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Energiewende paradox: Braunkohle-Stromproduktion so hoch wie seit 1990 nicht mehr

Die Stromkunden zahlen seit Jahren riesige Summen für den Ausbau der erneuerbaren Energien - allein in diesem Jahr rund 23,5 Milliarden Euro. Klimafreundlicher wurde Deutschland dadurch offenbar nicht. 2013 wurde so viel Strom aus besonders schmutziger Braunkohle produziert wie seit der Wende nicht mehr.

Im vergangenen Jahr wurden 162 Milliarden Kilowattstunden (kWh) Strom aus Braunkohle erzeugt, wie aus einer Bilanz der Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen hervorgeht. Demnach war die Braunkohle-Verstromung zuletzt 1990 mit 170,9 Milliarden kWh höher. Damals liefen noch viele DDR-Kraftwerke, die dann schnell abgeschaltet wurden.

Der Kraftwerkspark Jänschwalde in der Lausitz im Januar 2014. Hier verstromt der schwedische Vattenfall-Konzern die Braunkohle aus den anliegenden Tagebauen.
Der Kraftwerkspark Jänschwalde in der Lausitz im Januar 2014. Hier verstromt der schwedische Vattenfall-Konzern die Braunkohle aus den anliegenden Tagebauen.

© dpa

In den folgenden Jahren bis 2012 lag die Braunkohleverstromung daher immer unter 160 Milliarden kWh, meist sogar unter 150 Milliarden kWh. Den niedrigsten Stand erreichte die Braunkohleverstromung demnach im Jahr 1999 mit 136 Milliarden kWh. Das war ein Jahr bevor das erste Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) verabschiedet wurde.

Die größten Braunkohlereviere liegen im Rheinland zwischen Köln und Aaachen, rund um Halle und Leipzig und in der Lausitz rund um das südbrandenburgische Cottbus. Der dort abgebaute Brennstoff wird fast ausschließlich in Kraftwerken vor Ort verfeuert. Bei der Verbrennung von Braunkohle wird so viel klimaschädliches CO2 freigesetzt, wie bei keinem anderen fossilen Energieträger. Dazu kommen Stickoxide, Feinstaub und Halbmetalle wie Arsen oder Schwermetalle wie etwa Blei.

Insgesamt hat sich der Stromerzeugungsmix hierzulande seit der Wiedervereinigung stark gewandelt:

- Wurden 1990 noch gut 152 Milliarden kWh in Kernkraftwerken erzeugt, waren es 2013 wegen des Atomausstiegs nur noch 97 Milliarden.

- Die Produktion aus Steinkohle, die im Vergleich zur Braunkohle etwas weniger klimaschädlich ist, sank seit der Wende geringfügig von knapp 141 auf zuletzt 124 Milliarden kWh.

- Die Stromproduktion aus relativ klimafreundlichem Erdgas legte zwischenzeitlich stark zu: Von 36 auf 89 Milliarden kWh im Jahre 2008. Die Gasverstromung ging aber seither wieder deutlich zurück auf 66 Milliarden kWh (2013).

- Die erneuerbaren Energien (Windkraft, Wasserkraft, Biomasse, Fotovoltaik, Hausmüll) leisteten einen stetig steigenden Beitrag zur Stromproduktion. Sie stiegen von knapp 20 auf zuletzt immerhin 147 Milliarden kWh. Mehr als ein Viertel des hierzulande produzierten Stroms stammt heute aus regenerativen Quellen.

Auf Basis dieser Zahlen, die die Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen regelmäßig von Statistikbehörden und Branchenverbänden zusammenträgt, wird deutlich: Deutschland erzeugte zuletzt insgesamt 80 Milliarden kWh mehr Strom als 1990, ist wegen des Braunkohlebooms und - so unpopulär es ist - auch wegen des Atomausstiegs nicht klimafreundlicher geworden.

Deutschland exportiert zudem so viel Strom wie nie seit der Wende ins benachbarte Ausland. „Deutschland hat 2013 an acht von zehn Tagen mehr Strom exportiert als importiert. Das ist zu einem Großteil Strom aus Braun- und Steinkohlekraftwerken“, sagte der Strommarktfachmann Patrick Graichen von der Berliner Denkfabrik Agora Energiewende der Agentur dpa. „Diese verdrängen damit Gaskraftwerke nicht nur im Inland, sondern auch im Ausland - insbesondere in den Niederlanden“, erläuterte Graichen. Experten gehen von guten Einnahmen durch den Kohlestromverkauf im Ausland aus.

Graichen sprach vom „Energiewende-Paradox“: Ausbau von Solar- und Windparks und dennoch steigende Kohlendioxid-Ausstöße. Die Ursache ist laut Graichen, dass der CO2-Ausstoß derzeit kaum etwas koste. „Der europäische Markt für Emissionsrechtezertifikate muss dringend repariert werden, um das zu ändern.“ Die Menge an Emissionsrechten müsse reduziert werden, um den CO2-Preis zu erhöhen.

Gerald Neubauer von Greenpeace sagte laut dpa an die Adresse von Energieminister Sigmar Gabriel (SPD): „Er muss den schockierenden Kohleboom stoppen. Das ist die gravierendste Fehlentwicklung bei der Energiewende, die die deutschen Klimaschutzziele stark gefährdet.“ Deutschland sei Weltmeister bei der Stromproduktion aus Braunkohle. In keinem anderen Land werde soviel Braunkohle abgebaut. „Der Kohleboom gefährdet inzwischen auch international die Glaubwürdigkeit Deutschland bei Klimaschutz und Energiewende.“ Auch 2014 würden neue Blöcke in nicht unerheblicher Zahl ans Netz gehen. „Wir vermissen gerade bei der SPD eine kritischere Haltung“, sagte Neubauer.

Der SPD-Chef und neue Vizekanzler will sich am Dienstagabend in Brüssel mit Vertretern der EU-Kommission treffen, um dort auch über die Energiewende zu beraten. Da geht es unter anderem um die umstrittene Befreiung deutscher Industrieunternehmen von der EEG-Umlage, also den Kosten der Ökostromförderung.

Hier schließt sich der Kreis: Denn eines der Unternehmen, die im großen Umfang befreit sind, ist offenbar die Braunkohletagebau-Tochter des schwedischen Vattenfall-Konzerns. Sie profitierte 2013 angeblich in einem Umfang von knapp 68 Millionen Euro von dieser Befreiung, wie die Bundesregierung auf eine parlamentarischen Anfrage des Grünen Oliver Krischer mitteilte. Vattenfall soll als einziges Braunkohle-Verstromungsunternehmen hierzulande befreit gewesen sein, weil Vattenfall offenbar nachweisen konnte, dass der Kohleabbau besonders energieintensiv ist. Das sei der "vielleicht abwerwitzigste Fall einer solchen Fehlsteuerung", hieß es in einer Mitteilung der Deutschen Umwelthilfe (DUH). Vattenfalls Braunkohlekraftwerke seien mit 63 Millionen Tonnen CO2 für ein Fünftel der strombedingten Treibhausgasemissionen verantwortlich. "Die Bundesregierung muss auch in Richtung EU-Kommission klipp und klar erklären, dass sie diesen Unsinn so schnell wie möglich beenden wird", sagte DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch.

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