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Weniger Waren. Der Handel zwischen Großbritannien und der EU ist dramatisch eingebrochen.

© Francois Lo Presti/AFP

Erst die Unterschrift, dann die Verhandlungen: Warum sich die EU nicht traut, den Vertrag mit London auszubremsen

Ende April läuft die Übergangsperiode nach dem Brexit ab. Das EU-Parlament will dem Post-Brexit-Abkommen zustimmen – obwohl noch viel Punkte offen sind.

Das vorläufig letzte Kapitel in der fünf Jahre langen Saga um den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU schreibt das Europa-Parlament. Es wird am Dienstag – vermutlich mit Zweidrittelmehrheit – den Vertrag über die künftigen Beziehungen zwischen Brüssel und London beschließen. Der Handelsvertrag und das Partnerschaftsabkommen waren Heiligabend, also kurz vor Jahresende, zwischen den Chefunterhändlern beider Seiten, Michel Barnier für die EU und Michael Gove für das Königreich, fertig geworden.

Wenige Tage später, Anfang 2021, hätte es ansonsten einen ungeregelten Brexit und damit viel Chaos gegeben. Da mit dem späten Abschluss dem Europa-Parlament nicht mehr Zeit blieb, das Abkommen vor Inkrafttreten zu prüfen, wurde eine Übergangsperiode vereinbart.

Die Übergangsperiode läuft Ende April aus. Lange Zeit sah es nicht danach aus, dass das Parlament zustimmt. Beim ewigen Zankapfel Nordirland verstößt nämlich die britische Seite notorisch gegen die vereinbarten Regeln. Der britische Premierminister Boris Johnson hatte die Verhandlungen über die Zollkontrollen zeitweise ausgesetzt und sogar damit gedroht, das Protokoll zu Nordirland ganz auszusetzen.

Nordirland bleibt ein Problem

Die Situation in Nordirland, wo seit Wochen auch Spannungen zwischen Katholiken und Protestanten wieder zunehmen, ist schwierig: Um den Nordirland-Konflikt nicht wieder anzuheizen, war vereinbart worden, dass es zwischen Nordirland, das zum Königreich gehört, und dem EU-Mitgliedsland Irland keine Grenzkontrollen geben soll. Da aber über die Grenze nach Irland der volle Zugang zum gesamten EU-Binnenmarkt gegeben ist, muss auf andere Weise sichergestellt sein, dass EU-Standards etwa beim Gesundheitsschutz und Lebensmitteln sowie die Zollbestimmungen der EU für Produkte aus Drittländern eingehalten werden.

15 EU-Zollbeamte sind etwa in Belfast stationiert, um Stichproben bei den Containern zu nehmen. Sie haben auch bereits wiederholt Verstöße festgestellt. So wurden etwa Textilien, die zu einem Anteil von mehr als 50 Prozent aus China kamen, anders etikettiert und als britische Ware ausgegeben.

Erstmal unterschreiben, danach die Probleme lösen

Trotz dieser Ungereimtheiten traut sich das Parlament nicht, das Abkommen auszubremsen. Sogar die Grünen, die bislang noch nie einem umfassenden Handelsabkommen im Europa-Parlament zugestimmt haben, werden mehrheitlich mit Ja stimmen. Hintergrund ist: Das Parlament will sich nicht den Schwarzen Peter dafür zuschieben lassen, wenn es andernfalls doch noch zu einem ungeregelten Brexit kommen würde.

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Zentral muss sein, dass wir nicht in ein No-Deal-Szenario schlittern“, sagt die Chefin des Binnenmarktausschusses Anna Cavazzini (Grüne). Der Chef des Handelsausschusses, Bernd Lange (SPD), befürwortet ebenfalls eine Zustimmung: „Leinen los.“ Zugleich räumt er aber auch ein: „Die Weiterfahrt wird schwierig.“ Der zuständige Kommissar Maros Sefcovic habe weitreichende Zusicherung von britischer Seite erhalten, dass man die Streitpunkte bald einvernehmlich abräumen könne.

Ein Plan, zur Lösung von 15 noch strittigen Punkten, sei vereinbart worden. Ungelöst ist etwa noch, wie die EU Zugang bekommt zu den Zolldaten von britischer Seite. Die Angaben der dortigen Zollverwaltung müssten für die EU-Seite nachvollziehbar sein. Auch die Daten zu den Staatsbeihilfen müssten elektronisch überliefert werden.

Obwohl es das Handelsabkommen gibt, ist der Handel zwischen der britischen Insel und dem Festland dramatisch eingebrochen. Exporte von britischer Seite in die EU sind im Schnitt um 40 Prozent zurückgegangen, seitdem das neuen Reglement gilt. Die Ausfuhren von EU-Händlern auf die Insel sind derweil um 20 Prozent gesunken. Die britischen Fischer liefern bis zu 80 Prozent weniger Lachs und Muscheln an Supermärkte in der EU als vor Jahresbeginn. Wie zu hören ist, hat die britische Seite die Unternehmen im eigenen Land nur sehr schlecht vorbereitet und aufgeklärt, etwa darüber, wie sie die nötigen Bescheinigungen für die Ausfuhren kommen. Die meiste Arbeit in dieser Hinsicht hätten die Wirtschaftsverbände aus der EU geleistet.

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