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Wartezeit: 15 Jahre. Wer in der DDR einen Trabant kaufte, musste Geduld haben. Mit den sozialistischen Engpässen haben die langen Lieferzeiten der deutschen Autoindustrie heute nichts zu tun – und die Autos sind auch besser.

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Engpass bei Autoproduktion: Deutsche Hersteller kommen nicht hinterher

Die deutschen Autohersteller kommen mit der Produktion nicht nach. Kunden warten bis zu zwölf Monate auf ihren Neuwagen - so gewinnt das Wort Jahreswagen eine ganz neue Bedeutung.

Warum gab es in der DDR wenig Banküberfälle? Weil man 15 Jahre lang auf einen Fluchtwagen warten musste. In deutschen Autohäusern erzählt man sich in diesen Tagen gerne Trabi-Witze. Weil deutsche Autos so gefragt sind, als sei das Angebot rationiert, kommen die Hersteller mit dem Produzieren nicht nach. Fast ein Jahr lang müssen manche Kunden auf ihren Neuwagen warten, wenn sie jetzt bestellen. Mit DDR-Verhältnissen hat das zwar alles nichts zu tun. Ein Trabi-Vergleich erntet aber immer Lacher – denn die deutsche Autoindustrie freut sich über ein Luxusproblem.

Klagte die Branche in der Krise 2008/2009 noch über volle Händlerhöfe und Überkapazitäten, reißen sich die Kunden heute um fabrikneue Autos. „Für uns ist die Auftragslage natürlich erfreulich“, sagt ein Berliner BMW-Verkäufer. „Für die Kunden aber weniger.“ Damit die Kundschaft nicht an die Konkurrenz verloren geht, müssen sich die Händler etwas einfallen lassen. Wer zum Beispiel bis zu elf Monate auf einen BMW X3 warten soll, lässt sich womöglich im Autohaus umstimmen – und greift zu einem Vorführwagen oder zu einem ganz anderen Modell. Eine Lösung für den Einzelfall – nicht aber für den großen, branchenweiten Engpass.

Die Hersteller erhöhen deshalb das Tempo, doch viel geht nicht mehr. Nach Angaben des Autoverbandes VDA liegt die Kapazitätsauslastung in der gesamten deutschen Automobilindustrie (inklusive Zulieferern) aktuell schon bei 89 Prozent, bei den Pkw-Herstellern sind es sogar 92 Prozent. Die Auftragsbücher sind prall gefüllt, im ersten Halbjahr stieg der inländische Auftragseingang um 15 Prozent. Drei Millionen Fahrzeuge verließen zwischen Januar und Juni deutsche Produktionswerke, so viele Autos wie noch nie zuvor in sechs Monaten. Im Gesamtjahr könnten es laut VDA 5,9 Millionen werden, mehr als im Rekordjahr 2008.

Weil mehr als zwei Drittel der Produktion in den Export gehen, müssen Kunden auf dem Binnenmarkt oft vertröstet werden. Die Lieferzeit eines im Juni 2011 in Deutschland bestellten Neuwagens, der nicht aus dem Lagerbestand stammt, betrage im Schnitt 3,8 Monate, ergab der erstmals vom Car-Center der Universität Duisburg-Essen erstellte Lieferzeitindex. Dabei zeigten sich zwischen den Herstellern große Unterschiede. Am schlechtesten schnitt Volkswagen ab, am besten Fiat. „Lieferzeiten haben für Autobauer nicht nur eine schöne Seite“, sagt Car- Chef Ferdinand Dudenhöffer. Wer nicht liefern könne, belege damit auch, dass seine Planungs- und Produktionssysteme verbesserungsfähig sind. Weil diese sich nicht über Nacht ändern lassen, greifen die Konzerne zu anderen Mitteln: Die Sommerferien werden gestrichen oder verkürzt, Zusatz- und Sonderschichten eingeführt – auch am Wochenende.

