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Umstritten. Glyphosat ist das Unkrautvernichtungsmittel, das weltweit am häufigsten eingesetzt wird. Es gibt Hinweise darauf, dass das Pflanzengift auch den Menschen schädigen könnte.

© Steffen Schellhorn/epd

Entscheidung über Zulassung: EU-Kommission spielt bei Glyphosat auf Zeit

Die EU-Kommission will Glyphosat weiter zulassen. Am Montag entscheiden die Mitgliedstaaten, das letzte Wort hat aber die Kommission.

Die EU-Kommission will bei der Entscheidung um die weitere Zulassung des umstrittenen Unkrautvernichtungsmittels Glyphosat offenbar Zeit gewinnen. Am heutigen Montag sollen die EU-Mitgliedstaaten in einer Sondersitzung darüber abstimmen, ob sie das Totalherbizid für weitere 18 Monate zulassen – um in diesem Zeitraum eine wissenschaftliche Einschätzung der EU-Agentur für Chemische Produkte (Echa) zu dem Wirkstoff abzuwarten. Der Vorschlag, den EU-Gesundheitskommissar Vytenis Andriukaitis vergangene Woche vorgetragen hat, stammt von deutscher Seite.

Der Kompromiss kommt der Agroindustrie entgegen

„Nach EU-Recht hat die Echa hier das letzte Wort“, sagte Andriukaitis. Die kommenden Monate soll die EU-Agentur dafür nutzen, besonders das Krebsrisiko für den Menschen durch Glyphosat auf „wissenschaftlicher Grundlage“ zu beurteilen. „Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass wir unsere Entscheidung auf wissenschaftlich fundierter Basis treffen sollten, und nicht aufgrund von politischen Interessen“, meinte der Gesundheitskommissar.

Dass der vorgeschlagene Kompromiss zunächst vor allem den wirtschaftlichen Interessen der agrochemischen Industrie entgegenkommt, hat der Kommissar nicht erwähnt. Glyphosat-Hersteller wie der US-Konzern Monsanto etwa haben durch die andauernde Debatte um das weltweit meistbenutzte Herbizid bereits kräftige Umsatzeinbußen hinnehmen müssen: Der Umsatz des Saatgut- und Pflanzenschutzkonzerns ist von Dezember 2015 bis Februar 2016 im Vergleich zur entsprechenden Vorjahresperiode um rund zwölf Prozent auf 4,53 Milliarden Dollar gesunken. Vor allem das Geschäft mit Pflanzenschutzmitteln lief nicht mehr so gut für Monsanto.

Deutschland könnte am Ende den Ausschlag geben

Für den Kompromissvorschlag von Andriukaitis ist in Brüssel indes keine Mehrheit in Sicht. Schließlich müssten 16 Mitgliedsländer mit Ja stimmen, die 65 Prozent der EU-Bevölkerung auf sich vereinen. Dass diese „qualifizierte Mehrheit“ erreicht wird, gilt als sehr unwahrscheinlich. Es sind zwar 19 von 28 EU-Ländern dafür, sie werfen aber nicht genügend Bevölkerung in die Waagschale. Frankreich hat sich auf ein „Nein“ festgelegt, auch das relativ große Italien wird wohl nicht zustimmen. Deutschland könnte am Ende den Ausschlag geben. Da man sich in der Bundesregierung aber auf keine gemeinsame Linie einigen konnte, wird sich die Bundesrepublik der Stimme enthalten.

Sollte unter den Mitgliedstaaten keine Mehrheit zustande kommen, tritt zwei Wochen später der Berufungsausschuss zusammen. Wenn auch hier, was absehbar ist, das Patt nicht aufgelöst wird, ist wieder die EU-Kommission an der Reihe. Sie kann dann im Alleingang ihren Vorschlag, die Zulassung für Glyphosat um weitere 18 Monate zu verlängern, durchsetzen.

Gegner halten den Wirkstoff für krebserregend

Die EU-Lebensmittelbehörde (Efsa) war bereits zu der Einschätzung gekommen, dass der Wirkstoff bei vorschriftsmäßigem Einsatz gesundheitlich unbedenklich ist. Zunächst war eine Zulassung um 15 Jahre im Gespräch. Inzwischen ist aber die Kritik an Glyphosat immer lauter geworden: Gegner halten den Pflanzenschutzmittel-Wirkstoff für krebserregend. Das EU-Parlament hatte dann im Mai gefordert, Glyphosat nur für sieben Jahre zuzulassen und den Einsatz mindestens auf Spielplätzen, in Parks und unmittelbar vor der Ernte zu verbieten.

Wie wahrscheinlich ist es, dass die Kommission im Alleingang die Zulassung verlängert? Beobachter verweisen auf die juristische Lage. Die EU laufe bei einer Verweigerung der Zulassung Gefahr, von den Herstellern von Glyphosat vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) verklagt zu werden. Die Chancen der Industrie werden dabei als gut eingeschätzt, zumal die EU-Lebensmittelbehörde ja bereits grünes Licht gegeben hat.

An dieser Stelle kommt der Gegner ins Spiel, mit dem sich die Kommission da anlegen würde. Der mächtige US-Konzern Monsanto, den Bayer für 62 Milliarden Dollar übernehmen möchte, produziert Glyphosat. In Brüssel hört man: „Es ist unwahrscheinlich, dass die EU einem Spieler mit einer derartigen Wirtschaftskraft Knüppel zwischen die Beine wirft.“ Die wirtschaftlichen Dimensionen einer Verweigerung könnten kaum überschätzt werden. „Dagegen sind Werbeverbote für die Tabakindustrie harmlos.“

Wie stark ist Monsantos Lobbyarbeit in Brüssel?

Immer wieder heißt es, Monsanto würde in Brüssel in großem Stil lobbyieren. Abgeordnete bestreiten dies aber. Ein konservativer Europa-Parlamentarier, der in den entscheidenden Ausschüssen sitzt, sagte dem Tagesspiegel: „Ich habe in der Sache seitens der Industrie lediglich eine Anfrage bekommen.“ Obwohl er zu einem Treffen bereit gewesen wäre, sei es nie zu einem Gespräch gekommen, weil der Lobbyist den Termin abgesagt habe.

Unklar ist unterdessen, ob ein Bann der EU für Glyphosat auch weitreichende Folgen für den Import von Lebens- und Futtermitteln hätte. Einige Experten meinen, dass dann auch keine Lebens- und Futtermittel mehr in die EU importiert werden dürften, die Glyphosat- Rückstände enthalten. In der Landwirtschaft Lateinamerikas und Nordamerikas wird Glyphosat besonders deswegen genutzt, weil gentechnisch veränderte Pflanzensorten bei Soja, Raps und Mais gegen das Gift resistent sind. Diese Futtermittel, die in großen Mengen nach Deutschland importiert werden, dürften daher hohe Rückstände von Glyphosat enthalten.

EU-Gesundheitskommissar Andriukaitis indes hat in seinem Statement vergangene Woche auch an das Verantwortungsbewusstsein einzelner Staaten appelliert. „Die Zulassung einer Substanz auf EU- Ebene bedeutet nur, dass die Mitgliedstaaten Produkte zum Pflanzenschutz auf ihrem Territorium zulassen dürfen – nicht, dass sie es müssen“, sagte er. Diejenigen, die keine Pflanzenschutzmittel auf der Basis von Glyphosat einsetzen wollten, könnten ihre Nutzung einschränken. „Sie müssen sich nicht hinter dem Beschluss der Kommission verstecken.“

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