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Erwerbslosigkeit: Neue Gründerzeit

In den vergangenen Jahren haben sich immer weniger Menschen selbstständig gemacht. Mit der steigenden Arbeitslosigkeit könnte sich der Trend umkehren

Berlin - Not macht bekanntlich erfinderisch. Das gilt vor allem für Arbeitslose. Denn Langzeitbeobachtungen zeigen: Je schlechter die Situation auf dem Arbeitsmarkt ist, desto mehr Menschen machen sich selbstständig. Und so könnte es auch dieses Jahr einen kleinen Boom bei den Gründungen geben, erwartet der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK). „Spätestens im zweiten Halbjahr 2009 rechnen wir mit einer Gründungswelle“, sagt DIHK-Gründungsexperte Marc Evers. Seine Vermutung stützt Evers auf Berichte aus den Industrie- und Handelskammern. Seit einigen Monaten sammelten sich dort die Anfragen von möglichen Existenzgründern, die beraten werden wollen. „Je länger die Rezession dauert, desto mehr nimmt die Nachfrage zu“, berichtet er.

Susanne Schmitt-Wollschläger von der Berliner IHK bestätigt diesen Trend. Gut habe sie ihn bei den Gründertagen beobachten können, die jüngst stattgefunden haben. „In diesem Jahr war im Vergleich zu den Vorjahren traumhaft viel los.“

Dabei hatte das Interesse an der Selbstständigkeit im Aufschwung kontinuierlich abgenommen: Noch 2008 gingen nach Angaben des Statistischen Bundesamts die Gründungen um 1,8 Prozent auf rund 833 000 zurück. „Im wirtschaftlichen Aufschwung herrscht regelmäßig Flaute bei den Existenzgründungen“, sagt DIHK-Experte Evers. Allerdings zeigten frühere Erfahrungen, dass in der Rezession das Gründungsgeschehen wieder zunehme. Besonders auffällig war das Krisenjahr 2004. Damals sorgten die staatlich geförderten Ich-AGs noch zusätzlich für Auftrieb bei den Gewerbeanmeldungen. „Die Arbeitslosigkeit gibt den Takt der Gründungen vor“, sagt Evers.

Und so spürt auch die Sparkassen-Finanzgruppe, die nach eigenen Angaben einen Großteil aller Gründungen finanziert, bundesweit eine verstärkte Nachfrage nach Beratungsangeboten für Existenzgründer, seitdem die Zahl der Erwerbslosen wieder steigt, also seit Dezember. „Die Anfragen haben seit Jahresbeginn im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 15 Prozent zugelegt“, sagt Christian Segal, Leiter des Kompetenzcenters Gründungen der Berliner Sparkasse. Die Erfahrung zeigt, dass mit 45 Prozent die meisten Gründungen aus dem Dienstleistungssektor kommen, danach folgt der Handel (28 Prozent) und an dritter Stelle das Handwerk. Der Rest teilt sich auf Freiberufler und Gründer aus dem produzierenden Gewerbe auf. Segal und Schmitt-Wollschläger zufolge dürfte sich diese Entwicklung fortsetzen.

Rolf Sternberg, Gründungsforscher an der Leibniz-Universität in Hannover, rechnet darüber hinaus damit, dass sich viele Fachleute aus der Finanzwelt selbstständig machen werden, die infolge der Krise ihre Jobs verloren haben. „Die Chance, dass sich die Qualität der Gründungen in diesem Zyklus verbessert, ist groß“, folgert er. Sonst sei etwa die Hälfte einer durchschnittlichen Gründungs-Kohorte eines Zyklus nach sieben Jahren vom Markt verschwunden. „Das könnte dieses Mal anders sein.“ Einen negativen Effekt könne die Finanzkrise dennoch auf den Gründungsprozess haben, meint er. Dann, wenn die Banken bei der Kreditvergabe knausern. „Das könnte das Tempo verlangsamen“, sagt er.

Der Sparkassenverband versichert jedoch, dass man nicht zurückhaltender sei als sonst. Auch Schmitt-Wollschläger berichtet: „Bisher gibt es bei der IHK noch keine Beschwerden von Gründern.“

Wie groß die Zahl der Gründungen in der Rezession tatsächlich sein wird, mag keiner der Experten voraussagen. In einem Punkt aber ist sich Forscher Sternberg sicher: Die Gründungen bringen viel Positives für den nächsten Aufschwung mit: neue Ideen, neue Produkte und neue Wirtschaftszweige. Yasmin El-Sharif

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