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Standortproblem. Die Stromkosten sind hierzulande ungefähr doppelt so hoch wie in den USA, wo sich die Politik über eine Reindustrialisierung freut. Für große Energieverbraucher aus der Stahl-, Zement- oder Chemieindustrie wird es eng in Deutschland.

© dpa

Energiewende in Deutschland: Verfahren

Die deutsche Energiepolitik will die Industrie schonen und sucht nach einem Kompromiss mit der EU. Kommissar Günther Oettinger versteht die Deutschen nicht.

Berlin - Besonders freundlich war das nicht, was der Gast da zum Frühstück servierte. Die deutsche Wirtschaft sei „satt und träge“ und befinde sich noch „im Weihnachtsfrieden“. EU-Energiekommissar Günther Oettinger (CDU) legte gut los am Montagmorgen bei Vertretern der Wirtschaft, dem Verband Berliner Kaufleute und Industrieller (VBKI). Die Ökostromförderung des Erneuerbaren Energien Gesetzes (EEG) sei verfahren und müsse durch eine „Europäisierung des EEG“ abgelöst werden: Wind aus dem Norden, Sonne aus dem Süden und Biomasse aus Skandinavien. „Es macht keinen Sinn, national mit gutem Gewissen einzuschlafen“, wenn nebenan die Polen 90 Prozent ihrer Energie mit Kohle erzeugen und der Strompreis inzwischen hierzulande doppelt so hoch sei wie in den USA. „Beim Strom zählt nur der Preis“, weiß der Energiekommissar.

Oettinger äußerte Verständnis für die Ausnahmen von der EEG-Umlage für energieintensive Unternehmen, obwohl Brüssel dagegen ein Beihilfeverfahren eingeleitet hat. Dies sei notwendig geworden nach Beschwerden aus Deutschland, zum Beispiel von Unternehmen, die die Umlage zahlen und sich benachteiligt sehen. „Die fahren erst die Strompreise hoch“, kritisierte Oettinger die deutschen Politiker, „dann erkennen sie, dass es zu teuer ist und machen Ausnahmen, die gegen den Wettbewerb verstoßen.“

Inzwischen hat die Bundesregierung Stellung bezogen im Streit mit der EU. In einem 80-seitigen Papier heißt es, dass die „Besondere Ausgleichsregelung“ (Besar) im EEG, also die Begünstigung von energieintensiven Unternehmen, an sich keine Beihilfe sei. Und wenn doch, dann allenfalls eine Beihilfe, die mit Europarecht vereinbar sei. Im Übrigen befinde sich das EEG in einem Reformprozess, in dem die EU-Bedenken berücksichtigt würden. Wenn die energieintensive Industrie 2015 nicht die komplette EEG-Umlage bezahlen soll, dann muss die Regierung den Konflikt schnell beenden. Denn im laufenden Verfahren dürfte sie keine Befreiungen mehr erteilen. In der Stellungnahme gibt sich die Regierung deshalb viel Mühe zu erklären, dass die Industrie ja nicht ganz von den Kosten für die Energiewende befreit werde. 2013 habe sie 1,6 Milliarden von insgesamt rund 20 Milliarden Euro der EEG-Umlage getragen, heißt es in dem Text für Brüssel.

Das Öko-Institut hat im Auftrag des Energiewende-Think-Tanks Agora am Montag einen Reformvorschlag vorgelegt, der die Bedenken der EU-Kommission aufgreift. Anstatt der aktuell 160 Terawattstunden privilegiertem Strom peilt das Öko-Institut 65 Terawattstunden an. In den Genuss einer umfangreichen Befreiung von der EEG-Umlage sollen demnach nur noch die exportorientierten energieintensiven Unternehmen kommen, deren Sonderstellung im Emissionshandel bereits von der EU-Kommission anerkannt wird. Die Eisen-, Stahl, Kupfer-, Chemie oder die Papierindustrie müssten nach dem Vorschlag weiterhin nur eine geringfügige EEG-Umlage zahlen. Das Öko-Institut schlägt 0,5 bis 0,6 Cent pro Kilowattstunde Strom vor. Wer nicht mehr mit der Privilegierung rechnen könnte, wären die Nahrungsmittelindustrie oder die Schienenbahnen. Erstere hatten immer mehr Personal ausgelagert, um den Stromkostenanteil an den Betriebskosten künstlich hochzurechnen.

Das Öko-Institut schlägt vor, dass industrielle Eigenerzeuger künftig einen Beitrag zur EEG-Umlage leisten, weil auch diese Befreiung die Umlage hochgetrieben habe. Würde der Vorschlag umgesetzt, könnte die Umlage für alle auf von derzeit 6,25 auf etwa fünf Cent pro Kilowattstunde sinken, hat das Öko-Institut ausgerechnet. Der Bundesverband der Deutschen Industrie reagierte skeptisch. Der Stromkostennachteil gegenüber dem Ausland bleibe groß und bedrohe die Wettbewerbsfähigkeit.  „Eine Verzehnfachung der Industriebelastungen energieintensiver Grundstoffindustrien, wie Agora sie fordert, widerspräche dem Ziel, das Industrieland Deutschland zu stärken“.

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