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Erneuerbare Energie: Fantastilliarden Dollar fürs Klima

Was es kosten würde, die Welt zu 100 Prozent mit Strom aus erneuerbaren Quellen zu versorgen.

Berlin - Die Größenordnungen übersteigen jede Vorstellungskraft. Zwei US-Forscher haben ausgerechnet, was es kosten würde, wenn man die ganze Welt vollständig mit Strom aus regenerativen Quellen versorgen würde. Theoretisch wäre es möglich, sagen sie, dass nirgends mehr ein Schornstein klimaschädliches CO2 ausstößt. Das aber würde gewaltige Investitionen erfordern.

Bis zum Jahr 2030 müssten 3,8 Millionen Windkraftanlagen, 49 000 Solarkraftwerke und 40 000 gigantische Fotovoltaik-Komplexe sowie 750 000 Wellen-, 500 000 Gezeiten- und mehr als 5000 Geothermiekraftwerke gebaut werden, um die Welt praktisch vollständig mit nachhaltiger Energie zu versorgen. Das wären jeweils mindestens 100 Mal so viele Anlagen, wie heute in Betrieb sind, berichten Mark Jacobson von der Stanford University und Mark Delucchi von der University of California im Novemberheft der US-Wissenschaftszeitschrift „Scientific American“.

Die Kosten dieses Mammutprojekts beziffern sie auf 100 000 Milliarden US-Dollar. Das entspricht dem deutschen Bundesetat von 231 Jahren auf Basis der Ausgaben von 2009 (288,4 Milliarden Euro). Oder anders: Um 100 000 Milliarden Dollar aufzubringen, müssten alle Länder 20 Jahre lang rund zehn Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts in den Bau solcher Anlagen zur Stromerzeugung stecken. Langfristig sei dieser Aufwand aber sogar preiswerter, als auf Erdöl, Erdgas, Kohle und Atomenergie zu beharren, erklären die Forscher.

Der Umbau auf erneuerbare Energien könne nur mit einer „extrem aggressiven Politik“ durchgezogen werden, sagen Jacobson und Delucchi. Agiert die Politik – wie zu vermuten – bescheidener, werde es eher 40 oder 50 Jahre dauern, bis die Welt praktisch vollständig auf nachhaltige Energie umgestellt hat. Was die Industrie investieren müsste, wenn sie weiter auf konventionelle Energie setzen würde, sagen die Forscher nicht.

Ausgangspunkt ihrer Berechnungen ist das Konzept einer „all electrical society“, einer voll elektrifizierten Gesellschaft. „Weil der Strom aus der Steckdose oder Batterie sauber ist und für sehr viele Zwecke eingesetzt werden kann, setzt ihn die moderne Gesellschaft immer häufiger ein“, erklärt Frank Behrendt, Sprecher des Innovationszentrums Energie der TU Berlin. Viele Energieforscher nehmen an, dass Elektrizität in Zukunft nicht nur für Licht sorgt, Computer und Kühlschränke speist, sondern auch über Batterien oder Brennstoffzellen die meisten Fahrzeuge antreibt. Dafür müssten in Spitzenzeiten auf der Welt eine Leistung von 11,5 Milliarden Kilowatt oder 11,5 Terawatt bereitstehen, also deutlich mehr als heute.

51 Prozent der benötigten Energie sollen aus den 3,8 Millionen Windenergieanlagen stammen, die eine Leistung von fünf Megawatt erzeugen – wie sehr große Anlagen es heute schon tun. Aus den 720 000 Wellenenergiekraftwerken in Küstennähe würden jeweils 0,75 Megawatt stammen. Da manchmal Flaute herrscht und Windräder häufig nicht mit voller Leistung laufen, nehmen die Forscher an, dass jede Windkraftanlage im Jahr nur knapp 30 Prozent ihrer theoretisch möglichen Leistung liefert. Dieser Wert scheint plausibel: 2008 lieferten die deutschen Windräder im Jahresdurchschnitt 20,5 Prozent ihrer theoretisch möglichen Höchstleistung. Aber an sehr günstigen Standorten und auf hoher See sollen 40 bis 50 Prozent möglich sein.

Mit dem nötigen Abstand zwischen den einzelnen Windrädern sollten diese Energieparks rund ein Prozent der Landflächen der Erde beanspruchen. „Zwischen den Windrädern aber könnte durchaus Vieh weiden oder Land beackert werden“, gibt Mark Jacobson zu bedenken.

Ähnlich kalkuliert das Team für 1,7 Milliarden Fotovoltaik-Anlagen auf Hausdächern, sowie 49 000 Solarwärmekraftwerke und 40 000 FotovoltaikGroßkraftwerke. Sie sollen während 14 Prozent eines Jahres ihre Nennleistung liefern und damit weitere 40 Prozent des Weltenergiebedarfs decken. Da die Sonne nur die Hälfte eines Jahres scheint und öfter mal von Wolken bedeckt ist, klingt auch dieser Wert plausibel. 0,3 Prozent der Landfläche der Erde müsste für solche Großkraftwerke geopfert werden. Die fehlenden neun Prozent des Energiebedarfs sollen dann von heute bereits vorhandenen Wasserkraftwerken sowie von häufig noch zu bauenden Geothermie- und Gezeitenkraftwerken gedeckt werden.

Damit das Netz nicht zusammenbricht, müssten die Anlagen zu großen Netzwerken zusammengeschlossen werden. Während nachts die Solarkraftwerke im Dunkeln liegen, liefern Windanlagen oft noch Strom. Wenn ein Windpark Flaute meldet, arbeitet eine tausend Kilometer entfernte Anlage vielleicht gerade unter Volllast. Druckluftspeicher würden Überschussstrom halten, Ausfälle könnten so vermieden werden.

Eine Hürde aber bleibt der Antrieb von Fahrzeugen. Liefern Lithiumbatterien den Strom für Elektromotoren, könnten die erreichbaren Lithiumvorräte nicht reichen, um den Bedarf zu befriedigen. Ähnlich sieht es mit Platin aus, ohne dieses Edelmetall aber funktioniert keine Brennstoffzelle. „Dieses Problem erwähnen die Forscher in Kalifornien zwar, nennen aber keine praktikable Lösung“, kritisiert Frank Behrendt von der TU Berlin.

In Haushalt und Industrie dürften der nachhaltige Strom sogar billiger kommen. Kostet der Strom aus Wind- und Wasserkraft heute in den USA inklusive Transport mit sieben Cent für eine Kilowattstunde ähnlich viel wie Elektrizität aus konventionellen Kraftwerken, sollte 2020 der Windstrom mit vier Cent bereits deutlich billiger als die fossile Konkurrenz mit dann wohl acht Cent sein. Langfristig könnten sich die gewaltigen Investitionen also rentieren.

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