Im Wolfsburger Volkswagen-Werk läuft die Produktion dieses Jahr auch in den Werksferien, in denen normalerweise die Bänder stillstehen, im Zweischichtbetrieb weiter. „Es haben sich insgesamt rund 2500 Mitarbeiter bereit erklärt, ihren Haupturlaub freiwillig zu verschieben und ihre freien Tage vor oder nach dem eigentlichen Werksurlaub zu nehmen“, sagt ein Sprecher. Zusätzlich zur Stammbelegschaft (49 900 Beschäftigte) seien während der Sommermonate bis zu 1700 Ferienarbeiter in der Produktion im Einsatz.

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Für das dritte Quartal hat Volkswagen zudem mit dem Betriebsrat Sonderschichten am Samstag für die besonders gefragten Modelle Golf, Tiguan und Touran vereinbart. Auch im Werk in Emden lässt VW in den Ferien arbeiten. Die Tochter Audi stockt ebenfalls auf, weil sie nicht genug Autos auf die Straße bringt. „Uns fehlen Einheiten, weil einige Zulieferer noch nicht auf dem Kapazitätsstand sind wie vor der Krise“, gab Audi-Chef Rupert Stadler in einem Interview zu.

Der Wettbewerber BMW hat in seinem Werk in Dingolfing (18 000 Beschäftigte) die Sommerferien auf eine Woche verkürzt. Am Standort Landshut gibt es gar keine Unterbrechung der Produktion. Und in Regensburg sind die Ferien schon vorbei. „Es gab eine Woche im Juni“, sagt eine Sprecherin. Im August läuft hier die Produktion des neuen 1er BMW an. Das Werk in München muss drei Wochen pausieren, weil hier die Produktion des neuen 3er vorbereitet wird. Auf das aktuelle Modell muss man derzeit rund sechs Wochen warten, beim 6er BMW sind es nach Angaben des Herstellers schon vier bis fünf Monate. In seinem Berliner Werk, wo BMW alle Motorräder und die Auto- Bremsscheiben für sämtliche Werke weltweit produziert, hat das Unternehmen Zusatzschichten vereinbart. Auch Leiharbeiter kommen zum Einsatz. „Wenn es ganz hart kommt, muss auch am Sonntag gearbeitet werden“, sagt ein Sprecher. Eine kurze Unterbrechung gibt es dennoch – denn BMW baut ab Herbst in Berlin den neuen „Maxi-Scooter“. Weltpremiere wird er im November auf der Zweiradmesse in Mailand haben.

Ein ähnliches Bild bei Mercedes: „Dieses Jahr gibt es keine Werksferien“, sagt ein Sprecher. Im Gegenteil: Das Mercedes-Benz-Werk Sindelfingen, mit 23 600 Mitarbeitern das größte Produktionswerk von Daimler, fährt wegen der hohen Nachfrage auch in der zweiten Jahreshälfte Sonderschichten. In der Montage der C-Klasse werde an weiteren 16 Samstagen, bei der S-Klasse an weiteren elf Samstagen gearbeitet, teilte Daimler mit. Darüber hinaus werde bei der C-, E- und S-Klasse die tägliche Produktionszeit verlängert. Wolfgang Bernhard, Daimler- Produktionsvorstand, gibt Durchhalteparolen aus: „Das Geschäft brummt. Darauf stellen wir unsere Produktion höchst flexibel ein. Unsere Mannschaft gibt Vollgas.“ Das gilt auch für die 2700 Beschäftigten im Berliner Motorenwerk. „Wenn die Fahrzeugproduktion zulegt, müssen wir auch mit den Komponenten und Aggregaten nachziehen“, heißt es.

Kunden, die einen Mercedes-Geländewagen aus der GL-Klasse bestellt haben, hätten sicher nichts dagegen. „In der Stadt ein stilvoller Begleiter, jenseits des Asphalts ein echter Draufgänger“, heißt es in der GL-Werbung. Ihren Tatendrang werden die Kunden bremsen müssen. Laut Car-Index ist der bullige Mercedes erst kurz vor Ostern 2012 lieferbar.

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