherheit?

Gott sei Dank ist die Versorgung heute so stabil wie in keinem anderen europäischen Land. Aber ich bin in Sorge, ob dies auch auf Dauer zu halten sein wird. Der letzte Winter war schon hart. Es gab regionale Engpässe. Durch den Atomausstieg wurde schlagartig viel Erzeugungskapazität vom Markt genommen. Daher sprechen wir als Branche dieser Tage intensiv mit Wirtschaftsministerium und Netzagentur, welche Kraftwerkskapazitäten im kommenden Winter als Reserve bereitgehalten werden könnten.

Ist mittelfristig der Neubau fossiler Kraftwerke wirklich nötig?

Spätestens ab dem Jahr 2020 wahrscheinlich ja. Das wird aber nur mit einer besagten Reform des Systems gehen, denn man muss davon ausgehen, dass ein Kraftwerk dann nur noch rund 60 Prozent der Laufzeitstunden von heute hat. Also braucht es Anreize für den Neubau hocheffizienter konventioneller Kohle- und Gaskraftwerke.

Subventionen?

Nein. Der Bund sollte nicht alles regeln wollen – und die einzelnen Bundesländer schon gar nicht. Anreize für den Kapazitätsausbau und -ausgleich lassen sich wahrscheinlich auch nur im europäischen Kontext lösen.

Bayern will es auf eigene Faust regeln und verhandelt derzeit mit Gazprom über den Bau neuer Kraftwerke im Freistaat.

Sicher braucht Bayern neue Kraftwerke, aber es wäre unklug, so viele zu bauen, wenn es doch im Norden zu viel Strom gibt. Anstatt möglichst große Energieautarkie anzustreben, sollten sich die Bundesländer lieber an Modellen zum länderübergreifenden Netzausbau beteiligen.

Bayern trauert vielleicht seinen AKW nach. Auch Sie waren lange für Kernkraft. Warum heute nicht mehr?

Ich hielt die Kernkraft unter anderem wegen der niedrigen CO2-Emissionen lange für die passende Brückentechnologie ins regenerative Zeitalter. Mit der Brennelementesteuer hätten wir auch Projekte der Energiewende finanzieren können. Nach Fukushima aber habe ich gesehen, dass es einen Konsens gibt, aus der Kernenergie auszusteigen. Unser Verband trägt daher die Entscheidung mit.

Persönlich überzeugt vom Ausstieg wirken Sie nicht.

Die Messe ist gesungen. Für mich stellt sich daher nicht die Frage: Was wäre, wenn? Ich stehe hinter der Energiewende. Klar ist aber auch, dass dies ein Generationenprojekt ist. Der Prozess wird 30 Jahre dauern. Und die Gesellschaft wird dafür noch viel Einsicht mitbringen müssen. Unsere Landschaft zum Beispiel wird sich sichtbar verändern.

DIE LOBBYISTIN

Hildegard Müller (45) stammt aus Westfalen und war bis 2002 Bundesvorsitzende der Jungen Union und bis 2008 Staatsministerin im Kanzleramt. Vor vier Jahren wechselte die Diplom-Kauffrau an die Spitze des BDEW. Sie ist verheiratet, hat eine Tochter und lebt in Berlin, Düsseldorf und Heidelberg.

DER VERBAND

Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) in Berlin vertritt 1800 Unternehmen, darunter die großen Energiekonzerne, und steht damit für 90 Prozent des Strom- und Gasabsatzes hierzulande.

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